Arbeitsjournal. Sonntag, der 24. Januar 2010.

8.55 Uhr:
[Am Terrarium. Beethoven, Zweite Cellosonate. ]
Seit halb acht auf; das Zwillingsbüblein ist wieder krank, auch लक ist wieder krank; dennoch zog sie gestern abermals in die Nacht ab; gegen halb fünf hörte ich sie heimkommen, sie legte sich zu Dir, mein Junge, ins Bett, zu mir nicht, so geht das in Ehen, deren erotische Attraktion versickert ist, die Lockung durch Nähe ersetzten, in fast allen also. Es verletzt, ist aber nicht ohne Wahrheit; ich seh es unterdessen mit Gleichmut an. Es ist ja meine Entscheidung, für alle drei Kinder dazusein und die Sicherheit der Familie zu garantieren. Momentan krabbelt das Zwillingsbüblein auf mir herum, das Mägdlein spielt am großen Bett, und Du hast Dich mit Deinem Kakao in Dein Zimmer und zur noch schlafenden Mama zurückgezogen, weil Dir die Kleinen heute morgen zu wirblig sind. – „Wirblig”, nun ja: in einem riesigen Schwall erbrach das Büblein den ganzen Kakao quer über Bett, Bezug, die Kissen, die Schondecke, Klamotten, da war dann schnell zu handeln. Bis auf das Kissen wirbelt nun schon alles in der Waschmaschine, die aber erst geleert werden mußte; also hing ich auch noch Wäsche auf, während ich unentwegt, seit ich aufbin, auch schon gestern über den Tag, an dem Gepardengedicht denke und schreibe, umformuliere, nach Reimwörtern suche, nach Störungen suche usw. („Ich will auf dich drauf!”: das Zwillingsmäderl jetzt und zieht und ruckt; dabei schreibe ich weiter. Ich denk mir: Bach hat das ja auch gekonnt, und das waren zwanzig (!) Kinder, von denen allerdings nur zehn erwachsen wurden… doch immerhin, welch andere Kaliber! Und was der konnte, kann ich auch; es ist rein Unfug, daß man zum Arbeiten Ungestörtheit und Ruhe braucht; L e b e n braucht man. Wobei es ganz sicher noch einmal schwieriger ist, sich auf eine innere Melodie zu konzentrieren, während der Kinderhaufe um einen herumtobt, als auf ein paar Verse.
Egal.)
Vorbereitung >>>> zu Křenek: ich spiele mit der Idee, Ihnen nach und nach Kokoschkas gesamtes Libretto einzustellen; ich dürfte das, die Genehmigung Gladys Křeneks, der Witwe des Komponisten, liegt vor. Überhaupt muß ich mich mal um den Probenplan kümmern; morgen, Leser, wird es losgehn. (An sich wollte ich heute zur Reinigung meiner Ohren vor allem Bach und Dallapiccola hören, aber letztren, vor allem, mag ich frühmorgens der Familie nicht antun, vor allem nicht, wenn Electro-Ableger favorisiert werden, jedenfalls romantische Wiener Klassik-Derivate. Auch: Egal. Außerdem, dadurch, daß लक nun lange schlafen wird und ich derweil auf die Kinder achte, gerät meine Tagesplanung sowieso durcheinander.)

Einen weiten Kopf haben. Ein weites Herz haben. Gestern, als ich durch das -16 Grad kalte Berlin spazierte, dachte ich: Es wird keine Trennung mehr geben, die ich nicht aushalten würde; im Wort: keine. Trennngshöllen hab ich durch. Irgendwie ist es wie mit meiner Arbeitswohnung: wenn ich, ohne zu heizen, auch durch diesen endlich einmal harten Winter komme, wird mich das enorm stolz machen. (Nur gestern, als Du Cello übtest bei mir und über kalte, starre Finger klagtest, stellte ich Dir den Heizlüfter an. Für mich selbst lehn ich das ab. Im sagen wir: Unterfutter auch ohne Zivilisationsgezärtel auszukommen, das wäre es. Aber ja, Sie haben recht: im großen und ganzen ist das Täuschung – aber eine, glauben Sie mir, die beruhigt und gewiß macht.)

G u t e r Winter.

15 thoughts on “Arbeitsjournal. Sonntag, der 24. Januar 2010.

  1. Was es wohl ideologisch gegen eine zeitgemäße Zentralheizung einzuwenden geben mag? Jeder Erwachsene dünstet etwa zwei Liter Wasser pro Tag aus, die im Winter nur durch angemessene Heizung zum Verlassen der Räumlichkeiten veranlasst werden können.

    1. @Kohlenklau. Ideologisch wenig. Mir gefällt allein das “zeitgemäß” nicht, wobei ich mich frage, wie zwei Liter Wasser “veranlasst” werden können. Ganz sicher aber ist “zeitgemäß” kein Wert von besonderer Bedeutung; für mich fällt er unter Mode, also Affirmation.

    2. Mieter wie Sie können zwar überzogene Stilkritik üben, aber die Mietsache nicht angemessen behandeln. Will heißen, Sie hinterlassen feuchte Wände, verquollene Fußbodenbeläge und einen muffigen Geruch im ganzen Haus.

    3. @Kohlenklau (ff). Sie unterschätzen meine innere Hitze. Aber man ahnt nur, was man kennt. (Schon einen Ort als “Sache” zu bezeichnen oder es nicht zu tun, setzt die Differenz. Sie ist phylogenetisch.)

