Arbeitsjournal. Sonnabend, der 13. September 2008.

5.31 Uhr:
[Arbeitswohnung. Beethoven, Sämtliche Streichquartette, Amadeus (op. 131, Cass.-„Projekt“, Nr. 37). Heute ist der erste Herbst-Tag für Pullover, und auch meine Schals habe ich eben bereitgelegt. Latte macchiato.]Beethovens späte Streichquartette kann in der Tat sogar Amadeus nicht kaputtspielen, da springt i m m e r was über. Was einen ja beruhigen kann, vielmehr: gut beunruhigen sollte, ah: Vulkane unter dem Asphalt… Fred Lichts >>>> Villa Ginestra ist angekommen, der Roman, den ich „auf die Schnelle, aber bitte lesen Sie g a n z!“ bis zum 22. September für den WDR besprochen haben soll; ich nehme im Augenblick jeden Auftrag an, der ein wenig Geld bringt; jedenfalls sind das 450 ausgesprochen seriös gesetzte Buchseiten, also keine, bei denen im Durchschuß zwischen den Zeilen der Ruf erschallt: Zeig dich fetter, als du bist… bei Handkes >>>> Niemandsbucht seinerzeit war das von Suhrkamp bis in die Tollheit getrieben; ich habe damals gespottet, in die Durchschüsse schriebe ich fünf weitere 1000seiter; heimtückisch bei solcher Platzschinderei ist, daß dann auch noch mit dem Interesse des Lesers argumentiert wird, den man betrügt: große Schriften seien leichter lesbar. Na gut.
Jedenfalls ist jetzt wieder scharfe Zeitplanung erfordert, die dann immer noch umgestoßen werden kann, sollte >>>> Dielmann wider mein, aber getreu seinem Erwarten doch noch mit den letzten Gedichten herüberkommen; falls nicht, geh ich davon aus, daß es mit DER ENGEL ORDNUNGEN in diesem Herbst nun doch nichts wird, jedenfalls nicht bis zur Buchmesse. Da ich eh drei Bücher in diesem Jahr habe und dazu noch der >>>> horen-Band zu ANDERSWELT erscheint, macht mich das nicht nervös, sondern ich werde mich dann halt auf >>>> die AEOLIA konzentrieren, auf >>>> MEERE, auf >>>> die Buchausgabe der Heidelberger Vorlesungen, und ganz sicher wird es die eine und/oder andere Veranstaltung der horen auch noch geben; immerhin sind in dem Band einige Erstabdrucke enthalten, sogar einer zu >>>> Arndt, nämlich den MENSCHENJÄGER von 1989, also bereits aus Arndts Terrorismus-Zeit, mit der er seine Ausfälle überwunden hat. Er möge mir diese Ansicht nachsehen.
Gut. Tagesplanung (ich würde aber zu sehr persönlichen Belangen auch wieder einmal gern Tagebuch schreiben; vielleicht komm ich über die nächsten Stunden dazu; es wäre eine Art Selbst- und Standpunktsbetrachtung, die schon seit ein paar Tagen, eigentlich sogar Wochen in mir umgeht).

6 – 9 Uhr
„Villa Ginestra“ lesen.
9 – 10 Uhr
Cello üben.
11 – 12 Uhr
Korrespondenz, Die Dschungel, Allgemeines.
12 – 13 Uhr
„Villa Ginestra“ lesen.
13 – 14 Uhr
Mittagsschlaf.
14 – 15 Uhr
„Villa Ginestra“ lesen.
15 – 16 Uhr
Cello üben.
16 – 18 Uhr
„Villa Ginestra“ lesen.
18 – 20 Uhr
Ans Terrarrium radeln. Abendessen, mit dem Jungen
Cello üben, selber noch etwas Cello üben.
Danach.
Offen. „Villa Ginestra“ lesen, vielleicht Ricarda
Junge weiterlesen, vielleicht ausgehen. Vielleicht
von allem etwas.

