Arbeitsjournal. Dienstag, der 23. März 2010. Mit einer Konzertpause, nicht ohne Joachim Sartorius.

10.08 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
War schon draußen, nachdem ich >>>> meine Schnebel-Kritik begonnen hatte. Mein Junge war mit im Konzert, mein Instinkt war gut: Neue Musik, die er erfassen kann, weil sie sinnlich bleibt, „menschlich” würde Schnebel sagen. Wir kamen auch noch eine Einladung zum Empfang nachher, aber es war schon spät, zu spät für meinen Jungen, der ja heutze morgen Schule hat; also fuhren wir nach dem Konzert sofort heim; ohnedies waren mir zu viele „wichtige” Leute da, ich passe nicht in den Smalltalk, das habe ich gelernt, danach richte ich mich. >>>> Sartorius kam fast direkt neben mich zu sitzen, sah meine Mikros in den Ohren, mißverstand sie als in-ear-Kopfhörer, fragte: „Hörst du noch Schostakowitsch nebenbei?”, wobei ich mich da schon wunderte, wieso er auf d e n kam. Ich winkte nur ab, wollte nicht erklären müssen; immerhin ist meine Mitschneiderei nicht völlig legal, auch wenn ich sie mit meinen Kritiken gut begründen kann; außerdem hatte ich keine Lust, über Die Dschungel zu erzählen – eine Notwendigkeit, wenn man gefragt wird, für wen ich denn schriebe. Da hab ich dann immer ein Rechtfertigungsproblem, das in der Sache selbst liegt: Wieso dient ein Literarisches Weblog der Vermittlung von Musik usw. Es müßte sich eine Diskussion über Zusammenhänge anschließen, über Ästhetiken, über das Verhältnis von Netz & Print & Privatheit & Öffentlichkeit…. –
– ah, da kommt’s grad recht, daß jemand an der Tür klingelt, Malteser Hilfsdienst, „oh, Sie wollen Geld von mir… tut mir leid, aber ich habe selber keines…” – Er zeigt auf das Stromboli-/>>>> AEOLIA-Plakat, das direkt neben meiner fiktionären Tür hängt, und fängt ein Gespräch über eine alte Dame an, eine Freundin von ihm, die „ganz oben” über dem Hafen wohne… ob ich die kennte? Ich frage: Eine Österreicherin? Er: Das könne sein. Ob ich vielleicht eine Mail schreiben könne und grüßen? –

– & die Dichtung und die Musik und daß ich namentlich meine Musikkritiken als Literatur verstünde… für allesdas ist eh keine Zeit, wäre es auch nachher nicht, und überdies ist er der Chef das ganzen Festspielunternehmens und hätte wahrscheinlich schon deshalb kein Ohr für meine intensiv erboxte Randständigkeit… Also, es blieb bei meinem lässigen Abwinken, das er, hoff ich, nicht als Arroganz mißverstand. Ich tu mich ja immer schwer mit der Macht.

Heute früh dann gleich an die Kritik, dann mal wieder zum Hausarzt, Nachkontrolle. Auch das wieder informativ: Die Praxis geschlossen bis Mitte April. Man nahm mich aber herein. „Weshalb geschlossen?” „Wollen Sie die offizielle oder die ehrlich Antwort?” „Die ehrliche.” „Ich habe 500 Patienten zuviel, die mir die Kasse nicht mehr bezahlt, jedenfalls nicht so, daß es allein die Kosten decken würde, die mir entstehen. Ich arbeite sowieso so viel, das alles aber tu ich umsonst. Ich kann nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr. Jetzt nehme ich nur noch Privatpatienten anderthalb Monate lang, weil ich darauf angewiesen bin. Andernfalls müßte ich zumachen.” Er nennt Zahlen. „Jetzt verstehe ich, weshalb so viele Ärzte n u r noch Privatpatienten nehmen.” „Aber das sind nicht die besten, glauben Sie mir. Es g i b t gute darunter, vor allem im Westen, aber hier eher nicht. Mir gefällt das alles nicht, überhaupt nicht, Herr Herbst. Wieso müssen Leute monatlich mehr als 20.000 Euro verdienen? Wem dient das? Wozu nützt es, wenn einer 100.000 monatlich hat, aber der größte Teil der Bevölkerung abrutscht? Es ist alles wahnsinnig. Ich kann aber nicht als Samariter leben, verstehen Sie das?” Es ist wichtig, hätte ich Sartorius sagen können, vielleicht müssen, daß so etwas ins Denken drüber, was Kunst sei, hineingehört, daß man die Sphären nicht wie Welten trennen kann, die miteinander nichts zu tun haben. Einmal beiseitegelassen, daß ich als Kassenpatient, der nicht einmal jedesmal pünktlich seinen Monatsbeitrag zahlen kann, ein ziemliches Glück habe, überhaupt noch beim Arzt drangenommen zu werden. Letztlich, Leser, verdanke ich’s der AEOLIA, die ich ihm tauschte gegen eine kleine OP. Ich sag nicht, wer es ist, weil sonst wieder die kassenärztliche Vereinigung zulangt, die Naturalzahlungen untersagt. Auch das zu bedenken, hat ein Teil der Ästhetik zu sein.

