Arbeitsjournal. Dienstag, der 4. November 2008. Siegen. Berlin.

6.56 Uhr:
[Siegen. Park-Hotel.]Das war eine sehr schöne >>>> Lesung gestern abend, sowohl vom Besuch her (es war tatsächlich voll), als auch von der Resonanz..Ich las an die anderthalb Stunden am Stück, einige Gedichte vorweg, dann >>>> NULLGRUND aus >>>> ARGO, danach das große Tableau um Gerling von I,12 aus >>>> THETIS. Und zum Abschluß, direkt dahinter, die >>>> drei zusammensitzenden Engel. Es gab sogar eine kleine Diskussion, was ich s o, auch in der Klugheit der Fragen, lange nicht mehr erlebt habe. Einige Fragen stellten allerdings die Professores, die hinzugekommen, die teils auch angereist waren, nicht meinetwegen, sondern wegen der kleinen Festlichkeit, die nachmittags für >>>> Ralf Schnell gegeben wurde: eine Reihe von Reden, die sehr schön die Balance zwischen Persönlichem und kunstwissenschaftlichen Fragestellungen hielten, so daß wirklich nicht eine Sekunde lang irgend jemand das Gefühl jener spitzen Peinlichkeiten bekam, von denen Jubilarveranstaltungen dieser Art oft begleitet sind; zudem hatte man – Entschuldigung: ‘hatte ich‘ – überhaupt nicht das Gefühl, es dehne sich etwas hier etwas allzulang aus, weshalb man bitte aufhören möge; im Gegenteil, die Leute hatten Einfälle und wußten sie zu formulieren. Schnell selber, der sich allein schon gegen die Idee einer Festlichkeit um seine Person so sehr gesträubt hatte, daß er an seinem Geburtstag schlichtweg verschwunden war, war schließlich, und mit Recht, glücklich. In drei Stunden, übrigens, wird er bereits im Flieger nach Tokyo sitzen. Ich meinerseits werde dann noch hier sitzen; ich will heute ab neun erst mal wieder ans Cello; bis elf; dann breche auch ich auf, per RE nach Gießen, per IC nach Kassel und dann mit dem ICE ab nach Berlin. Um 17.37 Uhr werde ich, sagt mir der Fahrplan voraus, an der Schönhauser ankommen – mit wirklich leicht gewordenem Bücherkoffer; die Bücher gingen gestern abend wie frische Semmeln weg. Ich hätte gut noch mehr THETIS und BUENOS AIRES mitnehmen können. Aber auch Dielmanns >>>> MEERE liefen, und >>>> SIZILIEN war schon v o r der Veranstaltung weg.
Dann verschlief ich heute morgen, nö, verschlief nicht, sondern kam nicht hoch. Um eins hatte ich im Bett gelegen, keinen Tropfen Alkohol getrunken, meines Ramadans wegen, nun reagiert der Körper erst recht mit Schlafwille. Soll er. Viel arbeiten werde ich heute eh nicht können, es sei denn, ich bekomme in Kassel einen guten Sitzplatz mit Netzanschluß. Ich werde die beiden höchst fälligen Exposés schreiben: das eine für >>>> weissbooks, das andere für das >>>> Konzerthaus; letzteres ist mir nebenher ein wenig in mir untergegangen.

DER ENGEL ORDNUNGEN dürfte nun unterwegs nach Jerusalem sein, in elektronischer Geschwindigkeit. Zurück wird es, in einer 100er Tranche, mit der Geschwindkeit eines Frachtflugzeuges kommen, aber die eigentliche Auflage über den Landweg. Was eigentlich nicht zu fassen ist. Man könnte eine Reportage drüber schreiben, wie die Engel im Laster von Jerusalem mitten durch heikle Gebiete fahren: Israel-Libanon-Syrien-Türkei-über den Isthmus-Griechenland-Bosnien-Slovenien-
Österreich schließlich und nach Deutschland hinein. Ich stelle mir vor, sie werden beschossen, was ja schon selbst eine schöne Erzählung wäre oder der Anlaß für ein Gedicht… – daß aber meine Bücher nun überhaupt in Jerusalem gedruckt werden, finde ich hinreißend; so sehr verwickelt in die Geschichte meiner Familie bin ich denn doch immer noch. In der Tat, wer hat schon einen Großvater vorzuweisen, der noch bis ins hohe Alter in einem Alkoven einen Altar hatte, auf dem ein Hitlerbild stand, rechts und linkt je eine Kerze daneben, die er wahrscheinlich ritisch allmorgens anzündete, während er über den makabren Freiheitskampf von Südtirol nachsann? Wohlgemerkt, ich spreche vom endenden 20. Jahrhundert…

Jedenfalls ist aus mir heut morgen die Luft erst mal ein wenig heraus, auch wenn ich mit einem Lächeln konstatiere, daß mein seltsamer Gegner >>>> e.miks in seinem eigenen Weblog ganz offensichtlich eine eigene Anti-Herbst-Rubrik eröffnet hat. Das ist nun schon das dritte Mal, daß so etwas passiert. Ich guck sie mir nicht an und verlinke auch nicht direkt darauf; etwas Mühe sollen Sie sich da schon selber machen. Sondern ich schließe es aus unter anderem >>>> jenem .Der Mann tut mir irgendwie leid, vielleicht ist es auch eine Frau, dann täte sie mir „leider“, weil ja mein Herz bei den Frauen schlägt.

Ich werd mal frühstücken gehen, dann mich unter die Dusche stellen, dann packen, dann mich an mein Cello setzen.

13.48 Uhr:
[ICE Hagen-Berlin.]
Alles lief bislang, wie vorgehabt; während der Fahrt Siegen-Hagen angefangen, >>>> Schwartz’ „Schnee in Samarkand“ zu lesen, was ich gleich fortsetzen werde, statt zu arbeiten. Sollte mich der Rezensionsauftrag noch erreichen, dann w ä r e es ja Arbeit.

2 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 4. November 2008. Siegen. Berlin.

  1. so einen großvater hatten vermutlich einige, steht zu befürchten. ich kenne ein familienbild meiner mutter, mit ihren strohblonden zöpfen und ihrem leicht entnervten gesichtsausdruck, der sich zwischen lächeln und spott nicht entscheiden kann, da war sie vielleicht elf. clemens, ihr ältester halbbruder, vielleicht neunzehn, steht hinter ihr, in uniform, hat die hände auf ihre schultern gelegt. er war stukaflieger, nein, bordfunker. sie flogen gegen england. es hieß, wohlmöglich hätten die ‘eigenen leute’ ihn abgschossen. es hieß, sie warfen die bomben in den atlantik. ein anderer halbbruder habe sich mit dem auto in der eigenen garage vergast. es hieß, er habe schulden gehabt und sei depressiv gewesen.
    mama, erzähl von früher, habe ich oft in der küche gesessen und gebettelt, bei wetter wie diesem.
    ich habe mit meere und metavirulent begonnen. vielleicht hilft es.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .