Arbeitsjournal. Sonnabend, der 27. September 2008.

5.14 Uhr:
[Am Terrarium.]Das war ein wunderschöner besonnener Abend gestern auf dem Wannsee, auch wenn es mich, als ich vor dem Haus der Wannseekonferenz stand und die Gedenktafeln am Eingang las, doch sehr schauderte und dieser Schauder auch noch einige Zeit anhielt; dieser so harmlose Name „Haus der Wannseekonferenz“ und die grauenvollen Vornahmen und Durchführungen, die er verbirgt, und dahinter der tintig-seidige See in der Abendsonne, ganz unweit das Grab von Vogel und Kleist… was ging in den Köpfen dieser NS-Leute vor? der Verdacht ist eben so gepaart mit dem Wissen, daß das keine Monstren, sondern eben ganz normale Menschen waren, daß das das Mittelmaß war, Bürger und Kleinbürger wie wir selbst, und nichts anderes vielleicht als eine klitzekleine Verschiebung in ihren Lebensläufen machte sie zu planbesessenen Inititiatoren eines völlig gemütlosen Massenmords: „Gemütlosigkeit“ ist ein klinischer, psychiatrischer Begriff. „Haus der Wannseekonferenz“: man meint, es mit einem Haus zu tun zu haben, in dem nach Kriegsende die Allieerten tagten mit einer neuen deutschen Notregierung… sowas. – Als ich mich umdrehte von den Tafeln, waren mein Junge und der Profi schon davongeschritten, einiges, ich mußte ein bißchen rennen.

Nachts zwischen halb neun und elf ist Fahrverbot; die Boote ankern in der Schwärze naher Ufer, schaukelnd, fern der Fahrrinne, durch die dann ab halb zehn/zehn die gesamte Flotte der Berliner Sternschiffahrt hocherleuchtet paradiert, bis am Wannseebad die enormen Raketen abgeschossen werden, aus denen sich über den schließlich schlaufeschwimmenden Schiffen eine riesiges Feuerwerk entspinnt. Ich stand allezeit an der schmalen Reling, quasi immer einen Fuß überm Wasser, die Hand an der Wante, mein Junge zündete Bengalische Hölzer bei den anderen ab, die im Heck hockten, ein bißchen Wein ging herum, auch etwas Käse; ich hatte mir seemänn’sch eine Tasse, an deren Grund ein Kaffee des Vortrags eingetrocknet war, mit Rum benetzt, von dem ich nippte. Auf das Finale des Feuerwerks erklangen über den ganzen See die Schiffströten – ein eher komischer als erhebender Klang. Dann paradierten die Schiffe der Sternfahrt von dannen, ein paar über die Havelschleuse zurück nach Berlin Mitte, andere gen Potsdam, nur drei oder vier machten fürs Winterquartier am Anleger des Wannsees-selber fest. Und wir auf unserem sehr sehr schönen Holzboot holten den Anker um 23 Uhr ein, um zurück zum Steg zu tuckern; richtig segeln mochte keiner mehr um diese Zeit, zumal es sehr flau war und man womöglich hätte paddeln müssen ohne Motor.

Es ist >>>> Löschzeit in Der Dschungel. Ich wundere mich eigentlich nur über die viele Mühe, der sich zum Beispiel der Knotscher dabei aussetzt; er scheint zum einen sehr viel Zeit zu haben, zum anderen wirkt da deutlich etwas, ich sag mal vorsichtig: Persönliches in ihm, das nicht ganz ohne unfreiwillige Jungfernschaft ist; und da hängen sich andere mit an…. bitte, wenn man meint, mich damit „treffen“ zu können. Das ist mir, glauben Sie mir, völlig wurscht: n i c h t wurscht ist es mir, ob andere Personen dabei getroffen werden, die nicht ich sind, die zudem und mit Recht empfindlich sind und die in der gegen mich gerichteten Dynamik eigentlich nur mitgestrudelt werden: da werde ich schützen, wie ich kann, und dazu, wenn es sein muß, ebenfalls löschen. Im übrigen haben diese löschenden Amokläufe ja auch etwas höchst Vergebliches, da andernorts die Texte längst archiviert und auch einsehbar sind. Es wird geradezu extrem die Wichtigkeit der gelöschten Kommentare überschätzt, diese Löschaktionen sind, so gesehen, nichts als eine Form realitätsblinder Selbstüberschätzung und ein Ausdruck des verletzten, zugleich aber hypostasierten Narzissmus. Mehr werde ich dazu nicht sagen, sondern die Dinge ihren Lauf nehmen lassen. Sie sind auch nicht ohne Komik. Letztlich lassen sich Die Dschungel auch ohne Kommentare sehr ertragreich lesen.

