Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. Juni 2008. Mit einem Für Peter Rühmkorf.

5.16 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Es beunruhigt mich tief, daß sich >>>> Prunier seit März nicht mehr gemeldet hat und auch nicht auf Emails reagiert. Ich mache mir Sorgen. Seit ich spätgestern >>>> von Peter Rühmkorf hörte.

Morgenzigarette und latte macchiato. Bis halb 23 Uhr über den Fahnen gesessen, mit denen ich jetzt gleich weitermachen werde; danach gestern noch einen Moment beisammengesessen, dann schlafengegangen; das Zwillingsmädchen ist krank, 39.2 dann 39.7., abends 39.9; es schlief dann aber die Nacht neben mir einfach durch; ich wachte zweidreimal auf, legte dem Kind die Hand auf die Stirn, die vor sich hinglühte, heute früh war sie immer noch zu warm, aber das Fieber deutlich zurückgegangen, wenn nicht weg; und das Baby schlief einfach weiter. Eventuell erwacht es und ist gesund. Dafür spinnt meine linke Hand oberhalb der Handwurzel: möglicherweise motzt sie wegen meiner Dehnereien beim Celloüben; an solchem Müll merke ich, daß ich 53 und eben nicht mehr 20 bin; man merkt daran, daß Arno Schmidt völlig recht mit seiner Bemerkung hatte, es gebe keine Altersweisheit, sondern nur Altersstarrsinn. Wenn ich mich so umschaue, hab ich mich ja nett gehalten über die Jahre; wahrscheinlich, weil ich den Teufel tu und aufpaß, ja gesund zu leben; so habe ich kaum Zipperlein, immer mal wieder eine Kleinigkeit, aber das schüttelt sich schnell weg; andere, viel Jüngere, rennen schon mit Rückenproblemen rum, mit Kreislaufproblemen, grad jetzt bei der Hitze, usw.; selbst mein Junge klagt dauernd über dies und das; ich nicht; aber bei sowas merkt man’s eben doch. Ich werde dagegen anüben; die Hand kriegt ja von übermorgen bis zum Sonntag Ruhe, weil ich nach Heidelberg und Hausach muß und das Instrument hierlassen werde; es würde kompliziert, es in die Züge mitzunehmen, vor allem, jeweils ein Plätzchen zum Üben zu finden. Also werde ich während der Fahrten und vor Ort besser an den Gedichtsammlungen friemeln. Aber die Vorstellung, evtl. wieder ohne Cello leben zu müssen, macht mir keine Freude. Wille reicht nicht, selbst ich bin noch immer zu arrogant gegenüber dem Körper; Geist reicht nicht, da kann das Abendland sagen, was es will.
Es gab eine Irritation wegen eine/s/s Mitarbeiter/s/in Der Dschungel; es wird sich abermals etwas ändern; πάντα ῥεῖ: fließ, Regnitz, fließe, man muß es zulassen. Peter Rühmkorf ist tot; die Nachricht traf mich, ich erhielt sie gestern abend. Er war mir nie sehr nahe, deshalb wäre es ein Übergriff, ihm >>>> so etwas wie einen Nachruf auch nur zu skizzieren; aber seine Gegenwart hat meine literarische Entwicklung immer wie eine Hintergrundstrahlung begleitet, die ich wahrnahm, doch ohne daß sie mich erreichte; nun aber fehlt sie.

8.46 Uhr:
[Joonas Kokkonen, Zweite Sinfonie.]
Lange nicht mehr gehört, diese schöne Sinfonie. Und wieder bin ich über die Fülle erstaunt, die Vinyl gegen jede CDs entflammen kann.Fahnenkorrekturen abgeschlossen; jetzt muß ich noch einmal die Graphen neu zeichnen, da die anderen Vorlagen für das Buch zu matt sind. Und die Thesen stehen, da gibt es gar keine Frage. Bin jetzt ausgesprochen gespannt, mit welchen >>>> Bieri aufwarten wird. Als s e h r schmerzhaft empfinde ich es allerdings, daß mich der Pressetext nicht nur verschweigt, sondern geradezu ausschließt. Ich bin mir jetzt unsicher, ob ich nicht doch einfach erst am Freitag fahren, mittags mein Seminar geben und dann gleich wieder nach Hausach abreisen werde. Man muß sich ja seine narzisstischen Kränkungen, sind sie geschehen, nicht noch eigens real abholen fahren.

10.04 Uhr:
Es ist wie ein Schlag ins Gesicht.

15.48 Uhr:
Alle Welt mailt mir jetzt, ich solle doch >>>> meine Verletzung nicht zeigen, das freue die Gegner doch nur. (Gibt es denn nicht auch Gegner, die Ehre haben?) Doch, ich zeige die Verletzung. Ich spiele das Heuchel-Spiel nicht mit und gebe mich zu, ob das den Bürgern gefällt oder nicht. Ja, ich bin verletzt, und zwar um so mehr, als ich Wert darauf lege, nicht mit etwas hausieren zu gehen, das nur Schein ist. Jetzt steh ich wegen der Heidelberger Poetik-Dozentur wie ein Hochstapler da. Ich könnte die Decke hochgehn und bin völlig arbeitsunfähig; nicht mal Cello spielen mag ich. Und mein Junge mußte aus der Schule abgeholt werden, weil ihm schlecht geworden ist, und nun liegt er hier.

