Es ist erhellend, die redaktionell bearbeitete Druckversion,
auf die der Link führt, mit dem Original zu vergleichen,
das ich abgegeben habe. Hier steht es:]
Kraftvoll haut das auf den musikalischen Tisch: Hier kommt was Neues, rief 1762 Gluck, ruft 245 Jahre später Zagrosek, hier muß was Neues kommen. Und fängt die Ouvertüre rasend an. Um Ausdruck geht’s, um Leidenschaft und Auflehnung, Verlust. So feuert das Konzerthausorchester Berlin. Weil in einer „azione teatrale“ ein Orchester nicht versteckt sein darf, wird auch der Instrumentalist zum Träger der Handlung. Die Oper knüpft an, wo sie anfing, und weist zugleich über, was sie gewesen, engagiert hinaus. Man tut die Illusionen in den Kopf zurück. Das hat etwas brechtsches. Weil aber die musikalische Gestalt derart schön ist, bleibt uns das Moralin erspart. Wobei die Kürze der Probenzeit, vier Tage, die Szene nah am Improvisierten und dadurch hochlebendig hält. Auch wenn sie erst ganz zuletzt in die Zuschauer hineingreift. Das wäre unbedingt auszubauen und wird’s vielleicht auch noch. Es war ja erst der erste Abend der Gluck-Reihe, die sich das Konzerthaus vorgenommen hat.
Improvisiert wirkt auch der Aufbau auf dem Konzertpodium. Mascha Mazur hat eine multifunktionale Kaaba hingestellt, deren Vorderseite und Deckel, der zugleich Spielfeld ist, sich öffnen können. Mit den einfachsten Videomitteln führt sie eine der poetischsten Höllenfahrten vor, die ich je gesehen habe: poetisch, weil das so einfach gemacht ist, weil man sich nur einlassen muß, um das auch jenseits budgetgieriger Operntechnik ergreifend zu finden. Daß Joachim Schlömers Regie dabei aufs Off-Theater zurückgreift, um sie dem hier deutlich bürgerlichen Publikum vorzuführen, ist nur konsequent. Manches läßt an die Unternehmen der jungen Opernbühne Berlin denken. Da bliesen so einige Böen in die gedeckten Abendgarderoben. Und siehe, dankbar waren die. – Nein, das ist kein Hohn.
Die gleichen Frischen durchbliesen die Musik, die, permanent von Zagroseks Feuer angeheizt, sich durchaus nicht scheute, mal manieriert zu sein; dann wieder kippte die Klangbalance von Chor zu Solisten expressiv um, und Furien wurden wirklich Furien. Die jagten einem durchs Ohr in den Schädel, so daß es ihn brauchte, den Orpheusgesang, sie schläferig zu stimmen. Selbst daß Sunhae Ims wirklich engelischer Sopran bisweilen ein wenig leicht war, diente hier der Szene, die jeden Solisten in den Geist eines antiken Chores zurücknimmt: auch ein Orfeo spricht kollektiv. Deshalb bekam der Klang dieser Inszenierung bisweilen etwas von einem Kondukt, etwas Requiemhaftes, das dem (eigentlich) verzweifelten Einspruch, den das Leben gegen den Tod erhebt, völlig entspricht. Es ist eine enorme Leistung dieser, wie Zagrosek selbst sie nennt, szenischen Erzählung, gegen das ziemlich ge-entertainte Happyend der Oper an einer Trauer festzuhalten, die schon seinerzeit der Hof nicht wollte. Alleine sie ist menschlich und erschüttert. Nur wär ich hier radikaler vorgegangen und hätte die Szene nach Orpheus’ berühmtem Trauergesang mit einer leeren Verkündigung des Gottes ausklingen lassen. Da war dann doch noch etwas Konvention. Überdies hätte man die dumme Pause gespart. Und wäre auf den wie fremd illuminierten Gendarmenmarkt wie fremdberührt hinausgetreten.
Ein paar Premierenstühle waren frei, ich hätt mir junge Leute auf sie draufgewünscht. Denn immer noch geht’s ums Kunstwerk der Zukunft. Und die schaffen d i e.
der Text hat 3279 Zeichen.]
Die nächsten Termine des Gluck-Projektes:
Alceste, 1. und 2. November 2007.
Paride ed Elena, 9. und 11. November 2007.
Das Unbehagen formuliert. Im >>>> Arbeitsjournal um 22.20 Uhr.