11.41 Uhr:
Erst um halb acht aufgestanden, nachdem es gestern mit der Ausstellung in der Villa Concordia etwas später wurde – nicht der Ausstellung wegen, über die sich eigentlich nichts anderes sagen läßt, als daß sie „fotorealistisch grün“ gewesen sei… mir fällt dabei sofort der Profi ein, der einen bekannten Maler nach seiner Einschätzung eines anderen Malers fragte und folgende vom Profi seither gern zitierte Antwort bekam: „Befrage nie einen Künstler über einen andern.“ Jedenfalls fand ich, es ist Zeug, was da herumhängt.
So ging ich mit Zschorsch hinaus vors Schloßportälchen, um eine Zigarette zu rauchen und etwas zu lästern, da erschien eine dunkelhäutige, ziemlich sportliche Frau von deutlich afrikanisch/latinischer Herkunft, in Bamberg lebende US-Amerikanerin, wie sich schnell herausstellte. „What’s goin’ on here?“ fragte sie. Wir erklärten, es handele sich um eine Ausstellungseröffnung, sie sei gerne eingeladen, sich die Bilder anzuschauen; aber sie zierte sich wegen ihres SportAufzuges; es kostete ein wenig Überredung und meine Begleitung, sie hinaufzuführen. Als sie aber nach m e i n e r Arbeit fragte und vor allem wissen wollte, über welche Themen ich schriebe, setzte sich mich aber auch umgehend ab und treppte wieder hinaus.
Dort war nun aber Zschorsch mit Bekannten im Aufbruch begriffen, „kümmer dich doch um die schöne Frau“, sagte er mit Augenzwinkern. „Nee“, erwiderte ich, „sonst muß ich erklären, über was ich so schreibe.“ Er lachte. „Dann komm doch mit, wir gehen was essen.“ Das nun wollte ich auch nicht; eigentlich trieb es mich an den Schreibtisch zurück. Doch der Wein, den es oben freigab, zog mich noch einmal hinauf – und direkt der Frau… nein, nicht gerade in die körperlichen Arme, in zugreifende aber doch. – Nun, wir zogen dann ab, „do you accompany me to my flat?: I forgot a meal on the stove“, ich ließ mein Weinglas noch einmal füllen, so flanierten wir durch Alt-Bamberg, und ich dachte bei mir: Was tu ich nur, wenn sie mich jetzt zu sich hinaufbittet? Ich hatte Lakshmi im Kopf und den festen Willen, höflich, doch standhaft zu bleiben. Zu meiner Erleichterung bat sie mich dann unten vor ihrem Haus, zehn Minuten zu warten. Was ich tat. Ich ging zur Brücke, alles war längst voll einer Dunkelheit, in der von der erleuchteten Residenz und den Kirchen herunter warmes Licht lag, und Lampen vibrierten sanft mit ihrem Schein.
Dann kam – ich nenn sie jetzt mal Louise – – – kam also Louise wieder herunter, sah mich wohl erst nicht, aber ich sie. Ging auf sie zu, sie sagt: „Oh, I first thought you could have gone!“ „Why should I?“ Und immer, während wir zu einem Café schritten, vor dem wir uns in die wirklich laue Nacht setzten, nach Vokabeln gekramt, bisweilen rein vergeblich, wenn das Gespräch tiefer ging. Von den unglücklichen Versuchen, hier in Deutschland jemanden kennenzulernen, jemanden ihres Alters, was solle sie mit so-Jungen?, was ihre Hautfarbe hier bedeute, was sie getan habe bislang in ihrem Leben – und so fort. Dabei blitzten ihre kräftigen reinweißen Zähne, ein Raubtiergebiß, dachte ich, lockend, dazu die sehr festen, sehr gewölbten, nicht afrikanisch, sondern orientalisch geschnittenen Lippen – „I am nearly always fast“, sagte ich, als sie versuchte, mir das Rauchen zu problematisieren, „so, when I have to sit calm for my work, my body is missing physical movement – and for compensation I smoke.“ „Fast, always?“ sagte sie und lachte auf. „That’s not so good!“ Und lachte wieder, „excuse me, I didn’t want to injure you…“ – aber es war wirklich komisch, sie hatte ganz recht. Nein nein, das sei gar kein Problem; es gebe s c h o n Situationen, in denen ich auch langsam sein könne, erwiderte ich lächelnd. Schon sprachen wir über Sex und über Treue und Partnerschaft. So ging das bald zwei Stunden, ich trank nach dem Wein noch zwei halbe Bier, Louise hingegen wurde langsam müde und ihre braune samtige Haut nahezu fahl. „You should sleep“, sagte ich, und bald standen wir auf, trennten uns, sie ging nach rechts, ich ging nach links durch die Gassen davon.
Im Studio fand ich bereits eine Email von ihr: das sei ein schöner Abend gewesen. Fand ich denn auch, der ich derart standhaft geblieben war und dafür noch jetzt ziemlich stolz auf mich bin. Dafür aber verschlief ich dann halt. Dennoch, eine weitere Seite ARGO hab ich heute früh geschafft – und diesen Eintrag ganz absichtlich erst jetzt geschrieben, auch wenn UF eine nölende Mail herübersandte, wo denn mein Tagebuch bleibe…
0.05 Uhr:
[Zahnhausen, Pastoral für Blockflöte.]
Gerade von Tanja Dückers‘ Lesung heimgekommen. Auch Gerald Zschorsch war da, stand nach der Lesung auf und donnerte hochherrlich ein normatives „Das ist doch kein Roman!“ in den Raum. War unnötig auf diese durchaus doktrinäre Weise, auch unkollegial vor dem Publikum. Ich habe ebenfalls meine Einwände, aber hielt mich sehr zurück; sowas gehört in ein Arbeitsgespräch. Egal.
Wir waren dann noch etwas trinken, die Dückers, der Buchhändler, ein junger Antiquar, der sich zugleich über Marcel Beyers Flughunde promoviert, und ich. Schönes lockeres Gespräch. Dückers kommt morgen mittag, bevor sie abfährt, hierher, um in ihre Mails zu schauen und ein wenig zu plauschen. Ich führe jetzt noch dieses Tagebuch, trinke ein Glas Wein und komplettiere dabei das DTs. Dann werd ich ebenfalls schlafengehen. Gute Nacht, insieme.