Frauen. Ninaeva, 1 (möglicherweise).

Belmann, als er sich auf Rügen zur Ruhe gesetzt hatte, erhielt den handschriftlichen Brief Ninaevas, der zwölfjährigen Tochter eines Geschäftspartners früherer Zeiten, durch einen Botenjungen zugestellt. Der freche Bursche ließ sich nicht abweisen und reichte dem Millionär, der an seinem Schreibtisch saß, den Brief mit vorgeschobener Unterlippe und einer Geste, die man hätte abfällig nennen können. „Sie möchte eine Antwort“, sagte er. „Sie möchte sie gleich.“ Er war kaum älter als Ninaeva selbst.
Belmann äußerte sich nicht, hatte aber so sehr das Gefühl, vor einer Lebensentscheidung zu stehen, daß er dem Personal klingelte. Er hatte sich erhoben. „Bringen Sie dem Buben einen Kakao“, sagte er, um die Verhältnismäßigkeiten zurechtzurücken. Dann erst öffnete er den Brief, er tat es mit ungewöhnlicher Sorgfalt, fast Zärtlichkeit und las ohne alles Staunen und Erschrecken: „Ich liebe Sie und will, daß Sie mich nehmen.“
„Setz dich“, sagte Belmann zu dem Jungen, der, weil Belmann so lange keinerlei Regung gezeigt hatte, nervös zu werden schien. Auch wurde der Kakao gebracht. „Setz dich und trink.“
Belmann hatte das Mädchen sofort vor Augen. Dieses Angebot, dachte er erst, war eine Falle. Aber er fühlte sie nicht, anders als Intrigen sonst. Sein warnender Instinkt schwieg, statt dessen stieg aus den wenigen Zeilen des Briefes eine dunkle Lockung auf, die, dachte Belmann, mit dieser Welt nichts zu tun hatte.
„Du weißt, was in dem Brief steht?“ fragte er den Jungen.
Der stotterte, sagte nein, sagte jein und errötete etwas.
„Du weißt, was in dem Brief steht“, stellte Bellman fest.
„Es ist eine Wette“, gestand der Junge schließlich.
„Eine Wette?“
„Ja, wir haben, Nina, Jürgen, Claudia…. und ich haben…“
Mit einer Handbewegung schnitt Belmann dem Jungen das Wort ab und schrieb seinerseits zwei Sätze auf einen Halbzettel, couvertierte ihn ein, schrieb nur Ninaevas Namen auf den Umschlag. „Gut“, sagte er dann und streckte den rechten Arm, die verschlossene Nachricht in der Hand, ganz ebenso fordernd aus wie vorhin der Junge den seinen. „Dann lauf und bring ihr meine Antwort.“
Als der Junge fort war, überlegte Belmann momentlang, ob er Ninaevas Vater verständigen solle, verwarf den Gedanken aber wieder. Schritt auf die Terrasse, setzte sich auf einen der weißen Stühle, schaute in den Park und fiel, wie früher vor seinen großen Geschäftsentschlüssen, in eine so tiefe Melancholie, daß sie fast zwei Stunden währte. Da wurde ihm Ninaevas Besuch angemeldet.

2 thoughts on “Frauen. Ninaeva, 1 (möglicherweise).

  1. Schön!
    Und dann erstmal lange nix. Dann aber doch noch was: Hoffentlich ist es keine Wette. Sondern etwas sehr viel Ernsthafteres. Auf die Realwelt bezogen, erinnert mich der Plot an Gerüchte, die ich mal über jenen Frankfurter Verleger hörte, der heute irgendwie noch nicht ganz Ex-Verleger ist. Und das Abgeschmackte und Widerliche an solchen Vorgängen, das auf der Hand liegt – und aber die Möglichkeit zur Poesie, die in ihnen doch auch stecken muß. Würde mich also sehr interessieren, daß Sie das weiter erforschen (bzw. hier einstellen, was Sie herausgefunden haben), da Sie ja, so lese ich das, dieser verwegenen Möglichkeit von Poesie zwischen alten Machtsäcken und “eben erblühten jungen Mädchen” nachgehen wollen.

    1. @Olsemirnix. Ich möchte die “Erforschung” gar nicht weit treiben, sondern ihr Ergebnis setzen in Form eines “reinen” Berichtes, der so kurz ausfallen sollte wie die seinerzeit ziemlich umstrittenen Devertimenti des (unabgeschlossenen) >>>> “Willige Frauen”-Serials. Das war auch das, was mich >>>> gestern an dem von Keitel gespielten Machtsack Vicedomini faszinierte: wie das W o r t, wie die Rezitation (“Quran”!) über die Sinnlichkeit zu verfügen begann, indem er sie zu Träumen bringt und im Wortsinn verführt. Wäre ich Moslem, ich wäre vermutlich Alevit. Ninaeva wird nichts tun als dazusein und sich anzubieten, ohne Hintergedanken. Die Wette, wenn der Anlaß eine gewesen sein sollte, ist nicht der Anlaß gewesen, sondern der Vorschub. Alles übrige findet sich in Belmanns Schicksal allein. In dem Moment, in dem er es annimmt, ist er nicht länger mehr das, was Sie zu recht einen alten Machtsack nennen. Indem er das moralische Gesetz übertritt und sich verwundbar macht, wird er frei.
      Aber das ist alles nichts als eine Interpretation – die Eigeninterpretation einer Begebenheit, die ich geträumt habe und für die ich ein Wortbild dichte, um ihrer Realität gerecht zu werden.

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