Arbeitsjournal. Ostersonntag, der 12. April 2009.

7.20 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Du schläfst auf Deinem Vulkanlager noch; wie unvermutet fast, daß Du an diesem Ostern auch bei mir bist für den Morgen. Im Kino sind wir gewesen und in den magischen Berg eingetreten; österlich aber ist das Wetter. Der Schreibtisch noch immer mit dem Steuerzeug voll. Aber ich habe die erste, vorläufige Durchsicht, so daß ein Ende absehbar ist. Sicher, die Finanzamtsleute werden den Kopf schütteln, wenn ich so mit dem Krempel bei ihnen auftauchen werde, und ob meine Rechnung so akzeptiert wird, ist vermutlich auch eher fraglich; doch die Termine lassen sich einhalten, darauf kommt es vor allem an. Der nächste Punkt dann wird sein, ob ich die >>>> 2,6 % nach 23 § UstG durchbekomme, mit der Künstler pauschal besteuert werden können; dann läge ich nämlich bei rund 300 zu zahlenden Euro, im Gegensatz zu über den Daumen gepeilten 2500. Einkommensteuer sollte so gut wie keine anfallen, wenn ich die Ausgaben gegen die Einnahmen rechne, bzw. nur ein geringer Betrag. Schon die Steuerschätzung war freilich okay gewesen, allerdings ohne den Riesenbatzen Umsatzsteuer. Soweit gut. Ich muß jetzt die „Bewirtungen“ fertigmachen; vor dem Jahr 2000 ist das mal ein enormer Posten bei mir gewesen; damals „lief“ allerdings auch noch viel. Man kann richtig mitverfolgen, wie seit der Währungsreform (DM zu Euro) Aufträge und Einnahmen exponentiell zurückgegangen sind; ebenso die öffentlichen Auftritte, dafür wurden die Rundfunkarbeiten mehr, wölbten sich, fielen seit 2004 wieder in sich zusammen, je näher der Öffentliche Rechtliche Rundfunk sich an die Privatsender schmiegte. Eigenartig, ich bekomme gerade auf die Steuererklärung eine kulturhistorische Sicht. Man müßte mal die Steuererklärungen von Künstlern vergleichen seit 1998, daneben kritische Blicke auf die Ästhetiken werfen, die sie jeweils vertreten/vertraten. Wär eine Doktorarbeit wert, in „Kulturwissenschaften“.
Also, ich mach das Zeug heute fertig, jedenfalls fast, weil ich noch versuchen muß, ein paar Unterlagen, etwa Kontoauszüge, wiederzubeschaffen, die mir verlorengegangen sind; zwischen dem 29. und 31. steh ich dem Finanzamt dann in der Tür. Jedenfalls geht mein Arbeitstag heute noch mal dafür drauf. Aber ein bißchen Ostern ist jetzt halt doch; neben Deinem Lager steht ein großes glitzernd verpacktes Osterei; wenn Du, erwachend, die Augen öffnest, wirst Du es sehen. Und nachmittags bin ich >>>> im Lohengrin: Bayreuther „Verhältnisse“; es fängt bereits um 16 Uhr an.

14.50 Uhr:
So, mit der Steuer bin ich erstmal durch; jetzt muß ich noch ein paar Kleinigkeiten zusammenbekommen, die fehlen, bzw. beim Anwalt liegen; eine Kinderfreibetrags-Übertragung muß auch noch her usw., aber im Groben: Fertig. Die Dateien zur Sicherung ausgedruckt, auf dem Musikcomputer zur weiteren Sicherung mitkopiert und endlich geschlossen. Jetzt freu ich mich auf den Lohengrin. Der schon um 16 Uhr anfängt, so daß ich kurz vor neun bereits wieder draußen sein werde. Und dann mal schaue, was ich tu. Der Profi ist leider, aber wunderbar für ihn, am See.

21.43 Uhr:
Aus der Staatsoper zurück. Stille hier. Auf dem Weg bei meinem Lieblingslibanesen Daye ein Schawarma mit Hummus gegessen, draußen gesessen, dabei Tee getrunken und über die Inszenierung und Musik nachgedacht. Es waren zwischen den Aufzügen so lange Pausen – Bayreuther Pausen halt, nur ohne grünen Hügel -, daß ich das Programmbuch fast durchlesen konnte; ein roter Teppich war wieder ausgerollt; ausverkauftes Haus, Bravi-Wogen, und eine Buh!- und Bravo!-Schlacht wider und für Klaus Florian Vogts Lohengrin-Partie. Die Inszenierung, die mit dem allerletzten Schlußbild ein Provokatiönchen noch draufsetzt, bekam ebenfalls Buh!s ab, aber wohl mehr, weil man schockiert war, daß jetzt noch sowas passierte… – dabei war es, formal gedacht, ganz konsequent, nämlich eine Formklammer zum allerersten Anfang. Ich schreibe jetzt meine Kritik, will aber noch mal in die letzten Takte zweier anderer Lohengrin-Aufführungen hineinhören. Hab so eine Idee.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Ostersonntag, der 12. April 2009.