(Was hat mir, daß ich die >>>> AEOLIA schrieb, bisher „gebracht”? Keine Lesungen, nicht eine einzige Kritik und keinerlei „Ehrung”, aber doch ein Jahr lang mietfreies Wohnen und die Vergünstigung, bei einem Arzt quasi als Privatpatient behandelt zu werden: unterm Strich ist das gar nicht schlecht.) – Αναδυομένη kommt gleich zum Frühstück herüber, danach muß ich Essen für meinen Buben bereiten; dann Mittagsschlaf, dann unbedingt den Widerspruch fürs Finanzamt formulieren und dort hinradeln. Fristablauf. Aufpassen. Auch sonstige Geldwege sind dran. Ich bin ganz froh drüber, heute mal k e i n Konzert zu haben.

17.31 Uhr:
Lustig. Mein Bub ist mit seiner Freundin hier, beide machen Hausaufgaben, sie Spanisch, er Latein, und ich darf ihnen dauernd was übersetzen (für Spanisch netze ich >>>> PROMT), wobei das Spanische dann sehr schnell von der Hand geht, wenn man noch etwas Latein im Blut hat.
Die Wege sind getan für heute, eigentlich tät ich gern mal wieder wat Jedichtetes. In einer Stunde geht’s Ans Terrarium, dann mit der Familie in die Pizzeria; um zehn treff ich, und bin freundlich gespannt, >>>> Aléa Torik.
So, die Kinder sind fort, und die Löwin schaute prompt durchs Skype. Eine feine Zweite Leipziger Erklärung findet sich, übrigens, >>>> beim Umblätterer.

5 thoughts on “Arbeitsjournal. Dienstag, der 23. März 2010. Mit einer Konzertpause, nicht ohne Joachim Sartorius.

  1. oh ja, das gesundheitssystem ist eine farce. es kann mir niemand erzählen, das geld wäre nicht da. wo ist es denn hin seit den siebzigern? wer hat es verbrannt? warum kriegt dieser staat das soziale nicht mehr hin? zum schluss muss selbst da noch jeder sehen, dass er sich selbst versorgt und seine kinder medizin studieren schickt, am besten lernt man auch noch zahntechnik bei der vhs, damit man sich die dinger selber kneten kann, das material kost ja nicht die welt. revolution ist lange überfällig. man muss sich allein überlegen, was kassenpatienten und arbeitgeber für abgaben zahlen, und dann so eine mindestversorgung in so einem staat? soll das ein witz sein? wo bleibt der beitrag der pharmakonzerne? was fließt von allem nicht verschreibungspflichtigen, aber über apotheken verkauften, zurück ins dringend notwendige?

