spät war es…

…. gestern, um 20.30 uhr schloß ich meine wohnungstür auf. die unterlagen für sieben sitzungen waren vorzubreiten, mein chef muß diese heute früh alle mitnehmen, weil er drei tage nicht im haus ist. gestern fragte er mich, ob ich ein firmenhandy und einen homeofficeanschluß möchte: „nein“ antwortete ich, ein hochziehen seiner augenbraue war darauf seine antwort. „ich sitze auf meinem stuhl, so lange sie mich brauchen, meinetwegen auch täglich, die abende, die feierabende und die wochenenden sind m e i n s“, mit meinem finger auf meine brust tippend: “m e i n e.” „das habe ich auch noch nicht erlebt, jeder andere freute sich schon allein über das handy.“ „ich habe das mobile festnetztelefon, auf dieses kann ich umschalten, wenn ich hier unterwegs bin, was ich immer tue, also bin ich selbst in meiner mittagspause erreichbar, das ist völlig ausreichend.“ „und was mach ich, wenn ich irgendwann mal sonntags auf dem flughafen stehe, und meinen flug verpaßt habe?“ „dann drehen sie sich um, setzen sich mit ihrem laptop irgendwohin, und buchen sich im system einen neuen, ich zeige ihnen gern, wie das geht. ich sage es gern noch einmal, jeden abend so lange, wie sie mich brauchen, die wochenenden sind meine. ich guck ja schon auch am wochenende in ihr und mein postfach, um zu schauen, was da so reinkam, um mich für den montag vorzubereiten. ich drucke mir freitags den kalender der nächsten ganzen woche aus, um mir das ebenfalls am sonntagabend noch einmal anzuschauen… das reicht.“ „schaff ich es nicht, sie zu überreden?“ „ja.“ er grinste. ich schaute ihn an: „wissen sie, ich möchte nicht zu den menschen gehören, die sich irgendwann mal umdrehen, und suchen.“ „suchen?“ „ja, ihr leben, weil es irgendwann mal da war, und jetzt plötzlich irgendwie weg ist…“ ich drehte mich um: „da war doch was?… wo iss’es denn?“ „das versteh ich nicht.“ „ich hatte mal einen kollegen, der sagte mir, daß er irgendwann mal verliebt war, heiratete… und kinder wollte, irgendwann stellte er fest, daß seine kinder ohne ihn aufwuchsen…. als er das sagte, rührte er traurig den zucker in seiner kaffeetasse um, der garnicht drin war. er hatte zu diesem zeitpunkt den zweiten herzinfarkt hinter sich.“ da war mein chef ganz still. ich schaute ihn wieder an: „na?… macht nachdenklich, oder?“ „sie haben ja völlig recht, mir geht es nicht anders.“ „und?, sind sie s o zufrieden?“ „wieso fragen sie das.“ „weil ich seit fast nun schon monaten merke, daß es bei ihnen grummelt, ich sehe es ihnen an, daß sie mit irgendwas nicht einverstanden sind.“ „gut erkannt.“ „wissen sie, ich möchte noch ausreichend zeit für m e i n leben, für die dinge, die ich für mich tun möchte, haben, die ist bei diesen arbeitszeiten eh knapp genug, mehr kriegen sie nicht von mir.“ „ich hab’s ja verstanden, werde diese frage nicht wieder an sie stellen.“ „danke chef.“ danach war er den ganzen vormittag ziemlich still, irgendwann kam er mittags noch einmal darauf zurück: „sie haben recht… jeder mann, der so wie ich arbeitet, stellt sich irgendwann diese frage.“ „nicht jeder, zumindest nicht die workoholiker, die fallen dann eines tages einfach um.“ „ja, aber es geht ja auch nicht anders… ich brauche diesen zeitaufwand.“ „doch, das ginge anders definitiv, sie müssten mal anfangen privat prioritäten zu setzen.“ „das ist schwierig im augenblick.“ „deswegen lassen sie es in ihren arbeitszeiten untergehen?, ist schön bequem, oder?… nachtigall ick hör dir trapsen.“ „müssen sie immer so direkt sein?“ „ja, es geht nur so, wenn man nicht ausweichen will. ich weiß, daß ich manchmal die menschen mit meiner direktheit verletze, aber ich erreiche auch sehr oft, daß sie hinterher zu mir kommen und sich für die leichten schläge auf den hinterkopf bedanken.“ „ihre direktheit ist sehr häufig einfach nur entwaffnend, wissen sie das?, sie gehen immer ins eingemachte.“ „ja… eingemachtes wird eingemacht, damit man irgendwann den deckel öffnet, und es ißt, tut man das nicht bleibt es jahrelang schön konserviert im regal stehen, aber irgendwann schmeckt auch dieses nicht mehr, ist schlecht, wird ungenießbar, dann den deckel zu heben, ist zu spät.“ am späten nachmittag ging er selbst durch seinen kalender, gab mir die anweisung, acht von den vielen terminen in den nächsten zwei wochen abzusagen. „ich brauch mehr zeit für mich.“ er schaute mich an, wartete auf eine reaktion. “das ist gut”, sagte ich, lächelte, ging, und schloß seine tür. er blieb für zwei stunden völlig für sich, auch die anrufe stellte ich nicht durch.