Arbeitsjournal. Freitag, der 14. November 2008.

4.59 Uhr:
[Am Terrarium.]
„(…); schlimmer war aber, daß er (der Text) nun ausgerechnet eine realistische, wenn nicht naturalistische Ästhetik vertrat, deren erklärter Gegner ich bin. (Aus einer nichtöffentlichen Schrift, ca. 1996. “ Das hat gewurmt, daß einer nicht hingeht und dienend etwas sagt, das er nicht glaubt, was der Betrieb aber will, weil er gerade einen Entertainer braucht. Dieses nicht uneigentlich sein wollen. Dieser Ernst.
Es ist kein Spiel.
Nicht, ich tu jetzt mal, als ob.

Lesen.

Weiterlesen und Cello üben.

8.50 Uhr:
[Arbeitswohnung. Gavin Bryars & Tim Waits: Never found me.]
Einzahlungen getätigt, bzw., zur Erledigung weitergegeben. Und >>>> manch Trollerei ist sehr geeignet, Positionen klarzustellen. Der Trick besteht darin, die Angriffe ernst zu nehmen. Dabei hilft es sehr, daß anonym eingestellte Kommentare von ihren Autoren im Nachhinein nicht mehr gelöscht werden können. Auch darüber wäre ein Schnipsel für die >>>> Kleine Theorie des Literarischen Bloggens zu verfassen.

21.59 Uhr:
[Am Terrarium.]
Vom >>>> Konzert und der Uraufführung zurück. Enorm schön, was >>>> Tchemberdji aus meinem kleinen Traurigkeitsgedicht gemacht hat. Ich war nervöser, als ich es je bei Lesungen oder sonstigenVorstellungen meiner Bücher bin. Ansonsten, das Konzert, nun ja, protestantische Erbauungsmusiken, bei denen man die Texte nicht allzu genau ansehen darf, da wird schon mal gereimt (bei Telemann, nicht etwa Fasch, den übrigens, las ich gerade, J.S.Bach sehr geschätzt hat) wie tief liegt hier der Sand/durch welchen ich muß waaten/wie muß ich oft vor Hitze braten, sicher nicht d e r poetischen Weisheit höchste Inspiration. Aber die Musiker! Ein hinreißend musizierendes Barockorchester mit einer Barock-Cellistin, daß man nicht nur immer hinhören, sondern auch -sehen möchte, derart ist sie mit ihrem Instrument verwachsen. Makellos die Solisten, vor allem Baß-Bariton und der engelshelle Tenor. Und dann, der Kinderchor, man kann ganz fassungslos sein, auch wenn einen die Zugabe, eine Zelter-Motette, eher ratlos läßt: so viel hohler Donner kommender Romantiken deutet sich da nicht nur schon an.
Der Ort? Skurril. Musiziert wurde zwischen den Särgen, na, Sarkophagen, das hatte schon was im Keller dieses Doms, der, die schnell hochgezogenen Nachkriegsbauten und sämtliche Plattenkästen der DDR inbegriffen, die schockierendste Bausünde überhaupt ist, die das daran sowieso nicht arme Berlin zu bieten hat. Eigner hat mal von seinem römischen Freund Maurizio erzählt, der, als er hier zu Besuch war und den Dom sah, vor Fassungslosigkeit fünf Stunden lang nicht mehr sprechen konnte, als wären ihm sämtliche Geschmackswärzchen verödet worden.[Bilder von dem Konzert kann ich erst morgen einstellen (NACHTRAG: erledigt, 15.11.08) und werde das dann noch tun; ich habe das USB-Kabel für die Mobilchen-Kamera drüben auf dem Schreibtisch liegenlassen. Aber die Aufnahme, die Tonaufnahme, die ist in jedem Fall schon einmal schön geworden. Ich hör sie mir gerade an.]

11 thoughts on “Arbeitsjournal. Freitag, der 14. November 2008.

  1. och, wie fürchterlisch … ich teile ihre teils altmodischen & reaktiniären ansichten nicht, und zähle sie deshalb zu einer aussterbenden rasse; dabei mag ihnen auch keine neue agentin von nutzen sein, denn ihnen fehlen offenbar ein paar ganz wichtige synapsen!) – Appropo Cello, stell doch mal was ein, mal sehen, ob es sich lohnt zu lauschen!
    Hier haste was zum neidisch werden, ein kurzer Auszug nur

    1. Für Hans Hilbig Look this one, Gnom >>> <a href=”http://rapidshare.de/files/40905438/Cover_of_Paint_it_Black01.mp3.html”

    2. @DerSabianer. Es gehört zur politischen Strategie einer gewissen Couleur der “Linken”, reaktionär und konservativ zu verwechseln; bereits Arno Schmidt hat den Finger darauf gelegt. Soweit es aber nicht Strategie, sondern wirklich ein Glaube ist, handelt es sich um eine ideologisch beladene Ideologie. Vor allem wäre erst einmal zu definieren, was Sie denn unter “reaktionär” verstehen; erst einmal bedeutet das Wort nichts anderes, als daß auf ein Phänomen reagiert wird; in diesem Sinn will ich mir Ihr “reaktionär” gerne ans Revers heften. Ob aber auch die moralische Implikation faßt, hängt sehr davon ab, was dieses Phänomen i s t, auf das reagiert wird.