Ich bleibe heute früh am Terrarium; die Bitte kam, als ich gerade aus dem Bad trat. Erst fürs Cello, sowas gegen zehn Uhr, werde ich in die Arbeitswohnung radeln und bis dahin hier arbeiten.

7.16 Uhr:
[Vivaldi, Cellokonzerte (wunderschön, an diesem schönen Herbstmorgen.]
Imgrunde bin ich ganz froh, daß in Der Dschungel einmal wieder etwas geschieht, das direkt über sie nachdenken läßt: sie >>>>> als Modell einer literarischen Nutzung von Netzdynamiken; immerhin war ich ja damit angetreten und nicht etwa mit dem Vorhaben, meine Print-Veröffentlichungen zu ersetzen oder auch nur ihnen etwas Analoges zur Seite zu stellen. Aber insgesamt ist es eine meiner Stärke, aus allem, wirklich allem etwas gewinnen, allem etwas Wesentliches abgewinnen zu können: man ist als Dichter ein Fischer. Immer. Alles, was einem begegnet und widerfährt, wirklich alles, wird ins Werk verflüssigt.

Interessant finde ich immer wieder, wie direkt Netzvorgänge auf das Gehirn wirken, wie direkt sie also auch Emotionen auslösen, von der „unmittelbaren“ Realität darin gar nicht unterschieden, ja vielleicht sogar noch „unmittelbarer“: Eifersucht, Liebe, Wut, Verletzung usw. erweisen sich im Netz tatsächlich als „reine“ Gehirn-Affektionen und letztlich – als Programmierungen.

9.28 Uhr:
[Schostakovitsch, Sonate für Cello und Klavier.]
Bin immer noch am Terrarrium, immer noch schläft alles, außer den Zwillingen, freilich, die nun auch schon gefüttert sind und mich (fast) in Ruhe arbeiten lassen. Ich habe die BAMBERGER ELEGIEN wieder vorgenommen. Es ist wie ein Heimkommen.

Ich fragte, wo Klingers Radierungen seien.
Sie erinnerte sich der Bilder nur schwer.
Man habe keine freien,
erklärte die Hostess,
ungehängten Wände mehr
und daß nach dem langen Umbauprozeß
die Malereien ausgelagert seien.

13.27 Uhr:
[Arbeitswohnung. Nils Pettar Molvaer, >>>> Trip (Solid Ether).]
So, Mittagsschlaf. Dann ans Cello und BAMBERGER ELEGIEN ff.

13 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonnabend, der 27. September 2008.

  1. kurze nachbetrachtung sie haben melville von anfang an nicht mit mir auskommuniziert, und so legte ich eine private story nach der anderen in die spalten – ich erstritt melville für sie.
    ( nein nicht erst-ritt – das ist nicht meine gossensprache )
    als dann die beschwerden über drolliges und vewan(d)Tes eintrafen hielten sie sich raus.
    ich glaube manchmal sie können gar nichts anderes als streiten und das wird wohl dann der grund sein dass sie mir hier feindseligkeit unterstellen – aber wenn man so sieht wie sie ans rudern kommen wenn ein paar lustige gesellen hier ein wenig lush life machen, dann versetzt man sich in ihre lage und bemerkt, dass fast alles im bloggewebe selbstdarstellung ist – nur darf man es halt nicht auf fremden territorien machen.
    mich würde es einmal interessieren wie es anders wäre :
    sie hielten plädoyers für wichtige ( seriöse ) beiträgerInnen wenn kritik einmal ein wenig blinzelt und andere in katastrophenstimmung geraten.
    ansonsten –
    sie könnten narzissmus in die leerstellen hineinschreiben aber nicht aus diesen heraus.
    desweiteren : ich habe soweit meine sachen in etwa einer stunde entnommen,
    insofern sie die vorwürfe anderer tangierten und gestern noch readAn bescheid- gesagt die die leidtragende davon hätte sein können..
    das müsste ihnen aber eigentlich nur insofern widrig sein insofern es moralisch war.
    ihre gedankengänge an dieser stelle dazu kann ich sogesehen nicht nachzeich- nen.
    ( allenfalls als eine art rhetorik, mich von weiteren löschungen abzuhalten )
    sie sollten ihre vorwürfe den vorwerfern vorgeworfen haben.

