Maerzmusik Berlin 2010 (3). Dieter Schnebel zu Ehren, um Ingeborg Bachmann zu ehren: Mild & leise/ultima speranza: Vor Afrika Richard Wagner.

Für >>>> Dieter Schnebel: Matthias Osterwold, >>>> <% file name="Begruessung-von-Schnebel" %>.]

Er ist einer der großen alten Männer der Neuen Musik, Theologe, wie es Bernd Alois Zimmermann war, und von derselben, kompositorisch, Freizügigkeit im Umgang mit den musikästhetischen Doktrinen, Freigeist muß man sagen, selbst als Theologe, schreibt das Programmbuch, Atheist: ja, geht denn das? Und wenn es geht: was bedeutet es? Ungebunden gebunden zu sein? Schnebel hat eine Art, das Geräusch in die Musik hineinzunehmen, ein liebevolles Verständnis für den, der im Tristan einschläft und leis ins Mild&Leise hineinschnarcht, und daß man husten muß, wo doch Achtung & Hochachtung hätten zu walten, Verehrung… die Seufzer zumal, fast schon ein Weinen, womit gleich der Anfang dieser späten Komposition, die die ältere von 2003 nun fortsetzt, den Klang auf das Leiden des Menschen legt, das immer auch Begehren ist. Folter heißt gleich das erste nachgelassene Gedicht Ingeborg Bachmanns, das Schnebel für Mild&Leise vertont hat; es ist k e i n e Verharmlosung, das eine Leid ins andere hineinzunehmen: Leid als Erfahrung. Wohl aber ist es eine entschiedene Positionierung für die – eigene – Musikgeschichte, die bei einem solchen alten Mann g e l e b t e Musikerfahrung ist, indessen: eine im Rückblick. Man wird nicht „Neues” erwarten können mit Recht. Wir hören denn auch eine Art Bilanz, zu der die Fahrradklingel ebenso gehört wie der satte Celloton, der gestern abend auf wahrlich beeindruckende Weise immer wieder einmal den Klang des vollen spätromantischen Orchesters aufscheinen ließ, kontrastiert von einem des ausgebreiteten Schlagwerks mit Holzknarre und Glocken sowie Jazz-Sax, in dem ich, fassungslos vor solcher Nähe, Wagners Hirtenflöte aus der ersten Szene des dritten Tristan-Aufzuges wiedererkannte, und die ihrerseits zitierende, vom Komponisten durch eine geringfügige Einfügung textlich entmythete Bachmannzeile Wagners (Tot denn [ist] alles) klingt wie aus einem verrauchten Jazzclub herauf. Wobei allein schon frappiert, welche Bedeutung Wagners Oper für die späte Bachmann gehabt zu haben scheint, als wäre sich die Dichterin darüber todesklar gewesen, welche Bedeutung sie für die Musik, nämlich die Seele, gehabt. Wie sie, die Bachmann, mit Wagners Textdichtung umgeht (Tot denn [ist] alles. Alles tot,/Und in meinem silbernen Brustkorb/schimmelt der vergiftete Apfelputzenschnitz,/der nicht mehr hinunterging), genau so tut es Schnebel in dieser späten Komposition: drei Themenmomente sind es, die er im ersten, später entstandenen Teil seines Musikstücks immer wieder durchspielt und denen er eine melodische Rhythmikhaltung nicht entgegensetzt, nein, sondern: um die er sie ergänzt: einen Klang, der von Brecht/Weill herüberweht und die Todessehnsucht mit einer Weltlichkeit versöhnt, die tanzhaft aufmupft und jedenfalls nicht ans Sterben denkt. Dafür steht auch, daß der früher entstandene zweite Teil des Stückes, er ist kürzer, entschieden mehr drängt, die Besetzung ist auf Klavier, bzw. Keyboard, Saxophon und Schlagwerk ausgedünnt, bedient deshalb keinen spätromantischen Streicherklang; entsprechend geringer ist die in den Ton gefaßte Sterbesüße, die im ersten Teil der Komposition die Musik bisweilen in einem Delta auseinanderfließen läßt, das vielleicht ein bißchen zu sehr von Wagners Akkordik bestimmt ist: als flösse alles da hinein, als wäre s ie das Meer, in das die Kompositionen-an-sich münden. Schnebels Mild&leise/ultima speranza ist vor allem ein Stück über „die” Musik selbst. Jüngere, mit allem Recht, können entgegnen, die habe gar kein Ende, jedenfalls nicht, solange s i e noch leben; und die nächste werden das ebenfalls sagen und so fort. Indes Schnebel mit dem Blick des endenden Lebens, das aber liebhat und nicht, >>>> wie Brahms, „Alles ist eitel” sagt, sagt: „Es wird eine Zeit sein, da auch ihr ankommen werdet.” Das ist nicht pessimistisch, eher im Gegenteil, und geht um so mehr ins Ohr, als das Thema der Komposition der Tod nun gerade i s t.
Es gibt in Schnebels Bachmann-Vertonungen eine Tendenz zum Ohrwurm; im Nachhören ist das ein wenig, für mein Empfinden, zu viel. Das mag überempfindlich sein, aber vermittelt vor allem im ersten Teil des Stücks etwas seltsam Familiäres, eines, das Thomas Mann gemeint haben mag, als er (für die Walküre) von der „Kuhstallwärme der Musik” schrieb, was etwa >>>> dem Kurtág des Vortags völlig abging, und Scelsi ja sowieso, ohne daß diese beiden das Menschliche für die Musik geopfert hätten. Wogegen sich ja Schnebel immer aufrichtete. Doch auch Berios berühmte Sinfonia und Henzes Jahrhundert-Tristan opferten es nicht; dennoch stehen ihre Stücke ihren Komponisten selbst fern, unterdessen, stehen längst für sich allein und brauchen ihren „Schöpfer” nicht mehr. Ob eine solche Behauptungskraft auch Mild&leise/ultima speranza eignet oder ob die Komposition nicht doch eher an Dieter Schnebels Person gebunden bleiben wird, dies zu beurteilen, ist sicher nicht mein Recht – wohl aber, eine leise Skepsis diesbezüglich anzumerken, einfach weil Schnebels spätes Musikstück gerade in seinem ersten Teil so sehr von Wagner bestimmt ist, daß ich mich auch und gerade im Nachhören des Eindrucks nicht erwehren kann, Wagner sauge sie auf: sie gehe, fühle ich, in den Stoffwechsel dieses anderen Kosmos’ so sehr hinein, daß schließlich nur noch er bleibt, ja sich davon, wie von so vielem anderen, weiterernährt. Bachmann aber schreibt: „sei hart”:

Ich rufe Dich von der Straße,
komm, hab schwarzes Haar, sei jung,
sei hart, tu weh, hier wo alle blond sind,
terra nova, Africa, ultima speranza.

[Susanne Otto, Stimme.
Trio Accanto
Yukiko Sugawara, Klavier
Marcus Weiss, Sexophon
Christian Dierstein, Schlagzeug
———————–
Kirsten Harms, Violine
Helmut Menzler, Violoncello]

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