    1. es liegt an der verteilung der gelder. mein arzt sagte mir vor kurzem, daß er 17,63 euro pro quartal pro patient zur verfügung hätte, womit er dann jonglieren müsse, weil der eine patient ja eben nur ein rezept, in einem solchen falle rechnet er inzwischen noch nicht einmal eine beratung ab, der andere aber notwendig größere untersuchungen bräuchte. irgendwann im quartal aber gäbe es diesen zeitpunkt, von dem an er umsonst arbeiten würde, müsse… wie auch immer, weil er die notwendige versorgung seiner patienten aufrecht erhalten will. meine schwester erlebte ähnliches. sie braucht seit jahren ein medikament. es ist ein hormon, welches zystenbildung im körper unterdrückt, weil der körper meiner schwester dazu neigt. drei mal lag sie, ganz knapp der wupper entsprungen, im krankenhaus, jedes mal not-op… weil die zysten immer innerhalb von einer woche auf kindskopfgröße wachsen, dann platzen. ihr alter arzt, der das wußte, verschrieb ihr das medikament immer. nun praktiziert er nicht mehr, die neue ärztin sieht zum einen keine medizinische indikation..”zysten bekommt jeder, dann müssen sie sich eben operieren lassen”, zum anderen sagte sie, daß sie das medikament nicht mehr aufschreiben könne, weil sie sowieso für den rest des quartals umsonst arbeiten müsse… weil sie schon im minus wäre, ihr alles weitere abgezogen würde. wenn man weiß, daß größere untersuchungen notwendig werden, geht man… wenn die zeit es zuläßt, am besten immer zu beginn eines quartals zum arzt, läßt sich sämliche notwendigen medikamente aufschreiben, und auch die untersuchungen machen, oder beim zahnarzt die kronen anfertigen. klingt bescheuert, ist aber so…. eine rechnung, die ich auch nicht auf die reihe kriege…. einmal lese ich was von milliarden an überschuß der krankenkassen, vier wochen später ist’s dann plötzlich ein minus von milliarden… wie geht das? im grunde müsste man das system umkehren…. ich weiß, da blüht mein idealismus… ein teil der gelder, die die kassen einnehmen, sollte dafür verwendet werden, die menschen wieder zu lehren, den eigenen körper gesund zu erhalten, was streckenweise mit ganz einfachen mitteln zu bewältigen und zu bezahlen ist. aber es ist nun einmal die tatsache, daß am kranken menschen das geld verdient wird….. die pharmakonzerne verhindern die veröffentlichung von studien, die ein ganz einfaches kostengünstiges mittel für die behandlung einer krankheit zur verfügung stellen könnten, warum tun sie das?… weil sie ihre eigenen medikamente nicht mehr verkaufen könnten. dahinter stehen dann aber nicht nur die pharmakonzerne, sondern ein ganzes system…. im grunde ist das krank.

