Es braucht offenbar den Event, >>>> das Ereignis, um die Menschen in Konzerte Neuer Musik zu locken; in Konzert- und Opernhäusern werden solche Veranstaltungen ja eher gemieden. Die Maerzmusik aber p l a t z t von dem ihm entgegengebrachten Interesse fast auseinander: Schlangen vor den Kassen, „Karte gesucht”-Schildchen werden hochgehalten, und der Applaus, ganz einerlei, ob ein Stück nun gut gewesen oder nicht, ist riesig. Nicht alles indes, was Neue Musik ist, i s t gut, wahrscheinlich sogar ist’s das wenigste davon, und zwar auch und gerade dann nicht, wenn es sich als „Experiment” geriert; aber es gibt Meisterstücke darunter von solch unfragbarer Makellosigkeit, daß sich Diskussionen schlichtweg verbieten. >>>> György Kurtàgs Sechs musikalische Momente für Streichquartett von 2005 gehören vom allerersten Ton an zu denen. Sein Stück war mit Sicherheit die beste Musik, die gestern zu Gehör gebracht wurde, war von einer solchen Schönheit, Klarheit, ja auch Leichtigkeit der Hand, sowohl in der wie rißfreien Faktur, doch auch, durch das >>>> Quartetto Prometeo, wegen des innigsten und eben makellosen Vortrags. Selbst Scelsis Streichquartett Nr. 4, das in den Ton hineingeht, ihn aushorcht, ja ausfüllt, fiel dagegen ab; kann aber sein, daß es wenig sinnvoll ist, Scelsi als sozusagen Vor-Group zu bringen, zumal wenn ein Stück wie das >>>> Barbara Monk Feldmans folgt: tastend, gleichsam unentschieden, schließlich sich repetierend in Martin Bubers, so steht das im Programmbuch, Beobachtung, in der (!) Seele sei die (!) Natur zeitlos eingefangen… da soll offenbar die Komposition das Netz sein, worin sie sich fängt und „wo man trotz der Unwirtlichkeit der Umwelt oft auf eine zarte Blume trifft”. Kitschig wie diese Formulierung ist schon das Eingangsthema, das auszuhorchen versucht wird, schreckliches Wort eigentlich: „aushorchen”, ein wenig modulierend verwandelt, es gibt durchaus ein Drängen anfangs, doch immer verschmiert sowas anglikanisch Naturseliges den genauen Blick. Imgrunde mochte ich d a schon nicht mehr weiterhören; schon, wenn ich während eines Vortrags die Programmtexte lese, zeigt das, es stimmt etwas mit der Musik nicht: Vegetariermusik, die umkippt, wenn sie mal Blut sieht. Das ist auf Dauer schlichtweg langweilig, sozusagen Neue Musik auf politisch korrekt, Schönklangsseligkeit der Neuen Musik. Doch aber, ja, wir sollten nicht klagen, weil uns Kurtàg das entgalt, und >>>> Salvatore Sciarrinos einsätziges, locker gegliedertes achtes Streichquartett lohnte zu hören allemal auch. Sciarrino spielt mit der gesellschaftlich-historischen Funktion der Quartett-Besetzung, die eine intime gewesen ist, für den großen und auch, gemessen am Wohnzimmer bzw. Salon, kleinen großen Saal anfangs gar nicht gedacht. Bisweilen klingen an-, umkomponierte Momente von U-Musik auf, vor allem Naturtöne (Vögel etwa), und werden, immer auch mit kompositorischem Witz, im Klangfluß verwandelt. Dabei gab es ein paar unfeiwillig-schöne, aber enorm passende Momente, Sciarrino-Momente möchte ich sie nennen: da Sciarrino sehr nach außen hört, anders als Barabara Feldmans Musik umkreist die seine nicht immer nur den Bauchnabel, sondern kommt aus der Lebensnähe… da er also nach außen hört, dabei meist filigran auf die Binnenstrukturen von Musik konzentriert, leise und doch, freundlich, insistierend, und weil die Sophienkirche keinen Klang„schutz” von der Welt trennt, kamen Vogelstimmen von draußen herein, die die vogelartigen Stimmen der Streicher gleichsam mitsangen, und einmal, das war s e h r schön, spielte ganz ferne jemand Klavier, was der Veranstaltung das an diesem Ort besonders ausgestellt Sakrale nahm; Neue Musik leidet eh oft genug unter etwas ungut Eingeweihtem, sie eignet sich leider für Jünger.
