Zu Gips zerfallener Marmor. Glucks Alceste unter Lothar Zagrosek im Konzerthaus Berlin.

[Geschrieben für das >>>>> Opernnetz.]


Nun also der zweite Abend des Gluck-Projektes im Konzerthaus Berlin, nachdem >>>> der erste mit, kann man sagen, rauschendem Erfolg über das Podium gegangen war, und das völlig zu recht. Auch dieser bekam wieder gehörig Ovationen, nur kann da kaum Zagroseks „szenische Erzählung“ der Grund gewesen sein.
Dabei ist das Team sehr konsequent gewesen und hat nunmehr das Spielfeld bis weit in den Zuschauersaal hinein erweitert: ein Steg führt vom Podium, von der schwarzen Kaaba, deren Vorderseits freilich immer mal wieder Projektionen dient, bis weit drittels in den Raum hinein. Vorn ein Plateau mit einem drehbaren Stehpult. Schon der erste Auftritt des Chors findet im Zuschauerraum statt. Je zu den Seiten stehen die dunkelen Sänger und leuchten spitz mit ihren an den Clipboards für die Noten angebrachten Punktstrahlerchen. Da geht der Klang gleich mächtig los, und er verspricht so viel, so von den Seite eingesetzt. Doch hat zwar in dieser zweiten szenischen Erzählung das Orchester seinen sichtbaren Standort vorn links bis hinten behalten; doch ist bereits seine szenische Funktion nunmehr höchst gedämpft. Dafür haben sich die beiden Regisseure Susanne Øglænd und Joachim Schlömer, anders als im Orfeo, keine Mätzchen erlaubt: alles ist strikt durchstrukturiert und hält perfekt die Balance zwischen konzertanter und durchinszenierter Aufführung. Seltsamerweise ist gerade d a s – ist diese choreografische Perfektion – >>>> Zagroseks Sache wenig hilfreich.
Denn während vor zwei Wochen der Orfeo zwar inszenatorische Schwächen hatte, doch nur so sprudelte vor Lebendigkeit, Kraft und szenisch-videografischen Einfällen, ist Alceste seltsam statisch geraten. Außer daß sie anwesend sind und ausgesprochen gut singen, gehen die Sänger wie Behauptungen herum – Statuen, die sich allein ihres längst zu Gips zerfallenen Marmors bewußt sind, ihn aber immer noch für Marmor halten. Der Herold etwa steht manchmal wie eine Schaufensterpuppe da. Da hilft es wenig, die Szene mit Alcestes Kindern beleben zu wollen, die vor Großstadthintergrund und in zeitgenössischer Gegenwartskleidung erst über einen Fernsehbildschirm flimmern, dann per Videografik auf die Kaaba projeziert und schließlich leibhaftig auf die Bühne geholt werden – man weiß wirklich nicht, wozu. Doch schon, wie sie aus den Filmprojektionen schauten – ihrer unglücklichen Kindheit allzu irgendwie voll -, rührt einen nicht an. Vielleicht liegt es daran, daß man ihnen außer der in der Synopsis erzählten keine wirkliche szenische Verbindung mit den statuarischen Eltern erlaubt. Ihr Unglück wirkt deshalb wie ein Zitat von Misereor, was es nicht erfahrbarer macht, und zwar gerade dann nicht, wenn man sie auf die Bühne holt, wie um mehrfach drauf zu pochen: die sind echt. Schade.
Und so getragen alle Schritte sind, wie heroisch die Figuren ihr Kinn auch immer hochhalten mögen (sicher nicht mochten, sondern sollten, den Blick der ausgestellten Verzweiflung voran): über eine seelenlose Bewegung von Marionetten geht das nicht hinaus. Selbst die Bestürzung des Volkes mag man nicht glauben.