  1. “Man müßte mal die Steuererklärungen von Künstlern vergleichen seit 1998, daneben kritische Blicke auf die Ästhetiken werfen, die sie jeweils vertreten/vertraten.”
    sehr richtig, absolut!

    es ist gerade so, in mir steigt eine unglaubliche wut hoch beim lesen von theweleits deutschlandfilmen, der eine sehr klare analyse von pasolinis salò und de sades sodom abliefert, mit grossem dank an r für das buch! ich erinnere wie wir über dem de sade bei sp saßen, und ich erinnere als einziges noch seine zusammenfassung, dass in einer gesellschaft von unrecht, der gerechte der perverse sei. und, verdammt noch eins, vielleicht erinnere ich zu viel nicht, aber wenn ich heute drüber nachdenke, wie hermeneutisch fern der blick sps auf das obszöne in der literatur war, dann bin ich nachträglich einfach sauer, und es erklärt vielleicht auch, warum ich letztlich wohl am lehrstuhl des kontrahentens seines brötchen- und ideengebers gelandet bin. das reichte nämlich hinten und vorne nicht bei prof. a. und für jemand, der soziologie studiert hat, auch ein dolles ding, ja, sorry, aber, ist doch wahr.
    wütchen kühlen, ok.
    ich hatte schon lange den verdacht, dass seine ausführungen öfter eine verteidigungschrift seiner lebensweisen sein sollten. wobei es völlig schnuppe ist, ob nun er oder herr politycki, oder lieschen müller, sofern sie denn studiert hat und nun gern gehört und befragt wird zur krise, oder zur krise, oder vielleicht zur krise, und ich zufällig mal bei ihr lernte. und ich lernte ja was, keine frage.
    und ich frage mich bis heute, kann das sein, oder ist das nicht ein missbrauch von literatur, sie für die je eigenen wunschmaschine zu benutzen, ohne auch nur den maschinenpark, in dem sie aufgestellt ist, mitzudenken? betrifft nun auch irgendwie wieder seine kontrahenten, wohl wahr, oder vielmehr die, die sich dafür halten. lange schon steht auch eine arbeit über die neokonservativen strömungen in der deutschen literatur der sogenannten 78er aus. also, steuererklärungen auf den tisch und die poetologien daneben! aber, keine sorge, haftbar gemacht werden sie nur für die poetologien. das schmerzt nur nicht weniger, vermutlich.

    1. @diadorim. Sofern wir an denselben sp denken, sollte Sie die hermeneutische Ferne nicht sauer machen; zwar generierte sie einerseits Einkommen, oder sagen wir sogar: garantierte sie’s, andererseits bleibt aber doch diese Ferne, bei der es wurscht ist, na sowieso, ob Gerhard Schröder ihr zuklatscht oder man besonders gern gesehener Gast der Adenauer-Stiftung ist. Was dieses zu Krisen befragt werden anbelangt, bin ich eh immer höchst irritiert, daß jemand auf den Gedanken verfällt, ausgerechnet Schriftsteller für voll der Wahrheitsdignität zu halten, also als wären solche unseres Schlages tatsächlich eingeweihter in wirtschaftlich-politische Geschehen als mein Bäcker an der Ecke. Vielleicht kennen wir Täuschungsmanöver besser, aber wenn man d a m i t kommt, heißt’s ja immer, man hänge Verschwörungstheorien an. Soviel auch noch mal eben zu >>>> d e r Diskussion um Lüge und Wahrheit, bzw. poetischer Lüge a l s Wahrheit. Darüber aber, haftbar gemacht zu werden, darf ich nicht klagen, schließlich forder’ ich das ja nun ständig heraus: deshalb lassen sich auch Hauffs selbst dann ganz gut ertragen, wenn sie versuchen, Die Dschungel zu einem Therapieplatz Anonymer Alkoholiker umzufunktionieren.

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