Arbeitsnotizen. 11.05. 09. montgelas. Fetisch: Betroffenheit

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Jedwede Vernunft dankt dort ab, wo Betroffenheit zum Fetisch gerät. Gilt sie doch denjenigen gegenüber als kostenfreies moralisches Plus, die mit ihr nichts anfangen können. Mir scheint Betroffenheit in Auseinandersetzungen als eine Art Flucht vor Argumenten, mit denen sich zufällig Betroffene nicht mehr auseinandersetzen wollen, weil sie ihren Anspruch, der sich von vorn herein im Recht wähnt, in Frage stellen.
Das jeweilige zufällige Ich, letzte Barrikade gegenüber einer ihm fremden unverständlichen Welt, erleidet gleichzeitig, indem es sich betreffen lässt, einen Verlust an Vernunft, dessen Ursache eine inhärente Grundlosigkeit ist, die wiederum Distanzlosigkeit erzeugt, der es unmöglich ist externe Gründe anzuerkennen.
Die unbestimmbaren, nicht berechenbaren Folgen nimmt das „grundlose Ich“ dabei in Kauf. Sind sie ihm doch einzige Konstituante. Diesem Subjekt werden alle Werte und kollektiven Erfahrungen, gleich ob sie ästhetischer, politischer, sozialer oder moralischer Natur sind, auf diese Weise zu beliebigen Setzungen, die es, um sich vor eigener Grundlosigkeit zu retten, schamlos nutzt.
Geheime Absichten, Wünsche, die das Subjekt sich nicht eingestehen kann oder will, werden rationalisiert. Rationalisierung dient ihm als argumentative Tarnung, um die eigene, erlebte leere Mitte zu kaschieren. Das distanzlose Ich, das seinen Grund verloren glaubt und dessen Ausweis der Verlust an Schamkultur ist, betrügt sich und andere, wenn es z.B. betroffen von „Menschheit“ spricht.
Betroffenheit versucht praktische Vernunft ins Joch zu nehmen, macht sie zur Hure. Obwohl sie doch gerade das Gegenteil öffentlich bekennt, erscheint sie als Verweigerung jeglicher existentieller sozialer Teilhabe, die für ein Teilnehmen Voraussetzung ist, das eben auch die Akzeptanz von Objektivitäten verlangt.

Reflexive Selbstverblendung heißt das “alte” Verfahren, dass den „inneren Menschen“ davon befreit, ihn nahezu entfesselt, sich vor einer Vernunft zu rechtfertigen, wie die Aufklärung sie überliefert.

Wer Menschheit sagt, will betrügen. (Carl Schmitt: Die Tyrannei der Werte.) Schmitts Satz klingt, angesichts der Opfer in der Geschichte, die Menschheitsbesserung” anstrebten, zynisch. Einen Wahrheitsgehalt aber, blickt man auf die mittlerweile etablierte “Zeigefinger – und Tränenkultur”, kann ich ihm nicht abstreiten.

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