Tom Wood, Vauxhall Circular, Kirkdale, 1988

»But we never leave the past behind
We just accumulate«
Joe Jackson, Home Town

Die Provinz im Leben. Auch ich kenne sie gut. Dabei ist Liverpool keine Kleinstadt wie Ochtrup, aber wer Außenbezirke wie Kirkdale belichtet, wird wohl etwas wissen vom Gefühl eines Lebens out of focus, wie es auch mich geprägt hat und mir abrufbar bleibt, selbst wenn ich seit einigen Jahren in einer 12-Millionen-Metropole hocke.
Unter Thatcher war für Tom Wood, zumal als irischer Fotograf, die Splendid Isolation in Großbritannien sicher mehr als bloß sprichwörtlich spürbar. Umgehungsexistenzen auf Umgehungsstraßen, nicht selten begleitet von der fixen Idee eines umgehungsnassen Aufstiegs.
Weg von den Analphabeatles, hin zur Musik der glücklicheren Zufälle. Davon mag ebenso Wood geträumt haben, als er die Achtziger hindurch Bus fuhr und von einem Fahrgastsitz aus Mitfahrende, Liverpool und seine Bewohner fotografierte. All zones off peak heißt die Knipserepiphanie des linienbusgeführten Blicks. Nebensaison und kein Ende absehbar. Das heißt Provinz. Und sie betrifft genauso Menschen in den großen Städten. Wood bewies mit seiner Zonenstudie ein unbegrenztes und unendliches Gespür für auslastungsschwache Zeiten bei größtmöglicher Belastung der lohnabhängigen Population mit langem Arbeitsweg.
Imagine there’s no heaven / It’s easy if you try. Und regnen tut es ohne Unterlass aus diesem Nichts von verhangenem Himmel.
Wetter und Geld. Zwei schwer zu beherrschende Integrationsmächte des eigenen Seins, auf die man ohnehin viel zu wenig Einfluss hat.
Pennies do not come from heaven. They have to be earned here on earth, predigte die Iron Lady einst den Briten und schrumpfte die soziale Demokratie mit der Kopfsteuer gesund. Machn Kopp zu, deine Meinung is hier nicht gefragt! So kam das bei den Pennyverdienern vermutlich an. Ich erinnere mich an eine Szene aus Taxi Driver: im Wahlkampfbüro diskutiert man, wo die Betonung liegt beim Slogan Wir sind das Volk!
Geradeaus geht es zu den Docks, links zum Flughafen und den Autofähren. Wood saß gleich vorne, vermutlich auf dem Sitz für Alte, Schwangere und Bedürftige, als er durch die Windschutzscheibe den bepissten Tag einer entvölkerten Ausfallstraße fotografiert hat. Above us only sky, hinter seinem Rücken, imagine all the people / Living for today.

aus: licht/schreiben: fotografie-literatur-konstellationen, 2009

http://www.report-k.de/content/view/18488/133

zu nämlichem foto schrieben auch: peter glaser und sabine küchler, wie mir m berichtete. ich habe den band leider noch nicht.
autoren erfahren über sich und die rezeption ihrer arbeit immer auf umwegen und immer als letzte, aber das ist vielleicht auch besser so.

4 thoughts on “Tom Wood, Vauxhall Circular, Kirkdale, 1988

  1. bepisstes Leben irgendwie, Nan Goldin, Kontaktaufnahme, versucht hat das Katharina Hacker auch schon damals, geriet dann aber zur klassischen Sozialstudie als ein Hineinbeugen in etwas, mit dem man so ganz und gar nichts zu tun hat und ehrlich gesagt auch nicht zu tun haben will, einmal Freiburg immer Freiburg, was ist das? dieses – das Elend mit ganz langer Zunge kosten wollen…
    frag ich mich manchmal.

    1. Keine Ahnung, hatte mich gerade nur an nan goldin erinnert. ich sah mal vor ein paar jahren leuten dabei zu, so bundesdeutschen menschen, lehrbeauftragte, kultivierte menschen, ein bisschen bionadebiedermeier, ein bisschen bat-IIa-Tarif-Schickeria, wie sie in einem fotoband von nan goldin blätterten, und das “total intensiv” fanden.

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