Paul Reichenbachs Dienstag, der 8. April 2008. Sich schonen.

Gestern. In meinen Ohren ist ein Lachen, das leise beginnt uns sich immer noch steigert, bitter, boshaft und aus tiefstem Herzen. Es gellt mir nach als ich schon lange im Bett liege. Bock ist die noch geringste Beschimpfung gewesen, die ich mir ruhig ohne wegzuducken gestern Abend anhören konnte. Im Mittelpunkt des Gespräches, das den Samstag bei Freunden und unseren Ehekrach vor ihnen noch einmal Revue passieren ließ, stand plötzlich meine „litauische Krankheit“. Ich weiß nicht mehr, was mich geritten hat als ich ihr ohne Bezug zu vorherig Gesagtem davon erzählte. Da war die irre Hoffnung, die jeder Erfahrung widersprach, auf Verständnis. Und da war die Sucht, eine plötzliche in die Tür tretende Wut, sie an ihren empfindlichsten Stellen zu treffen, die von der Manie sich einmal ohne Rücksicht auf ihre Krankheit zu äußern, gespeist wurde. Wir, dachte ich heute morgen, der Kater nach dem Streit streifte unsicher nach ihrer Hand tastend über die Bettdecke, verletzen uns so sehr, weil wir noch immer einander mögen. Sanft, die Augen geschlossen nahm sie meine Hand und drückte sie vorsichtig. Beim Frühstück, keiner konnte dem Anderen so richtig in Augen sehen, das Radio dudelte leise, flüstert sie, die Worte kommen stockend, wir müssen uns trennen. Müssen und Sollen, schießt es mir durch den Kopf, mit diesen beiden Verben beginnt jede menschliche Katastrophe. Müssen und sollen, davon bin ich fest überzeugt, sind Ursachen für das Sterben von Lust und Liebe. Auch weil dadurch ein anderes Verb, das umgangssprachlich eher mit Rekonvaleszenz in Verbindung gebracht wird, keine Wirkungsmacht in unserem symbiotischen Gefühlshaushalt entfalten kann. Alltagsstress, alle möglichen Forderungen einer letztlich fremden Welt, stehen dem oft entgegen. Das Verb, von dem hier die Rede ist, heißt Schonen. Sich schonen, unangestrengt sein. Das schwebte mir und ihr vor, als wir vor über 30 Jahren unsere Füße, in tiefer Zuneigung und aus Leidenschaft, wider einer uns feindlich gesonnenen Welt, zusammen taten. Wir schonten uns nicht, auch späterer Emigrationsstress ließ dies nicht zu. Der Staat ging unter Das Verb schonen, lange vorher schon hatten wir es vergessen. Ich muss, sollte, könnte mal wieder >>>>Erich Fromm lesen.
Haben oder Sein.

>>>Bild: Ulrich Holst, Ruhe.

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