dieses kleine…

… mit dem titel „ehmaliges landarbeiterhäuschen“ inserierte haus habe ich mir heute angesehen. außer mir erschienen noch drei familien, mit kind, kegel und hund. die immobilienmaklerin wusste nicht recht, wie sie uns alle aufteilen sollte. ich machte den vorschlag, dass während ein teil der interessenten sich das haus von innen ansieht, der andere ja erst einmal die außenbegehung machen könne. das offensichtliche drängeln wollte ich eben diesen anderen überlassen, schloss mich also der außenbegehung an. ein sehr schönes grundstück, mit einem großen garten, zwei apfelbäumen… unter einem stand eine kleine grüne bank. eine kinderschaukel stand einsam mittendrin, verrostet, das schaukelbrett an seinen seilen mehrere male oben um die querstange gewickelt. ein kleiner holzschuppen für das gartengerät. hinter dem haus mit eingang zur großen wohnküche eine wirklich sehr geborgen liegende terrasse, mit alten steinen am boden eingefasst, zwischen diesen überall kleine pflanzen wachsend. über dem giebel des hauses befand sich die krone einer großen blutbuche. ein mit sicherlich viel liebe und müh gestaltetes und gepflegtes grundstück. der rasen, wie mit der nagelschere geschnitten, die begrifflichkeit, die sich in meine gedanken in diesem moment einschlich, ließ ich gleich wieder von dannen schleichen.
danach durfte ich mir das häuschen von innen ansehen. in dem moment, als ich die tür zumachte, schloss ich tatsächlich die tür zur außenwelt, oder zumindest der welt, die mir mein eigenes universum bedeutet. dieses durch das haus gehen war für mich ein einziges staunen, ein fassungsloses gucken, sagen konnte ich lange zeit nichts. die maklerin schaute mich immer wieder fragend an. das innen eines hauses, in dem irgendwann die zeit stehengeblieben ist. vergangenheitsgeschwängerte, feucht dumpfe luft stand in diesen zimmern, aber sie stand nicht nur, sie lag auf allem, was sich in diesen räumen befand. für eine weile schaute ich mir wahrscheinlich deshalb eher die menschen an, die in diesem haus lebten, wollte wissen, wessen leben da so angehalten hat.
seit 30 jahren nicht tapeziert, nichts gemacht. aus dem badezimmer ging ich rückwärts gleich wieder raus, obwohl mich das faszinierte, was ich sah. eine ursprünglich zitronengelbe farbe, die sich im lauf der jahre auf der abblätternden rauhfasertapete verbräunlichte, schimmelflecken in sämtlichen ritzen und ecken allein schon der wände. in der kleinen dusche mit plastikduschvorhang, der unten an seinen enden pechschwarz war, ein zusammengeklappter wäscheständer, an dem noch feuchte wäsche hing. kein spiegel über dem waschbecken, auf den rändern der zahnputzbecher, eine dicke, rissig eingetrocknete weißliche schicht. das waschbecken und auch die dusche standen vor dreck. die küche war groß. die wände tapeziert, wie im badezimmer inzwischen nachgebräunt, mit kleinen unter dieser schicht durchscheinenden blümchen, oben in den übergängen zur decke hatte sie sich deutlich gelöst, hing einfach in fetzen runter. ein tisch inmitten der küche, an dem der mann, der ehemann seiner frau, der vater seiner kinder, und mieter dieses hauses, im grauen trainingsanzug mit dreckig abgebrochenen findernägeln an den dicken wurstfingern zigarettendrehender weise saß und nebenbei qualmte, völlig unrasiert „moin, moin“ sagte, und nicht mal hoch schaute. wir gingen an ihm vorbei.
im wohnzimmer zwei fenster, wolkengardinen, auf halber höhe. jeweils rechts und links in der gleichen reihenfolge auf den fensterbänken positioniert die gleichen blumen, in ihren positionierungen jeweils auch die gleichen farben. eisbegonien, azaleen, alpenveilchen. dazwischen die gleichen kleinen keramikfigürchen. das ganze zimmer wirkte seltsam ungelebt. alles stand einfach nur da, wie lange nicht bewegt. überall auf den möbeln und gegenständen eine dicke staubschicht. die luft in diesem raum konnte man durchschneiden, erinnerte mich an unsere gute sonntagsstube von früher, in der wir immer nur sonntags sitzen durften, ein geruch von bohnerwachs, altem holz und modriger feuchtigkeit, mit kaltem einschlag. keine bücher.
in das schlafzimmer ging ich nicht. ich betrete kein fremdes schlafzimmer mit meinen straßenschuhen. ich sah aber auch etwas, was wahrscheinlich nur ich registrierte. hier schlief nur eine person. die linke bettseite war unberührt, wie lange nicht berührt. eine hellblau glänzend gesteppte decke über dem bett, der stoff der lampe über dem bett in der gleichen farbe, dazu passend die rüschen der deckchen auf den nachtschränkchen. blümchentapete, die sich durch die feuchtigkeit der mauern in ihrem hintergrund von diesen an vielen stellen löste. ein alter, um das bett, auf der rechten seite etwas mehr, völlig abgelaufender beigebrauner teppichboden. der anblick dieses schlafzimmers erschütterte mich, ich fragte mich, wie ein mensch in so einem schlafzimmer überhaupt schlafen kann, und das wahrscheinlich so viele jahre. ich fühlte die schwingungen in diesem schlafzimmer, sah das ehepaar vor mir, und fragte mich „und wo schläft er?“ diese schwingung, die ich empfand, ging durch das ganze haus.
