Arbeitsjournal. Sonntag, der 21. Oktober 2007.

5.10 Uhr:
[Arbeitswohnung. Martinủ, Julietta.]
Um 22.30 Uhr lag ich bereits im Bett; Versuche, mir einen Film anzusehen, scheiterten an zufallenden Augen. Dafür wieder pünktlich um 4.30 Uhr raus und hierhergeradelt. Dabei hab ich, nachdem ich gestern die Kritik für die Sonntagszeitung fertighatte, gar nicht mehr gearbeitet, sondern war mit der Familie; nachmittags mit meinem Jungen draußen herumgetollt, Laubschlacht, und die Babies krabbelten über den kleinen Spielplatz Pappelallee.
Jetzt geht’s an die Zehnte Scelsi-Variation, danach wieder an den Marianne-Fritz-Artikel. 7000 Zeilen sind schon was anderes als die 100 für die Sonntagszeitung. Über Gluck schreib ich dann erst wieder ab morgen nach dem Gespräch mit Zagrosek. Das liegt jetzt so ungünstig, daß ich meinen Jungen nachmittags nicht in seinen Judo-Sonderkurs werde bringen können. Auch die Liebste wird das nicht übernehmen können, weil der Ort so heikel gelegen ist, daß das mit den Babies ein Riesenumstand wäre. Ich habe deshalb ein so schlechtes Gewissen, daß ich heute nacht davon träumte, dem Judolehrer einen langen Entschuldigungs- und Erklärungsbrief zu schreiben, ja, es irgendwie hinzukriegen, daß jemand anderes meinen Jungen von der Schule abholt und dahinbringt und von da dann auch wieder abholt. Als ich den Zagrosek-Termin ausgemacht habe, war das mit dem neuen Kurs noch gar nicht bekanntgewesen. – Gleichzeitig denke ich – und träumte auch davon -, welche Opern sich speziell n o c h für Zagroseks Aufführungs-Ästhetik eignen; er schreibt, es gehe ihm vor allem um solche, die in der Szene problematisch darzustellen sind, so daß sich die halbszenische Inszenierung empfiehlt, indem man etwa Traumsegmente, aber auch große Tableaux in den Kopf des Zuschauers verlegt, der allerdings eben durch szenische Zeichen angeregt werden muß. Mir fiel sofort Schoecks Penthesilea ein; wahrscheinlich werde ich das Gespräch morgen nachmittag genau damit beginnen. Ansonsten werde ich mich kaum vorbereiten müssen, so sehr bin ich in der Materie drin.

Telefonat mit >>>> Dielmann: Für die Abgabe der BAMBERGER ELEGIEN habe ich Zeit bis Mitte Januar. Das verschafft Luft und gibt dadurch eine Distanz, die eine nochmalige quasi-fremde Durchsicht der Texte erlaubt. Ich denk mal, ich werd nun ab Dezember darangehen. Ist das fertig, nehme ich ARGO wieder auf. Bis dahin sollten auch die Scelsi-Variationen fertigsein, die sich für eine getrennte 16-er-Ausgabe gut eignen, so daß wir in 2008 noch zwei 16er-Editionen meiner Lyrik dazupublizieren wollen und hoffentlich auch können.

Was ich auf keinen Fall vergessen darf: Am 30. dieses Monats läuft die Bewerbungsfrist für Stipendien des Deutschen Literaturfonds ab. Diesmal will ich Lyrik einreichen, selbst wenn auch das meine Chancen nicht sonderlich größer machen wird, solange Leute wie Peter Hamm da das Sagen haben. Ich hab mal wieder nur 3 Euro nochwas auf der Tasche, das ist schon lästig, wenn man nicht einfach mal eben seinem Sohn eine Bratwurst kaufen kann; die FAS/FAZ zahlt ja immer erst anderthalb Monate später, und die (von mir vorgestreckten) Fahrtkosten wegen der Bielefeld-Lesung am 10. 10. sind auch noch nicht gezahlt worden. Die gäben erst mal wieder eine Woche Luft.

So, arbeiten.

7.04 Uhr:
[Am Terrarium.]
War nichts mit Arbeiten bisher; kurz nach sechs rief die Liebste an, krank, ob ich helfen könne. Also wieder hinüber. Der Zwillingsbub schläft nun, das Zwillingsbaby tobt sozusagen durchs Wohnzimmer, hellwach und willens, Abenteuer zu erleben, die möglichst viel Krach machen. Hab die Liebste zu unserm Jungen oben aufs Doppelstockbett geschickt, damit sie ein wenig schlafen kann nach der heißen Zitrone, die ich ihr verabreicht hab. Mal sehn, wie der Tag wird.
Nachmittags, das vergaß ich zu erzählen, bin ich mit meinem Jungen >>>> in der Komischen Oper für Ravels Das Kind und der Zauberspuk.

Vielleicht geht es mit der Zehnten Scelsi-Variation nach Art einer flanierenden, nicht-konzentrierten Meditation weiter. Anders arbeiten werd ich momentan nicht können. Außerdem rauch ich hier ja nicht, was überdies Konzentration abzieht.