[Beethoven, Klavierkonzert nach dem Violinkonzert D-Dur (Cass.-„Projekt“, Nr. 39).]
Villa Ginestra, gelesen bis S. 68 incl. Schon beeindruckend, wie Licht aus dem Handgelenk in „Joseph Jacobson“ (k l u g e Namensfindung…) ein Portrait des flüchtenden Walter Benjamins in seinen Roman flicht und vor allem ihn selber aus einem Brief sprechen läßt. Dieser Brief endet mit der schematischen, sehr sehr kleinen Abbildung vierer Zypressen wie als einem Kapitelschluß, wenngleich das Kapitel danach noch weitergeht.
Ich frühstücke jetzt eben etwas, dann setz ich mich ans Cello.

15.51 Uhr:
[Bach, Goldberg-Variationen, Fassung für Streichtrio von Dmitri Sitkovetsky “Glenn Gould gewidmet”; (Cass.-„Projekt“, Nr. 41).]
Villa Ginestra, S. 165. Eigenartig: Manches an dieser Erzählhaltung erinnert mich an die Gemütlosigkeit Aues bei >>>> Littell. Der Eindruck ist ungerecht, zudem auf wirklich-unmoralische Weise politisch nicht korrekt, dennoch habe ich ihn. Seltsam auch, daß die gesamte Szenerie, gerade im Florenz der späten Dreißiger in diesem luxuriösen Mileu ausgesprochen deutlich ist, aber die Figuren, selbst die Hauptperson, Cousine Renée, seltsam blaß bleiben – verblaßt wie alte Fotografien; vielleicht rührt mein Eindruck der Gemütlosigkeit auch daher.
Hab ein bißchen umdisponiert und nach dem Mittagsschlaf e r s t weitergelesen, zum Espresso, dann mich rasiert, sogar die Augenbrauen geschnitten (von jeder meiner Frauen ist mir wenigstens e i n e Eigenart immer geblieben; diese stammt von A., meiner afghanischen Geliebten von vor vier Jahren, die sich deftig dagegen stemmte, daß ich meine Brauen kultivierte wie mein Freund DB die seinen), auch die Hoden rasiert (diese Eigenart blieb von C., die es liebte, es an mir zu tun; auf meinem Schreibtisch steht immer noch das Parfum von B., ohne die ich 1981/82 >>>> DIE VERWIRRUNG DES GEMÜTS nicht geschrieben hätte, jedenfalls nicht s o ), dann geduscht, gecremt und sehr sehr laut dazu Glenn Gould Beethovens Variationen c-moll spielen lassen. – Eigentluich gehören diese Bemerkungen aber schon in den Tagebucheintrag, den ich mir vorgenommen hatte.
16 Uhr. Ich setz mich noch einmal ans Cello.

17.27 Uhr:
Diese Sitkovetsky-Goldberg-Fassung ist geradezu i r r e schön (Dmitri Sitkovetsky, Violine, Gérard Caussé, Bratsche, Mischa Maisky, Cello. Dazu entwickelt sich die Villa Ginestra gerade zu einer Agenten-Story.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 13. September 2008.

  1. “Eigentluch gehören diese Bemerkungen …” … nicht in einen kommentar. aber, wie mir scheint, angeln sie nach kleinlichen seelen. wenn sie mich fragen, wäre ein “o” (eigentloch) klanglich schöner, weil heller. und helle töne trösten über den ausklang des sommers hinweg. ich setz mich dann noch einmal an meine guitar.

    1. @g.emiks. Es soll offenbar nichts werden mit dem Tagebuch derzeit; ich müßte zu weit ausholen, müßte erzählen, Früheres, Gewordenes, und das bekäme ich ohne Zeitdruck momentan nicht angemessen hin. Also verschieb ich. Es geht ja um einen ganzen E n t w u r f, nicht nur um Vornahmen und Einhaltungen und ein Jenes, das vom Weg oder den Wegen abwich. Das “u” hab ich verbessert; aber so, daß Ihr Einwand verständlich bleibt.

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