Bis auf den letzten Platz war die Sophienkirche besetzt. Wie abends für Ronchetti dann auch die Sophiensäle. Aber schon vormittags im Roten Salon zeigte sich gutes Interesse; das locker, ja elegant von Lydia Rilling moderierte Gespräch rückte freilich nicht so sehr Ronchettis kompositorische Sicht in die Mitte als eher >>>> Nicolà Sanis kämpferisch-optimistischen Ärger über die Verhältnisse im italienischen Musikbetrieb, von denen er ein ziemlich plastisches Bild vermittelte. Nebenbei klang aus seinem Credo für die Neue Oper durchaus Wagners Kunstwerk der Zukunft heraus; mir sehr sympathisch, ich glaube dasselbe. So ließen denn Ronchettis Äußerungen zu ihrem Musiktheater („In Italien sagen wir weiterhin Oper”: Sani) für >>>> Der Sonne entgegen einiges erwarten, ich war voll Vorfreude, die aber das Amateurtheater enttäuschte, das man da gab. Das war um so trauriger, als die Sänger a l s Sänger hinreißend waren, der musikalische Part an dem szenisch restlos zerdehnten Stück ist klasse, hat Kraft, beherrscht die Mittel, und zwar nicht nur auf Seiten der Ausführenden (das grandiose Blechbläser-Ensemble, etwa, des Kammerensembles Neue Musik Berlin), sondern eben dort, wo die Komposition Komposition i s t und sich das Musiktheater nicht in Regietheater-Mätzchen verliert. Was es aber ständig tut. Als wollte es zum Beispiel das experimentelle Tanztheater der achtziger Jahre mit den Mitteln der Oberprima wiederbeleben, zumindest ausprobieren, ob das geht. Geht nicht. Punkt. Da es in dem Stück nicht eigentlich Personen gibt (Ronchetti sprach vormittags von „Gruppen”) ist freilich Personenführung auch nicht möglich; es wäre hier eine dramaturgische Entsprechung zu suchen. Was schon deshalb nicht leicht ist, weil bereits Steffi Hensels Libretto sich spätestens mit der Dritten Szene in einer gnandenlosen Geschwätzigkeit spreizt, die Banalitäten und die Sprache von Alltagstechnikzeugs und PR zum puren Geplapper aneinanderreiht, von dem wir eh genug hören. Jaja, will man rufen, das wissen wir alles, nun kommt doch mal zum Punkt! R a f f t, Leute, wie sind doch nicht blöd! Aber „das will sowas sein”, klagte >>>> des Dichters Pauli Böhmers Großmutter immer, die Klage ist uns allbekannt, und wir wissen auch um das miese Schicksal vieler Migranten; aber dann nehmt das auch ernst und nicht für eine Vorlage billigster Travestien. Diese Inszenierung behauptete nur; es ist der inszenatorische Beischlaf des eh schon abgestandenen Brechttheaters mit sich für Postmoderne glaubender Allbeliebigkeit; auf diese Sauce gießen sich noch die laienhaftesten Szenenwechsel: das Libretto kennt keinerlei sinnvolle Dramaturgie. Aber auch die Komponistin läßt den Leerlauf Leerlauf sein, anstelle – Mensch, die haben das Stück doch gemeinsam erarbeitet – für Unterbrechungen Verwandlungsmusiken zu schreiben, die uns über die Leere der quasi-Umbau- und Umziehpausen hinweghelfen könnten und die Einfallsplattheiten des Scheinregisseurs – also w e n n man denn schon unbedingt die Opera seria wiederbelebt. Dann wieder tapern Leute in für Kinder zu groß geratenen Raumanzügen für Kinder über die Bühne; weil man aber politisch sein will, stechen sich die zu groß geratenen Kinder gegenseitig ihre