mit farben dichten…

… ist eine andere art und weise, sich ausdrücken zu wollen. mit farben beschäftigen, sie ansehen, sie fühlen… sie fühlen?… ja. ich fühle farben. wir menschen tragen die gesamte existierende farbpalette in unserem eigenen körper, wir sind dazu in der lage, die zu einer farbe zugehörige komplementärfarbe vor unserem auge entstehen zu lassen, ohne eine farbtube zu öffnen. man schaue sich mal die farbe karminrot (ja, schon wieder die farbe rot) eine weile an, richte sein auge dann auf eine weiße fläche, es entsteht ein lichtes, leicht transparentes türkisgrün vor unserem auge, ohne, dass wir etwas dagegen tun können. farben sind anteil unseres wesens… nur was zu unserem grund, zum eigenen innen, und wesen gehört, können wir aus uns hervorrufen. somit weiß ich, dass jede farbe, die ich auf die leinwand bringe, auch in mir existiert, und jedes komplementäre paar seine besondere beziehung zum universum hat. je nach innenzustand wähle ich die farben, brauche eine ganze weile, bis ich weiß, welche farben notwendig sind. auch die größe der leinwand suche ich nach gefühl aus. manchmal sitz ich davor, und weiß noch garnicht, was ich malen will. ich nehme dann einfach den spachtel… oder etwas anderes, und fange einfach an.
in meinem zwischen existiert noch eine andere farbsprache. sehr häufig sind das farben, die entstehen, wenn ich musik höre, oder eine zahl sehe. oder es gibt eine gesamtverbindung, ich sehe zuerst eine zahl, danach erscheint eine farbe, danach ein gegenstand, dann ein musikinstrument. es läuft immer nach dem gleichen schema ab. ich würde gern einmal versuchen, die werte 0 – 10 mit ihren erscheinungen auf ein bild zu bringen.
in der schule hatte ich die ersten jahre große probleme damit, weil ich beim schreiben und rechnen lernen immer auch die farben sah. ich erinnere sehr gut eine auseinandersetzung mit meiner ersten klassenlehrerin. wir sollten mit bleistift eine große drei auf ein blatt papier malen. die klassenlehrerin kam zu mir und fragte: „und?… welche zahl hast du da jetzt geschrieben?“ „eine gelbe drei“ antwortete ich. die lehrerin schaute mich irritiert an: „eine gelbe drei?, ich sehe kein gelb, du hast doch mit bleistift geschrieben, die drei ist grau.“ „nein, sie ist gelb.“ „wieso ist sie gelb?“ „weil eine drei gelb ist.“ es gab ein gespräch der lehrerin mit meiner mutter, künftig wurde es mir verboten, zahlen und buchstaben farbig zu malen. meine großmutter aber förderte das, denn sie kannte diese art der wahrnehmung auch. sie kaufte mir damals wachsmalstifte, damit ich für jede zahl und jeden buchstaben seine eigene farbe zur verfügung hatte. beim rechnen lernen hatte ich anfangs große probleme, weil ich mich mehr auf das sehen der farben konzentrierte, als auf das rechnen an sich, was sich später, als ich damit umgehen konnte, wieder normalisierte. später half mir das sogar, die farben definierten sich, ich konnte mir formeln so viel besser merken. auch beim schreiben von dikaten funktionierte das sehr gut. ich wusste, welche farbe der folgende buchstabe haben muss, hatte immer einser im diktat.
die wahrnehmungsfähigkeit blieb mir bis heute, manche menschen verlieren sie nach der kindheit wieder. meiner großmutter habe ich es zu verdanken, dass ich diese zweite sprache in mir leben konnte. später informierte ich mich über dieses thema, stellte fest, dass ich damit nicht allein auf dieser welt war, denn mitunter fühlt man sich wie auf einer insel. man kann nicht darüber reden, wird für ver:rückt erklärt, dabei ist es nichts anderes, als das in meinem gehirn an die reizung von sinnen, auch andere farb- und formwahrnehmungen gekoppelt sind. die acht ist bei mir immer rot, aber ich kann es nicht umkehren, sehe ich rot, erscheint eine türkisgrüne 5. die 7 ist immer blau, sehe ich blau, erscheint eine gelbe 3… ist schon witzig. der 8 folgt das rot, dann der hammer, dann die geige. der 7 folgt das blau, dann ein pinsel, danach eine klarinette. auch musik, die einzelnen töne erzeugen bei mir farben, mitunter sehe ich, in einem konzert sitzend, sehr wahrscheinlich das bühnenbild in ganz anderen farben, als andere menschen. als ich damals flöte spielen lernte, konnte ich mit diesen schwarzen noten überhaupt nichts anfangen. ich zeichnete und malte mir meine eigenen notenbilder und anfänglich analog dazu die grifftabellen. nimmt mich musik gefangen, dann auch deshalb weil ich gleichzeitig diese entstehenden farbbilder verarbeiten muss.
manchmal fragen die menschen mich hinterher „warum bist du so still…?“ „ich bin noch im notenbild.“ die meisten verstehen nicht, wie ich das, was ich antworte, wirklich meine.
auch erzeugen situationen in mir fast immer ein bild. je nach situation gibt es farbflecken in einer bestimmten positionierung, in verschiedenen formaten, vor einem anderen farblichen hintergrund… manchmal ist dieser hintergrund ruhig, manchmal wird nicht anfassbares für einen augenblick haptisch, wandert durch das bild, geht wieder. seit einigen tagen überlege ich, ob ich das immer wieder in seinen farben und formen entstehende bild der situation, in der ich mich, devot, befinde, male. es sind immer dieselben farben, strukturen, und formen. sie verändern sich im laufe einer solchen. es müssten drei bilder werden. es gibt einen beginn, ein nacktes sein und ein gehalten werden. am anfang ist es immer dasselbe bild. ein diffus dunkelgrauer bis schwarzer grund, ein hellgrauer nebel, den ich fast berühren kann, wandert, rotiert, wartet… oben rechts in der ecke ist es, wie wenn jemand ein stück tapete von der wand reißt, es entsteht eine öffnung, eine kleine fläche wird freigegeben. unregelmäßig umrissen hängt das grau an der wand herunter, ein schlammig fades grün kommt zum vorschein, mit einem ganz schmal schwarzem rand… in bruchstücken tropft dieses grün aus dieser geöffneten fläche. ich warte, weiß nicht, was kommt… die farben wissen es auch nicht.
seit meiner kindheit weiß ich, dass ich alle farben, die es gibt, in mir trage. die auseinandersetzung mit farben ist für mich eine aus:ein:ander:setzung mit meinem innen. wichtig ist für mich nicht, dass ein für andere ansprechbares bild entsteht. die farben aus meinem innen kommunizieren mit denen auf dem bild, es entsteht ein klang… eine musik, die meiner eigenen gesetzmäßigkeit nach wahr ist. jeder ton hat sein eigenes licht.

nachtrag:
ich glaube, dass ich mich deshalb in dieser stadt immer noch so fremd fühle. ich kenne die bilder nicht, die in mir entstehen, wenn ich durch die straßen gehe. mein sehen braucht immer doppelten arbeitsspeicher. ich gehe dann nach hause, lasse es wirken, gehe am nächsten tag dieselbe strecke noch einmal. wenn dann dieselben bilder auftauchen, beruhigt mich das irgendwie für einen augenblick, bis zu dem moment, in dem ich etwas neues erblicke. ich werde eine ganze weile brauchen, bis ich mich an diese stadt gewöhnt habe.

einkaufszettel:
pastellkreide
pastellkreise weiß, weich
normaler din-a4 block, papier egal
pastellpapier, mindestens 170g/qm, format weiß ich erst beim ansehen
pastellfixativ
feuchte kosmetiktücher
post-its
papierwischer
knetradiergummi