Dabei versucht Zagroseks Dirigat alles, dem wandelnden Endmarmor Gegenwart und Empathie einzuflößen; es wird allerdings sehr viel weniger kantig als vor zwei Wochen musiziert, ja klingt manchmal ein wenig weich. Das ist aber wohl der feineren, man kann sagen: psychologisch ausgefühlteren Partitur geschuldet, die bis auf wenige Stellen – etwa bei abrupt wirkenden Bläsereinsätzen – musikalische Risse ausgesprochen verwebt. Freilich geben die Sänger sängerisch, was nur geht, und nehmen sich dabei keine Rampensauigkeit heraus – auch nicht die mit großer Dramatik vorgeführten Stimmen Christiane Oelzels und Marie-Claude Chappuis’. Auch deren Gesang stand, ganz wie Gluck das wollte und Zagerosek will, allein im Dienst des Stücke-Ausdrucks. Besonders deutlich wird diese Haltung bei dem lyrischen Vortrag Johannes Chums und der gebrochenen, erkrankten Väterlichkeit Dominik Wortigs. Musikalisch ist da nirgendwo zu mäkeln. Wer sowas darf, weil er über die Aufführung nicht schreiben muß, tat deshalb gut daran, bisweilen die Augen zu schließen.
Freilich, das Statuarische dieser szenischen Einrichtung mag auch in der das Ohrenmerk auf innere Vorgänge lenkenden Handlungssarmut des Stückes begründet sein. Wagner, der davon gelernt hat, hat – quasi paradox dagegen an-intervenierend – diesen Primat der Psychologie zu ästhetisch unerahnter Macht geführt. Das Eigentliche ist kein Äußeres: D a s will das sagen. Nur braucht es, um so etwas szenisch umzusetzen, Bilder. >>>> Vor elf Jahren hat Achim Freyer an der benachbarten Lindenoper vorgeführt, mit welch gärend psychedelischer Visionskraft das bei der Alceste geht; bis heute habe ich davon Szenen virbrierend vor Augen. Nur waren die technischen Möglichkeiten dort andere, waren gegen diejenigen des Konzerthauses geradezu luxuriös. Außerdem denkt und hört Freyer sowieso über das Bild. Øglænd und Schlömer aber nicht; und daß sie sich bescheiden mußten, merkt man deshalb hier besonders – ganz anders als im Orfeo, der wesentlich über ein Improvisiertes lebte und die Möglichkeiten des OFF-Theaters genutzt, also die Beschränkung-selbst zur Ausformung eines inszenatorischen Gegenentwurfs gemacht hat. Hier aber wurde selbst die zur Verfügung stehende Technologie, der Film, nicht genutzt. Imgrunde ist sogar Mascha Mazurs von mir so genannte Kaaba, ein virtuos handhabbares Passepartou, nunmehr zum Ausstattungsstück herabgesunken, auf das man halt mal, um die Szene zu wechseln, hinaufsteigen kann.
So bleibt gegen den untadeligen musikalischen Eindruck der inszenatorischer Mängel: als hätte es, außer dem kargen mit den beiden Kindern, keinen zündender Einfall für die Alceste gegeben. Allerdings werden wir erst einmal die dritte Vorführung, der >>>> Paride ed Elena am Ende der nächsten Woche, abwarten müssen, um dann vielleicht doch, und erstaunt, konstatieren zu müssen, es habe das Team für die Entwicklung einer szenischen Erzählung großer Opernstoffe eine Klammer gefunden, die auch diese Alceste in konsequentestem Licht – und völlig anders – und noch einmal – aufscheinen läßt. So daß man auch sie in lebendiger Erinnerung behält.

[Weitere Vorstellungen:
>>>> Alceste:
Heute, 3.11.2007, 20 Uhr.
(Dazu heute von 14 bis 18 Uhr und morgen, 4.11., von 9 bis 14 Uhr ein öffentliches >>>> Symposion: “Glucks Reformopern und ihre Interpretationen”.)
>>>> Paride ed Elena:
Freitag, 9.11.2007, 20 Uhr.
Samstag, 10.11. 2007, 20 Uhr.
Je im Konzerthaus Berlin, Gendarmenmarkt.]

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