    1. @knotschi und stabi besser konnte es nicht laufen. Danke für die Mitarbeit, ich hätte das besser nicht hingekriegt.

    1. @stabigabi5. Gute Musik. Aber inwiefern das Gegenteil von Verflüssigung? Schon als M u s i k fließt das, und zwar davon. Das Gegenteil von Verflüssigung ist Verdinglichung. Die könnte – allenfalls – ein Bildender Künstler leisten.

      (Ich schätze Molvaer seit einigen Jahren; eine erste Aufnahme von ihm hörte ich 2003; in dieser hier geht mir nur der Beat im Schlagwerk etwas auf den Senkel.)

    2. on batteries some of our best steves

      http://de.youtube.com/watch?v=2sihuerkLo4

      http://de.youtube.com/watch?v=91euERWH2M4

      nicht zu vergessen, es gäbe noch terry lyne carrington, paul motian, jack the sticker. aber es ist nichts als wahr, an der batterie hängt viel, sehr viel. ich meine gitarre, ok, wir haben scofield und abercrombie und rosenwinkel und ribbot und frisell, an den bässen sind sie ungezählt, aber on drums, hardly few.

      sahen sie nicht einen vulkanausbruch? es ist ein übergang, nein? und es wälzt sich in sehr verschiedenen aggregatzuständen. reines fluidum interessiert mich (auch musikalisch) nicht sehr. es sei denn, es kommt with a smell of spleen spirit from my favorite baby seal:

      http://www.youtube.com/watch?v=j2nJn6rZdtI&feature=related

      und jimi never goes to hollywood only by shaking cute girls, believe me knotscher.

    3. @Lavantes Sie wollen auch noch teilnehmen an der Systemgastronomie, kein Problem von Ihnen habe ich eine ganz spezielle Vorstellung, schade Melville ist momentan außer Betrieb, Sie hätte ich dort gerne noch ein wenig weiter verarbeitet.
      Ich kannte einmal eine sehr ambivalente Person, er war zur Hälfte Spanier, das war ihm äußerlich nicht anzusehen, er war nicht einmal wirklich attraktiv, nur an den schwarzen Augen konnte man seine Herkunft ablesen, recht abgründig, versessen auf Machtspielchen, berechnend aber im Grunde eine extrem verletzliche Person, ich glaube Lucian Freud war ihm damals kein Begriff umso erstaunlicher die Bilder vor seinen Augen, es gibt glaube ich immer eine Person, die so etwas wie eine Negativform von einem Selbst darstellt, nicht schwarz-weiß, auch nicht in ergänzender Weise sondern ein und dasselbe Bild in einem anderen Licht oder ein seitenverkehrtes Spiegelbild von einem Selbst, das doch ein anderes ist. Dazu fällt mir das Vorwort, besser eine Leseranweisung aus dem Roman “Die Insel des Zweiten Gesichts” ein: “Alle Gestalten dieses Buches leben oder haben gelebt. Hier treten sie jedoch nur im Doppelbewusstsein ihrer Persönlichkeit auf, … In Zweifelsfällen entscheidet die Wahrheit.” Ob an meiner Geschichte etwas Wahres ist ist in Zweifel zu ziehen, Wahrheit ist eine Entscheidung, die in der Möglichkeit des Zweifels begründet liegt…
      Sie Lava, Lava Lavantes sind mir hier eh eine recht dubiose Person, mal schauen wie wir uns da noch in die Quere kommen aber netter Versuch, nicht das mein knotty noch eifersüchtig wird.

      @knotty: Später! Hab momentan keine Zeit.

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