Arbeitsjournal. Donnerstag, der 11. Oktober 2007.

5.29 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Pünktlich um 4.30 Uhr hoch, aber alles etwas verlangsamt, weil frisches Zeug zusammengesucht werden mußte. Nachts kam noch eine eher abwehrende Antwort der Uni Heidelberg wegen meiner Idee, die Vorlesungen live ins Netz zu übertragen. Da muß noch diskutiert werden, ich will gleich auf den letzten Brief antworten; offenbar ist die Grundidee mißverstanden worden. Mir geht es nicht darum, die Vorlesungen als Streams auf die Homepage der Uni zu stellen, sondern existierende Plattformen tatsächlich live zu nutzen – ich denke vor allem an Skype; auch der Yahoo-Messenger wäre aber denkbar: Poetik-Vorlesungen im frühen Internet-Zeitalter mit den dem frühen Internet-Zeitalter gemäßen Mitteln. Es kommt dabei nicht auf Perfektion an, sondern soll den Character des Vorläufigen, Probehaften, spiegeln und vor allem: vorbei sein, wenn auch je die Vorlesungen vorbei sind. Wer mitschneiden will, mag das tun, aber das ist von dem Projekt nicht intendiert, weil man andernfalls den Character von Zeit wieder einfröre.
Meine Entwürfe der ersten Heidelberger Vorlesung hab ich gestern noch ausgedruckt und werde sie heute früh auf dem Papier lesen und strukturieren. Danach will ich das Ende schreiben, das in den Titel überleitet. Dies ist der formale Trick, der mir vorschwebt: Lange so zu schreiben, als verfehlte ich das Thema, um dann „plötzlich“ mitten in ihm zu landen und genau dort abzuschließen.

Von der Sonntagszeitung (FAS) ist nun der Auftrag fixiert, über >>>> Zagroseks Gluck-Projekt im Konzerthaus zu schreiben; am Montag nach der ersten Premiere, die am 19. 10. stattfinden wird, hab ich einen Gesprächstermin mit Lothar Zagrosek in der dortigen Dirigentensuite. Hingegen ist die FAS in Hinblick auf das Pathos-Projekt der Deutschen Oper eher zurückhaltend; darüber werd ich nun „nur“ fürs >>>> Opernnetz schreiben. E s dachte heute früh beim Aufstehen in mir drüber nach, was ich mit der Kategorie des Pathos eigentlich meine und wogegen sie sich abgrenzen will und welchen Gefährdungen sie ausgesetzt ist. Dazu eine helle Passage von William Butler Yeats über/zu Ezra Pound (im neuen >>>> Schreibheft abgedruckt):

Unser Ruhm, Pounds wie meiner (…), besteht darin, daß wir in einer Welt der Gleichmacherei wieder die Ansprüche der Autorität bekräftigt haben. Es stimmt, was Pound gesagt hat, wir Männer des Geistes stehen auf der Seite derer, die die Ordnung lieben. Wir schätzen sie, mit welcher Mühsal erarbeiten wir sie in unserem Gewerbe. Wir haben uns einer gleichmacherischen, verbitterten, rationalen Zeit widersetzt.Jedoch
(…) warst Du immer und war manchmal auch ich der eilfertigen Überzeugung, diese Männer, die marschierten und eine neue Ordnung predigten – wir Angehörigen unseres leicht erregbaren Berufsstandes fühlen uns von Kranken und Freibeutern angezogen -, hätten jenes andere Chaos der Menschenleben in ihre Hände genommen, hätten dafür gearbeitet, es zu meistern, wie wir das unsrige meistern, und könnten formen, was die Menschen nun brauchen, Ruhe, ein Ende dieses Meers aus Fragen.
(1946)

Das Problem tritt massiv da auf, wo eine Überzeugung der Ideen in praktische Handlung umgesetzt werden soll; die Möglichkeit, einen pathetischen Menschen zu verführen, ist ungleich größer als die, einen ironischen zu verführen. Nur daß der ironische Mensch das Eigentliche in seiner witzelnden Distanz verliert – oder zumindest zu verlieren in der Gefahr ist.
Wenn ich also von einer neuen Notwendigkeit pathetischen Lebens spreche, so setzt das sehr genaues Achtgeben auf die politischen Praktiker voraus – und höchste Vorsicht bei allgemeinen Versuchen, pathetische Inhalte politisch real werden zu lassen, ja überhaupt Skepsis gegenüber den Formen von Praxis. Und zwar das auch dann, wenn es genau um Praxis g e h t. (Imgrunde muß man den double bind in Adornos Philosophie heilen: den quadratischen Kreis finden, ich weiß; es bleibt aber festzuhalten – und insofern auf dem Pathos neu zu bestehen -, daß es zwar ironische Liebe geben mag, ironische Leidenschaft aber n i c h t).

18.36 Uhr:
[Am Terrarium.]
Bin um 17 Uhr ans Terrarium gefahren, um auf die Babies aufzupassen, weil die übrige Familie mit dem Besuch in >>>> Ratatouille gehen mochte.

Der Text der Vorlesung läuft jetzt ziemlich, wird allmählich klarer, konturiert sich. Ein >>>> schöner Vergleich fiel mir vorhin unter der Dusche ein.

Ich arbeite weiter dran, aber richtig konzentrieren kann ich mich momentan nicht, da die Babies dauernd und wechselweise wachwerden und weinen und immer wieder beruhigt werden möchten.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .