Kunst und/oder Leben. 01. 12, 2009. Paul Reichenbach liest Oscar Wilde.

Es ist die Frage, ob wir jemals eine Persönlichkeit sich völlig haben ausleben sehen, es sei denn in der Phantasiesphäre der Kunst, schreibt Oscar Wilde in seinem wunderbaren Essay >>>>„Der Sozialismus und die Seele des Menschen“. Nun gibt es Leute, die getreu nach der Devise von Pauls >>>>>„Litauischer Krankheit“ und ANHs Arbeit über >>>>Eigner, dass „jede Sucht ihre Katastrophe sucht“ versuchen zu schreiben. Dabei verwechseln sie mit Bedacht „Phantasiesphäre“ mit realem Leben. Und machen, was mich nicht verwundert, damit auch noch Eindruck. Dass Kunst Kunst ist und Leben Leben, verwischen sie gern, weil sie wie der Teufel das Weihwasser die Realität fürchten. Sie glauben an die Magie der Sprache und suggerieren ihren Lesern und Hörern, dass Kunst Leben sei. Aufgemerkt nicht Lebenskunst, die es wohl zu erlernen gilt, ist gemeint. Es sind in der Regel außengeleitete Persönlichkeiten, Flüchter der Wirklichkeit, die ihre speziellen Fähigkeiten, die sie für Kunst nahezu prädestiniert, missbräuchlich nutzen, um in der Sonne einer „Macht der Worte“ zu glänzen, die sie für die eigene halten. Wirklich große Künstler, Wilde war ein solcher, haben das nicht nötig. Sie wissen sehr wohl den Unterschied, den es zwischen Kunst und Leben gibt, zu wahren. Wildes Credo ist Menschenliebe. Sein „Egoismus“ wahrer Altruismus, der keiner Illusion bedarf, um sich zu begründen. Wilde leidet an seiner Macht der Worte und ist sich seiner Eitelkeit, seiner Schwächen wohl bewusst. Und sehnt sich nach einem Zustand des Menschen, der dessen eigentliche Persönlichkeit endlich offenbaren kann und schreibt von tiefer Sehnsucht getrieben: „… Sie wird etwas Wunderbares sein – die eigentliche Persönlichkeit des Menschen – , wenn sie sich uns zeigen wird.
Sie wird in natürlicher und einfacher Art wachsen, wie eine Blume oder ein Baum wächst. Sie wird nicht im Streit liegen. Sie wird nie argumentieren oder disputieren. Sie wird nichts in der Welt beweisen. Sie wird alles wissen.
Und doch keinen Wissenschaftsbetrieb kennen. Sie wird weise sein. ….. Sie wird sich nicht um andere kümmern oder von ihnen verlangen, sie sollten ebenso sein wie sie selbst. Sie wird sie lieben, weil sie anders sind. Und doch, während sie sich um andere nicht kümmert, wird sie allen helfen, wie etwas Schönes uns hilft, indem es ist wie es ist. …”
Der Verwischung von Kunst und Leben ist dann entschieden entgegen zu treten, wenn sie die Schärfe des Lebens unscharf mild erscheinen lässt. Quasi aus der Oper eine Operette macht. Fiktion hat nur dienende Funktion, meine ich, ohne einen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben zu wollen.
Dort wo sie sich zum Herrn aufschwingen will, muss sie bekämpft werden.
“Immer, wenn es einen Mann gibt, der Macht ausübt,
gibt es auch einen Mann, der widersteht.”

>>>>Alle Zitate aus: Oscar Wilde, Der Sozialismus und die Seele des Menschen (1891)

Bildquelle >>>>>H I E R

2 thoughts on “Kunst und/oder Leben. 01. 12, 2009. Paul Reichenbach liest Oscar Wilde.

  1. @Reichenbach. Es sind aber so gut wie immer die, die das Realitätsprimat vor Augen haben, die sowohl Macht anstreben als auch sie ausüben. Der “Mann,” der dem widerstrebt, ist nahezu immer nur die Kunst. Anderen, die dem widerstreben, geht es wiederum meistens nur darum, selber Macht auszuüben. Und was Wilde angeht, scheint mit d i e s e Formulierung auf eine Weise naiv zu sein, zu der nicht einmal – oder gerade nicht – Kinder neigen: “Sie wird in natürlicher und einfacher Art wachsen, wie eine Blume oder ein Baum wächst. Sie wird nicht im Streit liegen.” Welch ein seltsamer Naturbegriff. Man möchte Herrn Wilde gerne ein Mikoskop in die Hand drücken, damit er einmal Beobachtungen darüber anstellt, wie es im Kleinsten bereits zu geht. Aber dazu ist es ja nun zu spät.

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