Arbeitsjournal. Montag, der 5. Januar 2009.

6.10 Uhr:
[Arbeitswohnung. Britten, Four Sea Interludes.]
Immerhin kurz vor sechs. Dabei war ich gestern auch erst wieder gegen zwei im Bett. Nach einem gut klärenden Gespräch ein anderes gutes, nach langer Zeit einmal wieder überaus nahes, mit >>>> Titania; wir sind uns ihres Jobs halber ein wenig aus Aug und Ohr geraten. Wie saßen im An einem schönen Sonntag im August im Raucherbereich und rauchten, was das Zeug hielt, und vom Rotwein wurden allmählich ihre Lippen rot; als sie’s merkte, eine ganz erstaunliche Frau, sowieso, auch wie sie geworden ist mit dieser Eleganz in Haltung und Gang… als sie’s merkte: spontanes „Ich muß gehen“, spontanes Aufstehen, ich ruf das Taxi, zwischen Entscheidung und Wissen, verdammt, das ist jetzt genug, und dem leisen Davonrauschen der Pneus durch die sanfte Berliner Schneenacht lagen keine drei Minuten. Mal abgesehen davon, daß sie jetzt die zweite Frau war, die mir innerhalb der letzten zweidrei Tage die höchste Ehrenbezeugung in die Hände legte, die es für Männer gibt. Dafür hatte ich noch an einem „du besteht doch nur aus Drill, du gehörst ins Dritte Reich“ zu kauen, das ich nicht lange vorher zwischen die Zähne geschoben bekam, „du bist nur Disziplin, du bist niemals entspannt“ kurz vor „du hast nicht das geringste Herz“. Sowas hört man gerne als Vater. Mir wurde sogar mitgeteilt, „alle Freunde“ hätten Angst vor mir, schon mein Gesicht sei nur noch grausam in seiner ständigen verkrampften Entstellung usw. usw., wo ich auch nur aufträte, hinterließe ich eine Spur verbrannter Erde. Das schluck dann mal, wenn du Vater bist und auch zwei von einem andern ganz an dein Herz genommen hast, das aber ja nicht da ist; du hast die beiden sogar zur Welt bringen helfen; selbstverständlich rein aus Selbstsucht und Eiseskälte, ja Haß. Die Bemerkung mit dem Dritten Reich fand ich da richtig klasse. Und die, daß ich sexsüchtig sei, sogar treffend, man müsse nur, sagte Titania, die Perspektive wechseln. „Ich trauere, ja, ich hasse, und ich liebe, und ich verachte, aber ich klage nicht gegen das Leben, sondern, nach wie vor, ich liebe es, begehre es, w i l l es: zu leben. D a s möchte ich an meinen Jungen weitergeben: sich niemals abklären zu lassen, sondern heiß zu bleiben.“ Da fiel mir ** ein, die mir vorgehalten hatte: „Nein, du hast dich n i c h t verändert in den vergangenen Jahren. Du hast immer noch keine innere Ruhe.“ Ich dachte nur, was soll ich mit Ruhe? Ich will b r e n n e n. „Deshalb wollen Frauen Kinder von dir“, setzte Titania, und lächelte, hinzu. „Ist es ein Indiz für innere Ruhe, wenn man permanent kifft?“ fragte ich.
Ich bin mir aber nicht sicher, ob das mit der inneren Ruhe, die ich nicht habe, eigentlich stimmt. Nicht nur in Bezug auf meine Arbeit und nicht nur in Bezug auf das Cello, sondern vor allem in Bezug auf meine Familie dort, wo ich sie noch erhalten kann; das wird nicht mehr lange möglich sein, nicht in dieser Konstellation, doch wenn n i c h t mehr, wird mein Junge seinen Lebensmittelpunkt fortan bei m i r haben; das wurde gestern, das war das klärende Gespräch, so besprochen; das war auch das, was ich erreichen wollte; daß ich die beiden anderen Kinder, weil sie genetisch nicht meine sind, verlieren werde, und sie mich als ihren Papa, das ist etwas, womit ich ebenso klarzukommen werde lernen müssen wie mit meiner leeren, doch bleibenden Liebe und diesem „Ich habe mich geirrt; du bist nicht mein Mann gewesen, wie ich dir immer sagte; ich habe mir das nur eingeredet, weil ich Schutz und Sicherheit brauchte, und da habe ich das aufgesucht, was ich kannte und was sie mir gab“. Daran schmerzt mich der Mißbrauchs-Aspekt, den das hat, sehr viel weniger, als ich gedacht hätte, vielleicht weil ich nach wie vor nicht glaube, daß das so stimmt; die Gründe dafür gehören aber nicht hierher; hier hinein gehört nur, was meine Arbeit bestimmt. Im übrigen wäre ich, wenn diese Frau abermals solchen Schutz und die Sicherheit brauchte, abermals da. Ich habe bis heute nicht wegen der Trennung geweint.

Um acht werd ich kurz zur Schule meines Sohns hinüberradeln, weil ich seine Mathehefte noch hierhab; die Ferien sind mit heute vorüber. Frühnachmittags dann für ihn zur Musikschule, danach ihn zum Judo-Training fahren. Und dann wird Αναδυομένη in die Arbeitswohnung treten, mit der ich spätabends kochen will: >>>> Muscheln sind heute früh zu kaufen. Zwischenabends will ich… tja, „heim“, um meinem Jungen zur Nacht vorzulesen; ich versprach’s ihm gestern: wir haben ein neues Buch angefangen. Dann rüber in den Westen, voll bepackt, das Cello muß mit, weil ich morgen früh um zehn wieder Unterricht habe. Ich will an die Elegien, endlich, aber ich muß auch diese Steuererklärung machen: das ist lästig. Die Wochen der Arbeitswohnung sind fortan gezählt.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Montag, der 5. Januar 2009.

  1. ICH BIN NICHT KLEIN Ne, is nich wahr? Da hat SIE Zwerg Nase ausgestochen und IHNEN die Braut weggeschnappt? Is ja märchenhaft! Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich…

    1. Weggeschnappt. Es fragt sich nur, für wie lange. Ein Schauspieler mag beim Textlernen auf Dauer sicher keine schreienden Kleinkinder.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .