Abschieds- und Arbeitsjournal. Freitag, der 25. Januar 2008. Hausach und Berlin.

4.43 Uhr:
[Hausacher Hegerfeld.]
Soweit ist jetzt alles gerichtet; nun muß gewartet werden, ob es ein Testament gibt; ich bin mir sicher, aber darüber bekommt man amtlich Bescheid. Ich stelle hier jetzt erst einmal, vor allem in der Küche, wieder Ordnung her, rasier mich, dusch mich, pack mein letztes Zeug und nehme um 5.52 Uhr die Ortenaubahn nach Offenburg, von wo’s mit ICEs wieder heimgeht.
Hab gestern bis in die Fünfte Elegie hineinkorrigiert, aber noch bewußt drauf verzichtet, >>>> mein Dts zu führen. Das kommt heute abend wieder dran oder morgen in der Frühe. Oder ich trage es im Zug nach.
Neben mir steht der Kaffee, das Geschirr ist schon im Spülichtwasser, ich habe das Gefühl, im Sinn meiner Mutter geregelt zu haben. In etwas mehr als einer Woche werde ich noch ein letztes Mal herkommen und dann mit meinem Jungen, der sich das auch gewünscht hat. Es ist wichtig, daß auch er Leben und Tod zu verbinden weiß und ein Gefühl für Rituale bekommt. Ich habe, glaube ich, für meine Mutter eines ersonnen, ein kleines, das ihr gefallen hätte.

10.28 Uhr:
[ICE Mannheim-Berlin; kurz vor Hildesheim.]
Extrem müde und unkonzentiert, nein: konzentrationsunfähig; ich seh immer nur auf den Text, versuche, die Korrekturen zu übertragen, alleine das, aber begreife überhaupt nicht, was ich da tu, versuche es innerlicht laut zu lesen, bin dann angeödet, fall wieder in einen Schlummer. Undsofort. Um mich aufzuputschen, den Zug hindurchgeschritten zum Bistro. Es ist sehr voll. Ich merke, daß ich unterschwellig hochaggressiv bin, was auch an dem langen Nikotinentzug liegt, der zu meiner Konzentrationsunfähigkeit manch Übriges hinzutut.
Im Bistro wird bereits heftig getrunken, morgens um zehn. Und heftig grob gelacht. Ich bestelle ein alkoholfreies Bier. Die Bedienung: „Das haben wir nicht.“ Ich: „Das kann doch nicht sein.“ Sie: „Das hatten wir noch nie.“ Ich: „Das ist nicht wahr.“ Sie: „Dann war das eben nur eine kurze Testphase.“ Ich: „Ich kann doch nicht schon am Morgen Bier trinken.“ Sie: „Andere tun es aber.“ Ich: „Sie sehn ja, was für Typen das sind.“
Eigentlich bin ich aber nur sauer darüber, daß ich nicht in die Arbeit hineinkomme.

14.54 Uhr:
[Arbeitswohnung. Esther und Abi Ofarim.]
Das ist tiefe Kindheitserinnerung, was ich da höre, incl. meiner frühjugendlichen Verliebtheit in >>>> die Ofarim, eine innige Parallele zu der in >>>> Marie Versini als Ntscho-tschi, die ich mir aus einem Bravo-Starschnitt ausschnitt und lebensgroß übers Bett klebte, um allabendlich, mich auf die Zehenspitzen reckend, ihr einen Kuß auf die Papierlippen zu drücken. Da muß ich dreizehn/vierzehn gewesen sein und hatte überhaupt kein Problem damit, diese Fernlieben mit, man muß sagen: radikalem Tschaikowski-Hören und den ersten Seiten Sigmund Freud zu verbinden, zu denen sich fast zwei Jahre lang – immer wieder vorgenommen, immer wieder weggelegt, das war wie eine allerdings unerfüllbare Sucht – Dostojewskis Dämonen gesellt hatten.
Ich muß aber wirklich jetzt an die Elegien; hab mit der Frau eine Kleinigkeit zu mittag gegessen und mir jetzt einen extrem starken latte macchiato gemacht. Aber… aber nein… d a s hör ich mir jetzt noch an: „Komm, lieber Franz, noch einen Tanz“ (“dann geh ich heim zu meinem Mann, zu meinem armen, kranken Mann“). – Wie erzählt man so etwas?

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