60. Tag des Jahres ZwanzigZehn

Manchmal nehme ich mir wohl zu viel vor. Mit B. im Zug: „Wenn es nicht unschaffbar ist, nehme ich die Herausforderung gar nicht an und wenn ich nicht scheitere, dann war die Aufgabe zu leicht“. Kopfschütteldes Verständnis. Grinsen. Lachen über das eigene immer höher, weiter, schneller. Demütig sind wir geworden, ja, auch wenn wir uns jetzt wieder ein Auto zugelegt haben. Das Außergewöhnliche wird so schnell gewöhnlich, wie bunt alles schillerte als ich hier her zog und obwohl ich Berlin kannte, mir alles so ungewöhnlich vor kam, die Menschen die beim Frisör an der Ecke mit ihren Folien im Haar auf der Straße in der Sonne sitzen, die fröhlichen Italiener in der Pizzeria, der Eisladen hinter der Kirche, mein Thailändischer Gemüseladen. Ich darf nicht vergessen wie außergewöhnlich wundervoll das alles ist, ich will mir es mir vom Alltag nicht zerstören lassen.
Es ist auch eine Aufgabe mich im Zaum zu halten, Balance zu halten, das ist nicht einfach, denn für alles was am anderen Ort passiert gibt es keine Vorgaben, kein Strickmuster, wendet sich das Blatt mit jedem Tag, jedem Treffen, jedem neuen Kontakt. Wenn ich das nicht mit Anspruch täte, hätte ich es so viel leichter, es wäre so viel einfacher, mich nicht zu enttäuschen. Es ist so schwierig das auf eine Ebene zu bringen, die die Trivialität von schnellem, hartem Sex verläst und die Zwischentöne sucht. Manchmal ist es auch schwer weil ich mich runter beugen muss zu jemandem der über mir steht, das ist genau so unmöglich wie die Hand zu führen, die mich schlägt. Wenn ich diesen Menschen dann auch noch gerne habe, seinen Humor und seinen Blick auf die Dinge schätze, es mein Herz rührt wie er nach meinem Arm greift um mich vor dem Tod durch die Tram zu retten, dann wird es gleich ganz kompliziert.
Und auch bei Anwar bleiben zu können, das war auch zu viel vorgenommen, für ihn brauchte man mehr als ein Leben. Auch das wurde mir beim langen Starren aus dem Zugfenster bewusst.