Arbeitsjournal. Sonnabend, der 30. August 2008.

11.36 Uhr:
[Arbeitsjournal. Bach, Kantate „Phöbus & Pan“ (Cass-„Projekt“, Nr. 13).]
Nachdem ich dann >>>> gestern noch in die Arbeitwohnung fuhr, um hier zu übernachten, sah ich mir „Il mercante de pietre“ an, und wenngleich ich in einiger Hinsicht >>>> dem Spiegelfechter zustimmen muß, ist in dem Film doch zugleich eine der schönsten Liebeswerbungen erzählt, die mir je vor Augen und Ohren gekommen sind, und ganz so einfach, daß der Steinhändler die schöne Frau benutze, ist es eben n i c h t, sondern auch hier wirkt eine enorme Tragik, das meint eine wissende Verfallenheit und macht den Film dann eben doch kunstwürdig, und zwar eben auch dann, wenn man die politisch/moralische Islamophobie, die den Film wirklich anfüllt, alles andere als teilt. Ja das Werben des Steinehändlers, in geradezu Wort- und Märchenkallographien, gibt dem Islam sogar in seiner terroristischen Unterfütterung einen sinnlichen Wert, der vielleicht seine Aura nur versehentlich ausstrahlt – aber er s t r a h l t sie aus.
Und zwar so sehr, daß ich dieses Liebeswerben verträumt habe und heute früh mit >>>> dieser Geschichte erwachte, weiter bereits, als sie dort erzählt zu werden angefangen wurde, nämlich bis zum Ende, allerdings nur das nackte Gerüst, welches der entkleidete Körper dieses Mädchens ist, das an der Schwelle, Frau zu werden, steht, deren Wille aber diese Schwelle schon überschritten hat, und er, Belmann, weiß, daß, wenn er dem Mädchen die Hand gibt (denn die Türschwelle trennt seinen Lebensraum von dem des Mädchens), eine Katastrophe auf ihn warten wird. Eine große Lust. Und eine Katastrophe, mit der er sie bezahlt.

(Hab mir das Thema der Kunst der Fuge herausgesucht – die Partitur aus dem Netz heruntergladen – und übe jetzt am Cello, mit genau diesen Noten zu einem schönen Ton zu finden. Im übrigen arbeite ich kaum, sondern lese >>>> den Dauthendey weiter: terra caliente)

17.28 Uhr:
[Reger, Cellosonate a-moll (Cass-„Projekt“, Nr. 14).]
Was mir lange nach „Phöbus & Pan“ einfiel, diesem von Bach komponierten Wettstreit zwischen U- und E-Musik, in Kombination damit, daß ich vor Freude einen mentalen Luftsprung machte (physisch nicht, weil ich mir sonst die Knie an der mittleren Schreibtischschubalde gestoßen hätte), als ich den endgültigen Titel des horen-Themenbandes zu ANDERSWELT erfuhr… und was sich dann ganz schnell in mir mit Nietzsches Unterscheidung von apollinisch und dionysisch (per Paglia: „panisch“!) zusammenfügte: – daß es mir immer darauf angekommen ist, das Rauschhafte zu bewahren, aber es über die komplexe Form und eben nicht übers populär-Einfache zu erreichen. Daß das ein Grundwiderspruch ist, wurde mir eben bei der Rasur und unter der Dusche klar, und daß ich vielleicht auch deswegen Wagner so schätze und daß ich vielleicht deswegen bei Dallapiccola und Stockhausen derart „abheben“ kann… dieses ist vielen meiner Leser nicht nachvollziehbar, glaube ich, schon gar nicht den meisten meiner Kritiker, für die das eine immer auf die eine, das andere immer auf die andere Seite gehört. Ich will Rausch und Form verbinden. Ent-Ichung, also Entformung, u n d Haltung (Disziplin), was wiederum Form ist. „Sie wollen immer das Unmögliche verbinden“, sagte vor vier Jahren mein Analytiker oft. „Sie verbinden entgegengesetzte Weltbereiche, den Tod auf Vulkanen mit der Fruchtbarkeit von Menschen und Frauen immer mit Gefährdung und Sexualtät überhaupt immer mit Kampf.“ Tatsächlich wäre ja das Populäre, ich sprach gestern einige Zeit mit K. darüber, dasjenige, wo sich Harmonie unter den Menschen herstellt; sie nannte die Atmosphäre in den Clubs, die sie mag, „vollendet friedlich“; tatsächlich ist aber auch das Durchgeformte, schon so genannte Harmonische, wie es Goethe gedacht haben mag, ein vorgenommener Ausgleich, während ich die Bereiche aufeinanderknallen lassen und Explosionen erleben möchte. Ich bin also beiden Seiten fern, letztlich, sowohl der U- wie der E-Seite. Das, genau das, ist mir eben klargeworden.

Ganz wunderbar!: >>>> Dauthendey, der sich momentan wie ein Karl May für Erwachsene liest, der es zu Niebelschütens sprachlichen Schönheiten gebracht hat, über eine Frau:
Sie sagte mir keinen Dank für die Rettung in Neu York, auch jetzt keinen Dank dafür, daß ich sie aufgefangen hatte. Sie hatte es nur eilig, von mir fortzukommen, als wäre ihr verboten, mit einem anderen Menschen, als mit ihrem kleinen Gemahl zu sprechen.
Sie ist wie ein fliegender Fisch, dachte ich, unbeholfen, wenn ihr etwas zustößt, und allgeschwind, wenn sie wieder fortschnellen kann, und sie ist sicher auch so wohlschmeckend wie ein fliegender Fisch, wenn man sie sieden machen könnte!
Ich habe sogar im Bett gelesen, seit Jahren mal wieder. Mittags. Und nach derm Schlaf am frühen Nachmittag, bevor ich ans Cello ging. Gearbeitet: Nüschts.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 30. August 2008.

  1. das thema von der kunst der fuge kann sogar ich am klavier spielen, was immer ein besonderes vergnügen ist, weil man schon in diesen paar tönen die tiefe spürt, die da angelegt ist… am cello beneide ich sie jetzt darum, das auch bald zu können… spielen sie das thema, und nicht zu ernst sein dabei.

    es geht, bei aller tiefe, auch um das spiel

    thema bwv 1080

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