      Doch damit, hoff ich, jetzt genug dieser lapidaren Auseinandersetzung.

    4. ein fake also dacht’ ich’s mir doch – wenn ich lese, dass jemand in einer über Monate hinweg unbeheizten Wohnung Cello übt oder eine HighEndAudioanlage stehen hat, bekomme ich adhoc eine leichte mentale Verstimmtheit, welche sich zu einer mentalen Verstörtheit aufschaukeln könnte, würde ich mich mit dem Gelesenen noch etwas näher gedanklich beschäftigen.

    5. ob das wirklich in fast allen ehen und beziehungen so geht? gibts statistische erhebungen? manchmal denk ich, ich bin schon ausgestorben, wenns so sein sollte. oder ich häng ein schild an die tür zur hoffnung aller: zwanzig jahre zweisamkeit und sie ficken immer noch.
      vielleicht lebt diese zeit auch von total überzogenen erwartungen, alles soll immer noch doller und noch intensiver werden.

      und wenn die leitungen auf putz liegen, dann ist die wohnung doch durch die steigleitungen meist beheizt, ist bei mir so, dass sie dadurch nie ganz auskühlt, wenn ich weg bin. allerdings ist diese hauswärme oft bis in den mai aktiv, wenn man bereits mit weit geöffneten fenstern schläft, dann heizt es immer noch wie blöd, was ne ziemliche energieverblasung ist.

      hm, könnte natürlich auch sein, dass ich eigentlich die entstehung einer neuen art bin, das stimmte mich dann doch hoffnungsfroher…

    6. @diadorim. Man kann nach dem, was >>>> Ihr Tagebuch erzählt, aber auch nicht davon ausgehen, daß es sich um eine sagen wir mal: “bürgerliche” Beziehung handelt, an die ganz unweigerlich Kinder geknüpft sind, die immer, grundsätzlich, für eine andere Dynamik sorgen. Aber auch Sie, also die Figur diadorim, wechseln zwischen den Welten. Das hält frisch. Auch die Erzählung diadorim ist, partnerschaftlich gelesen, eine aus höchsten Ambivalenzen.

    7. damit haben sie absolut recht, aber ich sag ja auch nur, ätsch ich hab auch noch sex. und das mit einem, mit dem ich echt lange geübt hab, das macht vielleicht noch nicht den meister, aber es gefällt, so, jetzt isses raus. ich wollt auch mal mit meinen primärfähigkeiten und ihrem centercourt angeben.
      und sonst, natürlich sehne ich gern, das sehnen ist ja auch erst mal die einfachere übung. beim sehnen kann man nicht viel verkehrt machen. wenn man dann aber mit dem ersehnten irgendwie das ganze begehren in die tat umsetzen soll, dann fängt die arbeit ja erst an. und ich quatsch natürlich umso mehr, je weiter mir noch irgendwelches handeln liegt. in dem moment, wo ich x zuschwaller, kann er sich absolut sicher sein, dass ich keine dummheiten mach, erst wenn ich anfang ganz still zu werden, will ich eigentlich gleich nach haus, weil ich fürchte, sonst was zu sagen, was zwar der wahrheit entspräche, oder was ich gerade mal dafür halte, aber auch nicht hilft, und mich zurück auf start schickte. und natürlich ist es zum tischkantenausbeissen, wenn man denkt, das ist doch eigentlich jemand, den würdst du am liebsten irgendwie immer anrufen, wenn dir danach ist, aber ihm ist gar nicht danach und die schönste entlastung dazu, x und m verstehen sich sehr gut und ich muss dann nicht immer widersprechen.
      und, wenn etwas schon so kompliziert ist, dann fickt man vielleicht einfach lieber mit wem anderen, wo es das nicht ist. und das ist bei mir sicher ein anderes einfach als bei x. und was x kompliziert fände, beziehung, find ich einfacher als ficken ohne beziehung und umgekehrt, vermutlich. weiß mans denn, ich denk, ich hab eh keinen schimmer vom ficken der anderen.
      geparden und löwinnen und bearts brüste klären es auch für mich nicht wirklich, ich lese und lese und bin so klug als wie zuvor, was aber sicher zu hundert prozent an mir liegt.

    8. kombiniere Ihre Spontan(an)dichtung : giftzwergige Ängst also.

      Ich schnitt etwas weiter oben eine mentale Verstimmtheit an, welche sich präzisierter ausgedrückt durch eine spontane Irritation bemerkbar macht.
      Vertrautes, Bekanntes oder allgemein Praktiziertes wird mit einer Art Realitätsferne konfrontiert ( mit einem unglaubwürdig harschen Kontrast ) und könnte sich somit zu einer in der tat krass-fiktionalen Fantastik ausbauen.
      Eine mentale Störung geht wohl des öfteren mit Ängsten einher.
      Dass sie Ängst “schürten” hätte ich nicht einmal ansatzweise angedeutet haben wollen.

      *ohne die Spur eines Tränchens*

    9. Nachtrag die Kältesituation in dieser Wohnung bleibt doch letztlich nur als voll untersteuertes fiktionales Ornament hinsichtlich der hierzualnde üblichen ( & redlichen ) winterlichen Sorgestrukturen ( Heizen ) stehen und bietet Anlass zu aufheiterndem Schmunzeln.

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