    2. ich muss schon auch warten mit termin, als größtenteils beihilfe teils privat versicherte, meist krieg ich den termin aber sofort, das ist wahr. und ich seh natürlich, weil ich in vorleistung trete, was was kostet und welchen satz der arzt anlegt. die transparenz dabei ist nicht verkehrt, aber in hamburger zeiten, wenn ich sehr wenig verdient hatte, hab ich mich oft nicht zum arzt getraut, weil man immer auf was sitzen bleibt, trotz absprache mit dem arzt, dass die rechnung beihilfefähig sein müsse, blieb ich fast immer, und das scheint mir sehr genau kalkuliert, auf 10 prozent der kosten hängen. und die privaten beiträge haben eine unglaubliche preisspirale nach oben genommen, nach 5 jahren 120 euro mehr pro monat, das können wir uns jetzt noch leisten, aber, wie lange noch, und was, wenn das so weiter geht? und, ich bin nur schockiert, wenn ich wie im falle meiner mutter rumtelefoniere, und sie für eine orthopädische akutversorgung am ort keinen termin sofort bekommt, sondern auf das notfalltelefon dienstags und donnerstags verwiesen wird, bei dem die termine vergeben werden. ein widerspruch in sich, ein notfall ist ein notfall, den man wohl schlecht vertagen kann. aber inzwischen ist ja alles kein notfall, was nicht mit blaulicht abtransportiert werden muss, und ich kann mich noch gut erinnern, das war nicht immer so. ich bekam noch sanostol und höhensonne als kind verschrieben, wenn der winter lang und ich kränklich war. meine onkel und tanten waren andauernd irgendwo in kur. kann mir doch keiner erzählen, dann plötzlich, obwohl die patienten immer weiter brav ihre beiträge bezahlt haben und die arbeitgeber auch, war plötzlich das geld weg, weil die krankenkassen 5 jährige haben rechnen lassen, oder was? häh? wo isses denn geblieben? so lange an der börse nur geld und keine politik gemacht wird, weiß man doch, wo es bleibt. die pharmakonzerne gehören nicht an der börse notiert und nicht in hedgefonds. ich las einen schockierenden artikel des erfinders des mittels, das aids in schach hält. und ich weiß auch um den weiterverkauf abgelaufener patente, und bei all dem muss man sich doch fragen, wenn ein patent nicht verlängert wird vom eigenen konzern, der jetzt was besseres anbieten kann, offensichtlich, müsste das schlechtere mittel dann nicht vom markt genommen werden? statt es weiter zu verkaufen? oder kann er nur was lukrativeres anbieten? was ist mit all den zusatzmittelchen und ernährungsersatzpräparaten, jedem schwangerschaftstest? womit apotheken unglaubliche umsätze fahren. jeder, der es zahlen kann, geht ja eh so in die apotheke und kauft ein, bevor er sich wieder stunden beim arzt aufhalten muss, dann eh noch die zuzahlung leisten, da behandelt doch schon eh jeder nach seinem eigenen geheimnis des glaubens und geldbeutel mit vitadings und metadings und lutschpastillen und hustenlösern, und teebaumöl und melissengeist, was weiß ich. irgendwann klebt man sich auch selbst die rausgefallenen kronen wieder rein mit sekundenkleber. diese weltweite gier weniger, die dazu keinem ein schönes leben beschert, ab einem gewissen einkommen steigt das glücksempfinden einfach nicht weiter, aber ab einem gewissen nichteinkommen sinkt die lebenserwartung und steigen die depressionen. aber es scheint schwierig, etwas einmal sinnlos beschleunigtes wieder zu bremsen. eher fährt es alle vor die wand.

    3. ich habe nichts gegen die konventionelle medizin, ganz im gegenteil, sie hilft, wir brauchen sie. aber sie ist eine objektbezogene körpermedizin, in der es aufgrund der spezialisierung der einzelnen bereiche nicht mehr möglich ist, den körper eines menschen, und somit den menschen, als ein ganzes zu betrachten, und schon garnicht die feinstoffliche, also die energetische ebene. der urologe kümmert sich um die nieren und die blase, der orthopäde um die knochen und gelenke, der herzspezialist um das herz, die gynäkologin um den uterus, und was sonst noch damit verbunden ist, der internist um andere innere organe, der chiropraktiker richtet die wirbelsäule, der hautarzt bemüht sich um die haut, der hals- nasen- ohrenarzt um selbiges, der psychologe um den freudschen keller, oder wie auch immer man das nennt, und der allgemeinmediziner darf für alle eine überweisung ausstellen, weil er im grunde nichts mehr behandeln darf, irgendwann auch nicht mehr will, weil es sein “budget” überschreitet. eine freundin von mir hatte vor drei wochen eine blasenentzündung, ging zu ihrem hausarzt. was tat dieser?, gab ihr eine überweisung zu einem urologen. was machte der? spiegelte die blase, stellte tatsächlich die entzündung fest, nahm dann noch blut ab. von ihren nieren machte er eine röntgenaufnahme, wofür ein jodhaltiges kontrastmittel notwendig war, um eine in die nieren aufsteigende entzündung auszuschließen, danach bekam sie wortlos ihr rezept für die tabletten. ganze dreieinhalb stunden saß sie vorher im wartezimmer. mein alter, ganz alter hausarzt hätte mir einen becher hingehalten: “pinkel da mal rein”, hätte mir dann die tabletten aufgeschrieben, mich aber gefragt: “na? haste dich geärgert?, bist im wahrsten sinne des wortes sauer geworden, hast es nicht klären können, sondern runtergeschluckt? das nächste mal schluckst du’s nicht runter, sondern klärst es gleich, dann brauchste auch keine tabletten.”

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