      Ihren Nachsatz allerdings kann ich nicht einordnen. Ich reagiere auf gute Musiker mit Bewunderung, nicht mit Neid. Wobei es nicht Wunder nehmen muß, daß die wirklich meisten Musiker “besser” als ich sind, denn bekanntlich stehe ich mit meinem Cello erst am Anfang einer ganzen Welt, und es ist allein aus motorischen Gründen, die mit meinem Alter zusammenhängen, in keiner Weise heraus, ob ich überhaupt den Fuß in die Türschwelle setzen kann, hinter der diese Welt sich öffnet. Immerhin, ich w e i ß um sie.

    3. “wwww”@Der Bottich. “world wide web wide” – indeed?
      Würden Sie mir den Klarnamen Boettchers nennen, damit ich ihn hier, vielleicht sogar verlinkt, einstellen kann? Ich würde mich an einer etwaigen juristischen Auseinandersetzung mit ihm nämlich sehr erfreuen und erstattete, versprochen!, in Der Dschungel minutiöse Verlaufsberichte als work in progress. Sehr hilfreich wäre dazu, auch seine Adresse, seine Telefonnummer und seine Email-Verbindung in Erfahrung zu bringen. Sie können mir das alles, sofern Sie darüber verfügen, gern anonym über >>>> meine Kontakadresse mitteilen; dann wären S i e juristisch aus dem Schneider.

      [Gavin Bryars, The Versperine Park.]
    4. Zunächst einmal dies,was wohl bereits einen Teil ihrer Frage beantworten dürfte; als durchaus reaktininär empfinde ich zum Bleistift ihre Abneigung gegenüber Schülerproteste, welche sich im speziellen Falle gegen “bestimmte Verhältnisse” wenden, jedoch nicht gegen das öffentlich, rechtliche Bildungssystem im Allgemeinen. Doch was rede ich, eigentlich interessiert mich dieser ganzer Kram überhaupt nicht. es sei denn, jemand behauptet, all dies sei überhaupt nicht streikwürdig, weil das Recht auf Bildung hierzulande angeblich geschützt sei! – Ich dagegen behaupte, dass seit Einführung der Studiengebühren in einigen BUndesländern dieses eben nicht mehr geschützt und für jedermann frei zugängig ist! (Aufgrund der Hürde der Studiengebühren, die sich eben nicht jeder leisten kann!)

      bla, bla

      n

    5. Aber Karten für Madonna-Konzerte und Club-Eintrittsgelder. K a n n man sich leisten.
      Vielleicht lernen wir einmal wieder, Verhältnismäßigkeiten zu verstehen.

      [Im übrigen lesen Sie so ungenau, wie Sie die Grammatik verwenden, was man direkt als Folge bestreikten Unterrichts auffassen könnte. >>>> In meinem Text ist kein Wort gegen Schülerproteste gesagt, sondern er wendet sich gegen Schülerstreiks. Das ist etwas grundsätzlich anderes. Streiks sind Kämpfe unter entfremdeten Produktionsbedingungen. Es kann durchaus nicht schaden, seinen Marx zu kennen.]

    6. Ich leiste mir weder teure Eintrittskarten für Madonna-Konzerte, noch fürs Theater; ich bin jedoch für jeden Theaterbericht auf dieses Blog dankbar, dies muss ich ehrlichterhalber eingestehen (Ein wenig mag ich Sie sogar!)

    7. Fragen Sie mal den Schäuble. Da wird doch was zu machen sein. Konservatives Netzwerk und so. Neulich sass er auf der Regierungsbank und blätterte in “Meere”. Sie signieren und er rückt die Daten raus. Irgendwo hat der Datenschutz seine Grenzen. Publikumsbeschimpfung ja, Dichterbeschimpfung eindeutig nein!

  2. aus unruhigen träumen von einer kreissäge geweckt. zurück im neunten, auf meiner vogelwarte. juritis wie bestellt. leicht über zwanzig grad. bewölkt. freue mich auf die sushis heute abend, konzerte wären möglich. meredith monk is in town. ich sah sie vor jahren, einmal in der stadthalle unna und einmal in der kölner philharmonie. nach laurie anderson wäre es eine schöne fortführung der avantgardenerinnen hier. aber der langestreckenflug sitzt mir in den knochen, der flieger war randvoll, wie meistens. ich habe im horen band gelesen und einen nicht besonders guten film von und mit helen hunt gesehen und einen anderen mit sandrine bonnaire bei dem ich einschlief.

    dass michael braun auf meere eingeht, ist nicht so verwunderlich, da ihn ja nun mal der bandbeschicker schnell geschrieben hat. so oder so. als autor kann man sich über so eine würdigung eigentlich nichts als freuen und ich finde es fast zufällig konsequent in einer anderswelt gelandet zu sein, die sich manchmal buenos aires nennt, wo ich nun mal in südamerika bin, buenos aires kenne, sofern man es kennen kann, und seit beinahe drei jahren die erfahrung sao paulo nähre. mir fiel dazu und zu den dschungeln und dem ganzen projekt der ausufernden verzweigungen noch ein benjamin ein aus der berliner kindheit: sich in einer stadt nicht zurechtzufinden heißt nicht viel. in einer stadt sich aber zu verirren, wie man in einem walde sich verirrt, braucht schulung.

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