Arbeitsjournal. Freitag, der 2. November 2007.

5.18 Uhr:
[Am Terrarium.]
Der gestrige Tag verstrich, außer mit der Auseinandersetzung wegen des Literaturfonds, mit dem Besuch meiner >>>> tisch7-Verlegerin bei mir in der Arbeitswohnung; dann war auch bald schon >>>> ins Konzerthaus zum zweiten Gluck zu radeln, über den ich jetzt gleich fürs >>>> Opernnetz schreiben muß und will. Der Text sollte noch vor dem Frühstück abgegeben sein; danach geht’s in den Hamburger Bahnhof, wo ich Kühlmann treffen werde, der dort im Rahmen >>>>> einer Theaterforschungstagung einen Vortrag hält und mit dem ich danach über die Heidelberger Vorlesungen reden will. Das >>>> Symposion zu Gluck im Konzerthaus, woran ich ganz gern teilgenommen hätte, spare ich mir, damit ich heute noch zu anderer Arbeit komme. Jedenfalls ist der Tag ziemlich prall.
Nach dem Gluck gestern noch mit dem Profi in der Neuen Odessabar gewesen; das alte enge Odessa war schöner, jetzt ist’s eine Kneipe unter vielen. U. hat meine erste Vorlesung durchgeschaut: „Da läßt sich nichts kürzen“, sagt sie, „halbier sie noch, mach zwei daraus“. Was aus thematischen Gründen nicht geht. „Dann eben in die Vollen“, so der Profi, „aber leg den Studenten Skripte aus, dann kommen sie auch dann wieder, wenn sie sich überfordert fühlen.“ U. finde den Text für eine Vorlesung zu anspruchsvoll. Ich: „Wie? Dieser Vortrag? Ja was ist denn dann mit Blochs Tübingerr Vorlesungen? Oder mit denen Adorno und Horkheimers, die ich als >>>> Junius-Drucke zuhause habe?“ „Na, wenn du d e n Maßstab anlegst…“ „Ja, welch einen soll man s o n s t anlegen?“
Ja, welchen, Leser?

10.39 Uhr:
[Arbeitswohnung. Gluck, Alceste.]
>>>> Fertig geworden… ha! Und jetzt die Sachen zusammengeramscht und >>>> zum Hamburger Bahnhof geradelt. Tschüs erstmal. Auf all die Mails, die mich meiner Morgenfrage wegen erreichten, und auch auf Ihren denen ganz ähnlichen Einwand, lieber >>>> turmsegler, antworte ich heute am späteren Nachmittag.

16.21 Uhr:
[Gluck, Alceste & latte macchiato.]
Etwas angeschickert nach Essen, zwei Bier und einem Ramazzoti mit Kühlmann und einem Kurzbesuch daheim (so wunderbar, wieder eine Familie zu haben!, das will ich nie wieder verlieren…)… also in der Arbeitswohnung völlig durchnäßt von extrem warmem Novemberregen zurück, beschäftigte mich schon den ganzen Radweg über >>>> d a s. Ausgelöst ist das von dem >>>> Vortrag Wilhelm Schmidt-Biggemanns über Heinrich Khunraths „Amphitheatrum sapientiae aeternae“, der sich allerdings vor allem mit kabbalistik-symbolischen Auslegungssystemen beschäftigte. Spontan wußte ich: das hat unbedingt etwas mit den Scelsi-Variationen zu tun. Das muß da als eine Variation mit hinein.
Der Hirnapparat brummt, und ich s a g Ihnen: Es ist ein unglaubliches Gefühl, zwischen Leuten zu sitzen, die solch enormes Wissen haben… und daß man da nicht immer gesagt bekommt, du bist zu anspruchsvoll im Niveau, sondern daß man da mal Wissen, a n d e r e r Wissen, tief einatmen darf und sich anfüllen darf und für sich selbst und die eigene Arbeit, welche ja das eigene Sein ist, transformieren darf. Für den Kopf ist das der Himmel, und für das Herz ist er es auch, für die Weite und Empfängnisbereitschaft des Herzens.

Jetzt will und muß ich Briefe beantworten, danach was einkaufen, zur Familie und zum Kochen; und gegen 22 Uhr treff ich Kühlmann erneut; meinen Vorschlag, in den >>>> Pratergarten zu gehen, nahm dieser irre umfassende Kopf mit trinkwilligster (man könnte auchsagen: mit schlagverbindungswilligster) Begeisterung auf. Möglicherweise stoßen U. und der Profi nachts dann noch hinzu.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 2. November 2007.

  1. Essay oder Vorlesung Ich meine, Sie müssen sich das unbedingt fragen. Und es scheint mir eindeutig: Eine Vorlesung halten Sie zunächst für die Anwesenden. Wenn Sie diese überfordern, wenn Sie bei denen nicht ankommen mit dem, was Sie doch zu vermitteln wünschen, dann ist Ihr Unternehmen Vorlesung gescheitert! Anders bei einem Essay, da können Sie ohne Rücksichten treiben, was immer Sie wollen; man könnte Sie ja wieder und wieder lesen.

    Für eine Vorlesung (und ich halte viele Schulungen und Vorträge) – lassen Sie weg, was Sie irgend weglassen können und bringen Sie dafür die Quintessenz in einer Art und Weise, mit der Sie die Anwesenden erreichen und begeistern können. Dabei müssen Sie leider berücksichtigen, dass das Niveau an den Universitäten nicht zu vergleichen ist mit dem zu Adornos Zeiten. Die Frau meines Arbeitskollegen ist Literaturprofessorin in Paderborn. Wenn man ihren Erzählungen glaubt – und ich habe keinen Grund, an ihnen zu zweifeln – dann ist die Frage berechtigt, was die meisten Studenten überhaupt an der Universität verloren haben. Sie müssen sich also darauf einstellen, dass bei Ihrem Publikum eher wenig bekannt ist.

    So, lieber ANH, könnte es sein, dass man Ihnen weitere Gelegenheiten für Poetik-Vorlesungen gibt. Und dann können Sie in gleicher aufgelockerter Weise ihre Botschaft transportieren.

    Nichts ist schlimmer, als einen völlig überforderten (und dadurch womöglich gar gelangweilten) Zuhörer zurückzulassen. Denn wenn Sie ihm nichts vermitteln, haben Sie ihm auf alle Fälle eines damit vermittelt: Das Gefühl, evtl zu dumm/ungebildet/etc. zu sein. So stiehlt man Selbstbewusstsein (was Lernende brauchen!), statt ihnen etwas zu geben.

    Aber ich schweife zu weit…

    1. Ich möchte mich dem Turmsegler noch anschließen als eine, die sich selbst noch an der Universität herumtreibt und dort auch hoffentlich etwas verloren hat: es ist immer wieder erstaunlich, wie viel beim mündlichen Vortrag verloren gehen kann, der Unterschied zum selbst-gelesenen Text ist größer als man denkt. Das passiert mir immer wieder, wenn ich nach dem Besuch einer Vorlesung einen Artikel derselben Person lese: dann wird oft einiges noch klarer, hier haben die akkuraten Formulierungen ihren Wert, während sie im Vortrag eher untergehen.

      Sie müssen sich meiner Meinung nach über Ihre Motivation klar werden: wollen Sie nur Ihr eigenes Wissen ausbreiten, Ihre Formulierkunst darstellen oder Ihr Wissen in verständlicher Form weitergeben? Und wollen Sie, dass die Studenten etwas mitnehmen aus Ihrer Vorlesung und gerne wiederkommen? Möchten Sie, dass die Studenten etwas lernen und sich auf das nächste Mal freuen oder dass sie nur geblendet werden von Belesenheit und Sprachkunst, ohne dahinterzukommen, worum es geht? Die Frage ist ganz einfach: Kommunikation oder Selbstbespiegelung. Und wenn Sie etwas zu sagen haben, dann wird Ihnen diese Entscheidung nicht schwerfallen…

  2. Zur Schwierigkeit der Vorlesungen. Oder zur Nicht-Schwierigkeit, die ja etwas anderes wäre als Leichtigkeit. Das Problem besteht darin, daß Kunst immer auch und vor allem etwas anderes ist als ihr (funktionaler) Inhalt. Darauf gehe ich eigens ein. Bei einer Vorlesung, wie ich sie mir vorstelle, spielen Vortrag, Blicke, Eleganz der Rhythmisierung usw., also sinnliche Attribute, eine entscheidene Rolle. Deshalb schließt sich Didaktik von vornherein aus: sie würde ihren Gegenstand prinzipiell reduzieren. Des weiteren halte ich es auch nicht für nötig, daß man einer Vorlesung immer und in jedem Detail sofort folgen kann; je komplizierter Zusammenhänge sind, zumal wenn Metaphysik eine Rolle spielt, desto schwieriger sind sie oft zu verstehen… beim ersten Mal. Aber dieses Moment des Nicht-Verstehens gehört ganz unbedingt in die Erfahrung mit hinein, weil erst dieses die Lust, verstehen zu w o l l e n, kitzelt; und es g e h t um die Kitzlung aktiver Willensentscheidungen.
    Dennoch habe ich eine Idee, die den Zugang insgesamt erleichtern wird und zugleich auch einem wesentlichen Aspekt der Ästhetik völlig entspricht, um den es mir unter anderem geht. Ich werde in der Minute, in der ich die Vorlesung beginne den Text der Vorlesung vollständig – und versehen mit Links auf jede Quelle und jede vielleicht weiterführende Literatur – in Die Dschungel stellen und das direkt vor dem Auditorium tun. Wer mag, kann sich die Vorlesung dann direkt aus dem Netz holen und später durcharbeiten.
    Außerdem werde ich ohnedies immer wieder aus dem Text hinausspringen und ex cathedra improvisieren… es kann also sein, daß mein vorbereiteter Text weder ganz zuende vorgetragen, vielleicht aber auch, daß er überhaupt verlassen wird. Das ist eine Entscheidung des Momentes. Springt ein Funke über, geschieht es so. Springt er nicht über, vielleicht auch.

    Ganz nebenbei haben auf diese Weise auch die Leser Der Dschungel die Möglichkeit teilzunehmen… abgesehen davon, daß ich immer noch erwäge, die Vorlesung live per Webcam und Messenger ins Netz mitübertragen zu lassen.

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