oben die drei kleinen zimmerchen gaben mir dann den rest. ein absolut feuchtes obergeschoss, in allen drei zimmern blühte die feuchtigkeit des undichten daches durch die zimmerdecken. es war alles einfach nur klamm, der schornstein in dem großen zimmer konnte jahrelang durchsiffen, eine teerverbrämte luft kroch mir in die nase. ich fühlte, wie feuchtigkeit in meine haare kroch, sich auf meine haut legte. zwei dieser zimmer waren seit jahren völlig ungenutzt, im dritten zimmer ein schlichtes bett aus kiefernholz, wie ein ehemaliges kinderbett wirkend, ein stuhl, ein tisch, vier wände, ein fenster. vom bett stieg ein modriger geruch ins zimmer. die bettwäsche sah aus, als ob sie mehrere jahre nicht gewechselt war, unter dem oberstoff der bettwäsche sah man einzelne kleine erhebungen, wie klumpen zusammengefügt, welche sicherlich mal federn waren. oben hinter dem kopfende des bettes ein kleines schwarzes tischchen, die farbe an den kanten abgestoßen, an den schmalen beinen abgeblättert, eine kleine dunkelbraune lampe, daneben ein überquellender aschenbecher, asche überall ringsum verteilt, und eine kaputte brille. über dem stuhl hing die jacke eines blauen trainingsanzuges, alte socken lagen unter dem tisch. ursprünglich weiße rauhfaser, völlig vergilbt, immer wieder dick übergestrichen, und wieder vergilbt. eine genauso vergilbte nylongardine vor dem fenster, ließ mich an die gardineneumel denken. und, „hier schläft er“ dachte ich… „sie schläft dort unten, und er schläft hier oben.“
auf dem weg nach unten kam ich an einer kleinen vitrine vorbei. glasgeschützt viele bilder von kindern. „das sind unsere kinder“ sagte sie, die mutter dieser. „wir waren vier zu hause“ sagte ich. „wir haben fünf kinder“ antwortete sie. „seit wann leben sie hier?“ „seit 45 jahren, aber die kinder kommen schon seit jahren nicht mehr“, sie blickte in die richtung ihres im flur stehenden mannes. er hörte es nicht.
im ganzen haus keine bücher. ich konnte mir den kontrast zwischen der gepflegtheit dieses grundstückes und dem innen dieses hauses erst nicht erklären. später ging ich mit der frau noch einmal durch den garten. „das ist mein garten, es ist alles, was mir geblieben ist“ sagte sie, und setzte sich auf die kleine bank unter dem apfelbaum. ich setzte mich dazu, wir schwiegen eine ganze weile. „es ist wirklich ein sehr schöner garten, er lässt mich den garten meiner großmutter erinnern.“ „nicht den ihrer mutter?“ „nein.“ wieder schwiegen wir. „sie wollen es nicht mieten“ „ja“ „ich würde es auch nicht mehr mieten wollen.“ wieder ein schweigen zwischen uns, ein schweigen, welches wir beide nicht peinlich empfanden. die ganze zeit, während die anderen interessenten sich das haus von innen ansahen, saßen wir da, und schwiegen. in dieser zeit versuchte ich, den garten mit ihren augen zu sehen. „ihr garten ist ein wirklich sehr schöner garten, so seltsam schön, an dieser stelle, an dieser straße, an diesem haus.“ sie sah mich an, tränen stiegen in ihre augen „warum begegnet man menschen wie ihnen so selten.“ ich antwortete nicht, ich konnte nicht anders, nahm sie einfach in den arm. es war ein kurzer augenblick, dann war er auch schon vorbei, die meute kam aus dem haus gestürzt… sich in ihren argumenten überschlagend, wer für das haus nun besser geeignet sei, die maklerin hatte sichtlich mühe, dieses stimmengewirr zu entzerren.
„sehen sie?… ich hätte es schön gefunden, wenn es ein mensch wie sie gemietet hätte, dann hätten diese mauern mal etwas anderes erlebt. so wird sich alles nur wiederholen.“ „sie wissen, warum ich dieses haus nicht möchte.“ „ja, sie haben aber sicherlich auch ganz andere chancen für ihr leben gehabt, als ich“ sagte sie. ich ließ das so stehen, weil sie nichts von meinem leben wusste. wir verabschiedeten uns. ruhig, aber immer noch nicht lächelnd sah sie mich an „ich wünsche ihnen alles gute.“ „das wünsch ich ihnen auch.“
auf dem weg nach hause fragte ich mich wieder nach dem zeitpunkt dieses augenblicks, an dem die menschen sich vergessen. wenn ich die notwendigkeit erkannt habe, handeln oder etwas ändern zu müssen, dann tu ich das. warum tun so viele menschen das nicht. in diesem haus und in diesem leben beider ist nicht nur die zeit, sondern auch das leben stehengeblieben, das ist doch eine lücke, die sich da auftut. man kann doch diese lücke nicht einfach so viele jahre einfach so dahinleben, und dann sterben. vielleicht tat ich diesen beiden menschen mit meinen gedanken aber auch unrecht, weil sie eben so handelten, wie sie dazu in der lage waren.
als ich über die landstraßen und durch die alten alleen nach hause fuhr, schien die sonne in mein gesicht, ich sah das grün der wiesen und wälder, ich war froh darüber. danach ging ich noch eine runde hier durch den kleinen wald, ich brauchte licht, luft, sonne, erde, moos, pilze, den fluß, sein fließen… und das leben.
jetzt sitze ich hier still am schreibtisch, bin immer noch ganz eingenommen von meinem eigenen gefühl dieser jahre dieses ehepaares.