Styropor-Helme mit Nationalfähnchen ab (ich interpretiere mal diesen Klamauk). Da weiß man echt nicht mehr, ob man verarscht wird oder ob das mal wieder den billigsten aller modernkünstlerischen Welterklärungsmodi bemüht: das Groteske. Dazu kommt eine öde Videoinstallation, die allein ganz zu Anfang dramaturgische Funktion hat, wenn man ein abgesperrtes Einwandererlager dahinter vermuten muß und soll; hernach läuft das Video immer nur langsam über Abfall-Schotter. Also da war, vor bald fünfzig Jahren!, Wolf Vostell entschiedener zeitnah. K e n n e n die Leute das alles nicht mehr? Und überhaupt: Welch ein gutes, wichtiges Thema, Sani hatte ja recht vormittags, die Rückkehr des politischen Theaters, die Notwendigkeit dieser Rückkehr in das Musiktheater zu begrüßen. Aber doch nicht mit diesen abgestandenen, ulkig dilettierenden Mitteln! Wiederum, ich wiederhole es, ist dort, wo Musik ist, auch Qualität… ja, Ronchetti ist eine gute Komponistin, man hört es dem Choralsatz an und wie die große liturgische Tradition der abendländischen Musik plötzlich hineingenommen ist und gut-pathetisch laut wird, eine intelligente Formklammer zum Janequin des Anfangs (dessen – Janequins – Chant des oieuseaux Ronchetti wie in den frühen Achtzigern >>>> Simon Parkin für seine grandiose Nachkomposition des Stückes behandelt; kennt offenbar a u c h keiner mehr). Überhaupt sind die Chöre kompositorisch stark, nicht nur in den Zitatstellen, sondern in den wirklich überzeugend komponierten Übergängen zu gesprochenem Wort und Geräusch. Aber das Ding-insgesamt zerfällt, zerfasert, wird behauptet aufgebläht, fehlgeburtenschwanger stapft das herum, man bemüht dann Pirandello und quetscht sich singend durch die Reihen des Publikums, peinlich inkonsequent, imgrunde fehlten nur noch gerollte Zombie-Augen von Kinderbimbos. Nee Leute, wir waren schon mal weiter. So bleibt als „Erleuchtung” dieses ganzen Tages fast nur der Kurtág übrig, knapp zwölf Minuten guter Musik. Na, auch der Scelsi noch. Und das ferne Klavierspiel im Sciarrino.>>>> Ronchetti, Der Sonne entgegen.
Zweite Vorstellung heute, Sophiensäle, 20.30 Uhr.
>>>> Karten.
Die Kritik spricht mir aus dem Herzen! Vor allem:
“Das war um so trauriger, als die Sänger a l s Sänger hinreißend waren, der musikalische Part an dem szenisch restlos zerdehnten Stück ist klasse, hat Kraft, beherrscht die Mittel, und zwar nicht nur auf Seiten der Ausführenden (das grandiose Blechbläser-Ensemble, etwa, des Kammerensembles Neue Musik Berlin), sondern eben dort, wo die Komposition Komposition i s t und sich das Musiktheater nicht in Regietheater-Mätzchen verliert. Was es aber ständig tut.”
Ich kann auch allmählich auf diese sinnentleerten Video-Installationen in Musiktheaterproduktionen verzichten!
@Hoogklimmer (2). Ich habe momentan ein bißchen Sorge, mir könne sowas wie in dieser Inszenierung nun ebenfalls geschehen, weil es meiner Theaterstücke vor der Uraufführung steht, die am 8. Mai stattfinden wird. Man kann offenbar auch nicht sagen, die Produktion eines großen Hauses sei besser als die eines Off-Theaters; “wir haben da schon alles Mögliche erlebt”, sagte mir, vorsichtig, die Lektorin des >>>> Verlags der Autoren, der meine Stücke vertritt.