die sonne schien…

… um 07.00 uhr warm in diesen kühlen morgen. milchkaffee und zigarette auf dem balkon. ich werde heute den herbst begrüßen. ein herbstputz soll das frühjahr und den sommer hinter sich lassen. wenn ich die erste glänzend in ihrer frucht nackte kastanie finde, die fand ich gestern, ist für mich herbst. ich hebe sie immer auf, stecke sie in die jackentasche der jacke, die ich gerade trage, dort bleibt sie dann… und ich freue mich über jede, die ich danach noch in die andere jackentasche stecken kann, diese überwintern später auf meinem tisch im wohnzimmer. immer wenn ich die erste kastanie in meiner handinnenfläche liegen sehe, werde ich ganz still, denke an „den wind im wolkenwagen“, an paul celans zeile „erst jenseits der kastanien ist die welt“ aus „mohn und gedächtnis, 1952.“
das gilgamesh-epos zieht mich schon ganz in seinem bann. eine meiner ersten übersetzungen, von albert schott, aus dem reclam-verlag von 1972, bekam ich von meiner großmutter im alter von 12 jahren. damals begann ich auch die ersten fragen zu stellen, wurde mit dieser ständigen fragestellerei den priestern in der kirche unangenehm, eben weil sie mir meine fragen nicht beantworten konnten. manchmal war es mir eine freude, sie im religionsunterricht, wir kinder wurden in unserer kirche, nicht in der normalen schule unterrichtet, sie in verlegenheit zu bringen. durch meine großmutter wurde im alter von 12 jahren mein erster blick auf die, das möchte ich heute so sagen, wurzeln unserer wiege ein anderer. deshalb es gab viel streit mit meiner mutter, aber nie mit meiner großmutter.
ich werde nie diesen augenblick vergessen, als wir kinder… alle kinder verschiedenen alters, die zum religionsunterricht ab einem bestimmten alter von der kirche zu diesem eingefordert wurden, auf diesen alten holzbänken saßen, und über die arche noahs und die sintflut sprachen. ich kannte damals diese stelle aus dem epos ganz genau. ich hob meinen finger, weil mir diese frage auf der zunge lag, sie wollte so schnell wie möglich raus aus meinem kopf, wollte ausgedrückt, gefragt werden: „hat außer noah noch jemand eine arche gebaut, ich mein, viel früher?“ „nein, natürlich nicht, wie kommst du darauf.“ ich hab von meiner oma ein buch bekommen, es ist eine geschichte, die um 2000 vor christus in keilschrift geschrieben und später übersetzt wurde. da steht die geschichte einer sintflut und dem bau einer arche schon viele jahre vor dem neuen testament drin.“ alles war still, der priester bekam einen roten kopf. später stellte sich heraus, dass er dieses epos nicht kannte, und noch einige zeit später wurde mir vor dem gremium von priestern, ich wurde tatsächlich mit meiner mutter vor dieses zitiert, ging aber mit meiner großmutter, verboten, fragen dieser art zu stellen. was zur folge hatte, dass ich kurz nach meiner konfirmation dieser institution den uns vermittelten glauben quittierte. die grundlage unserer erziehung war die luther-bibel. ausschlaggebend für meine fragen war schon einige jahre vorher die geschriebene tatsache, dass gott adam und eva erschuf, diese zwei söhne hatten, kain später abel erschlug, dann in ein anderes land ging, und sich dort ein weib nahm. in den ersten stunden meines religionsunterrichtes fragte ich den priester, ob er wisse, woher denn dieses weib gekommen sei, wenn gott tatsächlich doch nur adam und eva erschaffen hat. später dann kam eben der inhalt des gilgamesh-epos dazu, aus diesem grund bin ich diesem epos seit meiner kindheit so verhaftet, weil es mir eine andere ausrichtung meines blickwinkels ermöglichte. „hör nie auf fragen zu stellen“ sagte meine großmutter. „ein land hat immer mindestens zwei ufer“ antwortete ich. „nicht jedes land.“ „aber dieses land, es liegt doch zwischen den flüssen.“ meine großmutter lächelte, senkte den blick wieder auf ihr kreuzworträtsel. 3 monate später durfte ich mir ein thema für ein referat in der schule selbst aussuchen, ich wählte natürlich dieses. ich fraß eine zeit lang alles, was ich über dieses epos fand und in diesem alter verstand. die geschichte mesopotamiens, seiner völker, der sumerer, der akkader, assyrer, und hethiter, die keilschriften und ihre über jahrhunderte andauernde problematik, sie zu entschlüsseln, zu guter letzt das epos selbst. meine großmutter unterstützte mich, wo sie konnte. eine 1 + bekam ich damals. der lehrer argwöhnte, es habe jemand anderer geschrieben: „nein, geschrieben habe ich, gelehrt hat es mich meine großmutter und die art der antworten, die ich auf meine fragen bekam.“ es gefiel ihm nicht, dass ich nicht auf die thematisierung meiner gefühlten abhängigkeit des biblischen gedankengutes vom dem mesopotamischen in bezug auf einige stellen des alten testaments verzichtet hatte, weil er einige tage später mit dem religionslehrer der schule in eine auseinandersetzung geriet. im religionsunterricht wurden auf grund meiner im referat geäußerten gedanken jetzt fragen gestellt. von da an war ich in der klasse außenseiter. die lehrer guckten mich schief an, die schülerinnen und schüler sowieso. manche sagten es durch blicke, manche hänselten sehr gemein. ich konnte das so stehen lassen, ließ sie mit ihrem gedankengut mir gegenüber allein. schon damals war es mein leben, nicht das der anderen.