7 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 10. Juni 2008. Mit einem Für Peter Rühmkorf.

  1. Sehr schmerzhaft … @ Als s e h r schmerzhaft empfinde ich es allerdings, daß mich der Pressetext nicht nur verschweigt, sondern geradezu ausschließt.

    Wo genau tut es denn weh? – Vielleicht hilft Pinkeln an einen Pavillon?

    1. @Dr. Sommer. Ganz selbstverständlich, daß sich aber auch sofort die feigesten Hämer zu Stelle melden, wenn nur genügend Hyänen vorausheulen, daß der Leichnam schon stinkt.

      Zeigen Sie Gesicht, Mann. Aber immerhin kann ich, da Sie ja anonym sind, straflos behaupten, daß Sie sich auch als Auschwitz-Kapo anerboten hätten. Und wenn’s denn der Zeitgeist so will, sind Sie einer der ersten, jüdische Kinder mitzuvergewaltigen, wenn’s denn mal wieder die Macht in Richtung eines praktischen Antisemitismus’ marschieren läßt. – Moment, fällt mir zu Ihrem Charakter noch was Justiziables ein? — Nein, nur Ekel.

    1. @rostschleifer. Es sind nicht danach aus. Ich führ gerade einen Briefwechsel, in dem ich aber gebeten wurde, ihn nicht zu veröffentlichen – was ich rasend gern täte; aber ich will keine Dritten und Vierten mit reinreißen.

      Immerhin, man kann die Presseerklärung ja sofort ändern. Das ist das Netz. Da geht es nicht mehr, leise grinsend zu sagen: “Tut uns wirklich leid. Aber jetzt ist es halt passiert.” Also wolln wir doch mal schauen.

  2. feigeste Häme @ Ganz selbstverständlich, daß sich aber auch sofort die feigesten Hämer zu Stelle melden, wenn nur genügend Hyänen vorausheulen, daß der Leichnam schon stinkt.

    Werter Herr Herbst, was Sie als Häme vermuten – ist als Trost gemeint gewesen. Haben Sie es nötig, in jener Pesseerklärung erwähnt zu werden? Schrieb nicht ein gewisser Dr. Thomas Groß: »Es ist nicht die große, renommierte Heidelberger Poetik-Dozentur, die der Berliner Schriftsteller Alban Nikolai Herbst in diesem Semester innehat. Wäre es anders, stünden seine Vorträge und Seminare kaum unter dem eher akademischen Titel “Kybernetischer Realismus”. Eingeladen allein vom Germanistischen Seminar, doziert Herbst nicht in der repräsentativen Alten Aula, sondern im Hörsaal in der Karlstraße.«
    Diese Zeilen empfand ich für Sie als Schlag ins Gesicht, auch wenn dieser Herr nur “Literaturchef” des Mannheimer Morgens ist.

    »Bosheit, mein Herr, ist der Geist der Kritik, und Kritik bedeutet den Ursprung des Fortschritts und der Aufklärung.« Settembrini zu Hans Castorp (T.Mann, Zauberberg). – Aufmunternde Bosheit und nicht feigeste Häme; im “Anti-Herbst” fühlte ich mich falsch aufgehoben.

    @Aber immerhin kann ich, da Sie ja anonym sind, straflos behaupten, daß Sie sich auch als Auschwitz-Kapo anerboten hätten.

    Es liegt in der Natur des Dr. Sommer anonym zu bleiben; Dr. Sommer war schon immer ein “Bravo-röses” Team. Den Auschwitz-Kapo ignoriere ich, obwohl mein Vater in Oranienburg war – als Häftling wohlgemerkt.
    Ich habe seit Berlusconis und Martin Schulzens Disput im Europa Parlament den Kapo-Vergleich aus meinem Repertoire gestrichen. Von den Kontrahenten mag ich weder den einen noch den anderen.

    1. @Dr. Sommer. Dann entschuldige ich mich, nicht wegen Oranienburg, das wäre kein Grund für S i e, aber wegen meines Mißverständnisses. Mit schwillt hier nur gerade die Galle, weil mir Hintergründe klar werden, die mit meiner alten Literaturbetriebs-Geschichte zu tun haben. (Ich hatte übrigens gar nicht den Impuls, Sie in den Anti-Herbst zu tun, obwohl ich gar nicht wußte, weshalb nicht. Jetzt weiß ich’s.)
      Thomas Groß’ Bemerkung wurde mir erst nach dieser Nachricht heute klar; ich hatte mich seinerzeit auch darüber geärgert und mich aber doch gewundert, daß er meine Vorlesungen zugleich gegenüber denen der anderen sehr positiv hervorhob. Das bekam ich nicht zusammen. Jetzt schon.

      Mittlerweile werden vor allem auch formale Hintergründe klar, die einen solchen Schlag ermöglichen konnten. Ich stelle meinen offiziellen Briefwechsel gleich ein; damit schade ich niemandem.

      “Haben Sie es nötig, in dieser Presseerklärung erwähnt zu werden?” – Ich halte es mit der Wahrheit. Darum: Ja.

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