Arbeitsjournal. Dienstag, der 15. September 2009. Mit dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

7.29 Uhr:
[Haflidi Hallgrimmssohn, Cellokonzert.]
Komische Nierenschmerzen seit gestern nacht, seit ich von >>>> der Veranstaltung zurückgeradelt bin; gegen 24 Uhr war ich wieder hier. Ebenfalls komisch: ein Toilettengang, und sie sind weg. Dabei haben sie mich die ganze Nacht durch bis heute früh genervt; ein unangenehm dumpfer Schmerz, als ob jemand mit den Fäusten beidseits in etwas reindrückt, das keine Haut hat.

Es war ein nettes Gespräch – „nett“ ist das richtige Wort – mit Frau Bassam, einer 23jährigen Jungliteratin, die dann auch ganz aus sich herauskam und zu plaudern anfing. Ein Hörer kam später auf mich zu: „Sie haben die junge Frau ja richtig lockergemacht! Bei ihrer Lesung vorgestern wirkte sie scheu, zurückhaltend, fast unauffällig, und jetzt ist sie völlig aufgeblüht.“ Machte mich etwas stolz, immerhin war ich wegen der Englischsprachigkeit der Veranstaltung höchst unsicher gewesen, wie ich gestern schon schrieb, einfach weil ich keine Fettnäpfchen auf die Bühne stellen wollte, in die man dann ja immer auch reintritt. Leicht heikel wurde das Gespräch erst gegen Ende, als ich es fürs Auditorium öffnete: wie es denn mit der Zensur und anderweitiger Unterdrückung der freien Meinungsäußerung aussehe. Bassam bestritt entschieden, daß es so etwas in Ägypten gebe – allenfalls, wenn auf starke Weise der Islam angegriffen werde. Die Hörerin, die die Frage gestellt hatte, hatte nun aber am Vorabend von anderen Ägyptern das Gegenteil gehört… so daß man da in einer patten Situation war: a) sagt b), b) sagt a), man kann da nur wieder lockern, sonst prallen Behauptungen aufeinander, die nicht mehr als Behauptungen b l e i b e n. Zudem war der gesamte Zugang der jungen, durchaus in gehobenem Wohlstand lebenden Frau ein eher unpolitischer, freundlich-affirmativer, wozu dann auch der einfache Ton gehört, den sie in ihren Alltagserzählungen anschlägt. Der ist für ein Land wie Ägypten nicht ohne Bedeutung, weil er einen Kommunikationsraum insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene öffnet: Sprachraum einer wirklich neuen Generation. Ziemlich sympathisch, auch wenn das Gespräch zwischen Frau Bassam und mir sehr schnell inhaltliche Grenzen erreichte: daß das Weblog als Form ästhetische Implikationen hat, ist für sie ohne Bedeutung; das Weblog ist halt dasjenige Medium, in dem sie ihre ersten Texte veröffentlicht hat, ganz konventionell, und durch das sie so viele Leser gefunden hat, daß aus diesen Texten ein zum Bestseller avanciertes Buch wurde. Allerdings bedeute in Ägypten „Bestseller“, wurde mir später beim Malt erklärt, so um die drei- bis viertausend verkaufte Exemplare.
Jedenfalls hat >>>> das ägyptische Weblog Frau Bassams für eine junge ägyptische Gesellschaft ganz sicher emanzipierende Bedeutung, für Überlegungen zur veränderten, bzw. zu einer neu zu entwickelnden Formung der Dichtung aber, also für Kunst, nicht. Da ich direkt-politische Themen meiden wollte, ging mir denn auch nach drei Viertelstunden der Fragestoff aus, weshalb ich ziemlich dankbar dafür war, die Diskussion ins Plenum hinüberleiten zu können.

8.07 Uhr:
Meinem Jungen, der bei der Mama schlief, seinen Schulranzen runtergebracht; schönes Ritual morgens, das den Umstand, daß sein Gymnasium gleich zwanzig Schritte von hier entfernt ist, zu einem kleinen Glück macht; wie luftige Zwischenküsse, die man im Vorübergehen bekommt. Ich werd gleich mal losziehen und meine Honorare für Sonnabend und gestern verprassen gehen: Miete zahlen, Strom zahlen, das Lehrbuch Latein abholen, das in der Buchhandlung endlich angekommen ist, und es meinem Buben auch gleich in die Schule bringen. Danach sieht man weiter.

3 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 15. September 2009. Mit dem Internationalen Literaturfestival Berlin.

  1. Frau Bassams Alter Ich habe überall gefunden, sie sei 1977 geboren. Aber “Jungliteratin” paßt wohl trotzdem noch.

    Es grüßt Sie
    die Finnin

    1. Liebe Finnin, das ging mir genauso. Nur daß mir der Leiter der Literaturfestspiele vorher erzählte, Frau Bassam sei 23. In der Tat wirkt sie sehr jung, aber das kann mein europäischer Blick sein; sowas kenne ich besonders aus meiner Keio-Zeit in Japan: da saßen Doktorandinnen von um die 30/35 im Seminar, und ich dachte, die seien gerade immatrikuliert… Also Entschuldigung. Immerhin haben wir während der Veranstaltung das Alter mit keinem Ton erwähnt; ist dafür ja auch unwichtig.

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