22.20 Uhr:
[Am Terrarium.]
Das funktionierte nicht mit dem Arbeiten hier. Ist in Ordnung; morgen halt wieder.
Dafür leichter Ärger wegen der >>>> Sonntagszeitung. Zwar, sehr gut plaziert, gut aufgemacht, gar keine Frage, so daß >>>> das Konzerthaus selbst meinen Text gleich mit in den Pressespiegel aufgenommen hat, ABER: unterm Strich (so nannte man früher insgesamt ein Feuilleton) bleibt das Unbehagen von Glätte. Wenn Sie beide Versionen vergleichen, merken Sie deutlichst die Unterschiede. Dabei geht es nicht um etwaige Kürzungen, die bei einer Zeitung oft aus einsichtigen Platzgründen nötig sind, sondern darum, wie einem Text sein Eigenes genommen wird, wie man ihm die Synkopen wegbügelt oder Ausdrücke, die ganz bewußt gewählt wurden: mitnichten ist „engelisch“ „engelhaft“, und mitnichten ist „brechtsch“ gleich „von Brecht“; es kann ja auch gut etwas brechtsch sein, das von Brecht selber nicht ist… Ganze Zwischentöne werden zugeschmiert, um vom Satzrhythmus besser g a n z zu schweigen. Vor allem aber dieses: das elende Zeitungsverbot, „ich“ zu sagen, sondern immer aus dem pluralis maiestatis einer Öffentlichen Meinungsinstanz schreiben zu sollen, als hätte nicht eine Autorität für ein Ich alles Recht; und wenn einer n i c h t Autorität ist, dann darf er aufs Ich schon g a r nicht verzichten und dagegen so tun, als hätte er sie…
Das also macht ein mieses Gefühl, auch wenn die Schale nun groß genug ist, um für eine Banane zu gelten. Ob ich mir unter diesen Umständen in einer halben Stunde mein Interview mit >>>> ttt noch ansehen mag (Erstes Programm, 23 Uhr), kann ich gar nicht sagen; ich hab s c h o n etwas Angst, was man sich da aus dem Gespräch zurechtgeschnitten hat. Aber wer sich aufs Fernsehen einläßt, braucht, wie der Brecht beim Teufel, einen langen Löffel…

(Am Nachmittag waren wir >>>> in der sehr sehr schönen Kinderoper. Die Kritik d a z u schreib ich morgen früh.)

Ach ja… und meiner schriftlich geäußerten Bitte, doch zu dem Autorennamen oder meinethalben statt des Autorennamens meine Website anzugeben, hat die FAS-Redaktion auch nicht entsprochen. Ich werde das wohl künftig zur Bedingung machen müssen, wenn ich für jemanden schreibe.

4 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 21. Oktober 2007.

  1. 44 Sec. Schade. Aber typisch. Vom ttt-Beitrag insgesamt und insbesondere vom ANH-Interview hatte ich mir mehr erhofft. Ganze 44 Sekunden brutto – inbegriffen der typische “Antexter” – dauerte Ihr Auftritt. Und das, obwohl gerade Sie zu dem Vorfall weit mehr beizutragen hatten, als die kurze Textstrecke über Ihre Lesung beim Literaturforum in Frankfurt und des Telefonats eines Anwalts. Wie lange war denn die tatsächliche Interviewstrecke? Lassen Sie mich raten: 20-30 Minuten doch bestimmt. Aber typisch TV.

  2. ja… schade ist’s. Aber nicht nur schade, sondern traurig… gerade dieser Thematik nur so kurze Zeit zu widmen, die Qualität der Beiträge von ttt – die Aussagen der Schriftsteller in den Interviewausschnitten ausgenommen – spricht für sich, dass Thema wurde ja noch nicht einmal angerissen.

    1. Medien a-a Da schäme ich mich schon, für eine SendeANSTALT zu arbeiten, die sich seit 2006 auf die Fahne geschrieben hat, ihr Programm zu “verjüngen”. Bedeutet nach aktueller Lesart für die boulevardesken Magazinsendungen: Menschen über 45 finden nicht mehr statt! Kultur findet bei uns schon lange nicht mehr statt, ttt hat es mit seinem Beitrag über das Buchverbot Billers gezeigt. Alles schön weich gewaschen, keine Ecken und Kanten, keine Zähne, kein Biss. In Zukunft gibt´s eh nur noch Augenkrebs – der vermeintlichen Verjüngung wegen!

    2. @Stromberg. Titel, Thesen, Temperamente und das Buchverbot. Ich hab mich gerade >>>> h i e r dazu geäußert, um 5.30 Uhr. Zu Ihrer Frage: Das Team war rund eine Stunde lang hier, es ist einiges angesprochen worden, und durchaus Differenziertes, auch Polarisierendes. Einmal sagte Andreas Ammer, der für den Beitrag gezeichnet hat: “Das klingt ja so, als wären Sie f ü r das Buchverbot…” (er hatte meine >>>> beiden >>>> Einlassungen zum Buchverbot sehr wohl in Der Dschungel gelesen; an mangelnder Recherche lag’s also nicht – und ich habe ihm, was meine Meinung auch i s t, geantwortet: “Es kann für die künstlerische Arbeit wichtig sein, daß man etwas riskiert.” Und ich bin noch sehr viel weiter gegangen: “Künstler, wenn ihre Arbeit es erfordert, werden sich n i e an Gesetze halten, sie sind Verbrecher, von einer bürgerlichen Gesellschaft aus betrachtet. Auch ich würde, wenn meine Arbeit es verlangt, Gesetze brechen. Gleichzeitig haben aber andere Menschen auch ein Recht darauf, geschützt zu sein.”
      Das eigentlich Problematische an dem Urteil kam denn in dem Beitrag g a r nicht zur Sprache: Die tabuisierende Sonderrolle, die dem Erotischen zugesprochen wird. Denn, wie ich in den verlinkten Beiträgen ausgeführt habe, ist es vom BVerG ja nun gedeckt, jemanden Kenntliches etwa als Alkoholiker zu diffamieren; d a s darf man… wahrscheinlich darf man nun auch schreiben, jemand Kenntliches sei heißblütiger Sympathisant von Neonazi-Schlägern; nur daß er (oder sie) das Gesicht leidenschaftlich gern in einer Möse vergräbt, scheint von unzumutbarer Diffamierungskraft zu sein.

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