Bambergsjournal. Sonnabend, der 18. April 2009. Piove come il dio lo manda.

6.51 Uhr:
[Küchentisch. Unter dem Michelsberg.]Wir besuchten gestern >>>> Gerd Kanz. Du kamst mit einem großen, tief- und variantblauen Glasstein heim, den Dir der Maler zum Abschied geschenkt, bzw. den er Dich aus fünfsechs privaten Schaustücken solcher Steine hatte aussuchen lassen. Als Du Dich schlafen legtest, zur zweiten hiesigen Nacht wieder neben mich, davor schliefst Du bei Deinem Freund, sagtest Du s e h r erschöpft: „Papa, legst Du bitte den Stein hierher an mein Kissen? Ich kann sonst nicht einschlafen.“ Da war es schon sowas um halb zwölf, nachts, ich schrieb es schon. Spargel die Zweite, das war das Abendessen drüben auf dem Land, davor war mit Pfeil und Bogen geschossen worden, Du hast ein ziemliches Talent. Kanz’ Arbeiten, viele großformatig, er hat auch den R a u m dort, gefallen mir sehr, am besten aber dann, wenn sie ausbrechen aus ihren Rahmen, auch aus ihrem Konzept, wenn sie, sozusagen, loslegen, wenn sie – „eruptieren“; das ist freilich selten. Vieles ordnet sich, ordnet sich wieder, Suche nach sich wiederholenden, wederholbaren Mustern und/oder/aber ihrer Herstellung.Vormittags hatte der Spiegel angerufen, Kulturspiegel, Telefoninterview zu Publikationsformen, – bedingungen und -folgen im Netz. Mir blieb der Satzteil hängen „… wenn Sie Ihre Texte verschenken“ — sofort joggte ich eine fermündliche Runde ums >>>> Urheberrecht. Wenn jemand bei mir abschreibt, na soll er, dann, wenn er’s wörtlich tut, merkt man ja d o c h: e s ist „ein Herbst“; verändert er den Text aber, und zwar ästhetisch grundlegend, dann wird es ein anderer und w ä r e ein anderer, sprich: nicht mehr „meiner“; das wäre im Recht. Die Grundgedanken sind frei. Selbstverständlich aber stellt sich weiterhin die Frage: Wie – und vor allem dann: wovon – überlebe ich, überleben vor allem meine Kinder? Eine Frage, die mich momentan erschreckend wenig umtreibt, nicht mal berührt, obwohl sie das sollte. Ich hab so eine Zuversicht. Sagte ich mittags auch >>>> in der Villa Concordia zu den Damen des Büros, die sich wirklich freuten, mich zu sehen, die dann fragten, wie es mir gehe – meinen Buben hatten sie schon gesehen, jetzt wollten sie von den Zwillingen hören; sie wußten nicht, daß ich nicht der leibliche Vater bin, jetzt erählte ich’s, auch von der Trennung, dem Verlust meiner Kinder; ich schloß dann aber das Hin- und Hererzählen d a m i t: „Wissen Sie, ich liebe es zu leben, das lasse ich mir n i c h t nehmen.“ Daraufhin einer der drei Damen: „Das, Herr Herbst, merkt man Ihrem Jungen sowas von an.“ Da stand ich sekundenlang in einem tiefen Glück.

(Was mich in der Concordia ebenfalls glücklich machte: Die Pfingstrosen, die ich im erste Monat meines damaligen Aufenthaltsstipendiums rechts und links neben den kleinen Sitzponton vor meinem Studio in den Kies und da untergegraben hatte, die ich damals gesetzt habe, sind angegangen, und sie werden dieses Jahr Blühen; man sieht die kleinen Knospen schon. Ebenso hat sich der Rosmarin durchgesetzt und sogar eine einzige Erdbeerpflanze. Man hat das gelassen, die Pfingstrosen sogar gestutzt, also gepflegt.
Mit Ulrich Holbein sprach ich nur kurz, dann mußte er zu seiner ersten Besprechung mit Goldmann & Weiß; durch den Regen schritt ich die alten Wege ab.)

18.40 Uhr:
Da bin ich fast den ganzen Tag aus Der Dschungel abwesend, >>>> lese dann eben nach und muß feststellen, daß uns nunmehr der Orden wider den tierischen Hauff höchst gebührt. Wahrscheinlich guckt aber wieder kein Juror. (Lachend auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen; Blick gen St. Michael, dessen Kuppel mit die schönsten Fresken halten, die ich kenne: sämtliche Blumen des Alten Testamentes sind dort filigran hingemalt. Ich habe eine Kerze entzündet und auch meinen Jungen angehalten, dies zu tun. Später sollte ich den Begriff „Opferkerze“ erläutern, dann waren wir schnell bei 1) Herodes 2) Cäsar 3) Augustus. Und der Bub nahm eine Fingerspitze Weihwasser an Stirn und Herz und Mund. Danach ging der Spaziergang wieder hinab. „Ich bin aber nicht getauft“, sagt der junge Freund meines Jungen. „Aber es ist gut“, antworte ich, „zu wissen, weil du sonst unsere Kultur nicht verstehst.“ Eigentlich bin ich der Meinung, daß mein Junge im Gymnasium dem katholischen Religionsunterricht beiwohnen sollte; zu den Protestanten kann er wechseln, wenn der das Mittelalter verläßt und sich in Richtung Neuzeit bewegt.)

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