Irrer Andrang vor der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, so ziemlich alles, was im Musikbetrieb (der sich sonderlich vom Literatrbetrieb nicht unterscheidet) einen Namen hat und nahbei lebt, erscheint. Sogar Alfred Brendel sah ich, Sciarrino war selbst da, ebenso Rebecca Horn. Es ist nicht sehr mutig gewesen, >>>> die fragmentarische Salzburger Inszenierung Klaus Michael Grübers, der über der Arbeit verstarb, nach Berlin zur Maerz-Eröffnung zu holen; es war eine sichere Karte, so begeistert, wie berichtet worden war. Es war eine gezinkte Karte, aber. Denn das Problem ist Rebecca Horn… nein, nicht ihr Bühnenbild, das im wesentlichen aus einer riesigen Gemäldeprojektion besteht, die fortwährend im Fluß ist, über die Rosenblätter geworfen werden, welche bluten, oder roter Sand fällt auf das Bild… dies ist großartig sowohl in der Symbolkraft wie dem Leben, das transportiert wird, auch wenn man die übrigen Requisiten als pure Klischees belächeln kann: ein Doppelbett mit Drittelhimmel, der ein rotes, klar: blutiges Samttuch auf das ganze Bett legt; dieses links; rechts dafür zwei Stühle und vorne ein stilisiertes, erhöhtes Rosenbeet. SONDERN: Frau Horn ist, so ehrenvoll auch immer ihre Bemühung, keine Regisseurin, die den Akteuren Bildern, geschweige irgend eine andere als bloß behauptete Gegenwart verleiht. Kurz: Es wäre besser gewesen, hätte man das Stück >>>> in Zagroseks Sinn halbszenisch auf die Bühne gebracht, die Sänger einfach als Sänger und nicht als Schauspieler auch, die etwas anders als rein sanglich darzustellen haben. Denn hier liegt ein Problem, das bereits Sciarrinos unter Verwendung von Cicognini und, noch früher als der, Le Jeune geschriebenes Libretto vorgibt: Handlung, wenn überhaupt, findet in knappster (Liebes)Rede und Gegenrede statt, der szenische Raum scheint festgefroren zu sein, so wie die von ihm komponierten eben-n i c h t-Zitate, sondern Anmutungen gesualdoscher Renaissancemusiken, die ihm als Prolog sowie für Zwischenmusiken dienen, zur Gliederung nämlich des Stücks und zugleich zur Öffnung des Klangraums, der immer ein alter ist, die Aura eines Alten, aber genau dadurch ewig Bleibenden… wie eben diese nicht-Zitate in feinsten Phrasierungen, die sich fast unmerklich verändern, zur Repetition hinneigen, die sich gegen Szene extrem sperrt. Weshalb Szene eben gerade erfordert wäre, nicht auf einem Konzertpodium, sondern eben auf der Bühne. Zumal klingt die bevorzugte Dynamik piano, man meint, es werde alleine im Innern gesprochen. Das verlangt nach einem Zugriff, den Frau Horn nicht hat; ihr (berechtigter) Ruhm ersetzt den nicht, auch wenn das Publikum das anders sah und jubelte – so sehr, daß man sich fragte: was bejubeln die Leute: das, was sie sahen, oder das, wovon vorausgesetzt wird, daß es sowieso gut war. Nein, war es nicht. Es standen Chargen auf der Bühne, die einem Stummfilm-Panoptikum zugehörten, welches von Nosferatu höchstselbst eingerichtet worden ist. Blöddas. Denn die Musik, für sich, ist magisch, und zwar auch dann, wenn man den kompositorischen Wegen vom Alten Klang in die Neue Musik analytisch zu folgen vermag. Ich hatte schon, als ich so viele Leute sah, die sich sonst für Neue Musik n i c h t so sehr interessieren, den Eindruck eines Events. Ach, mein geliebter Man Ray: „Die Banane ist groß, doch ihre Schale ist größer”. Die Schale verdeckt die Substanz… bzw. die Substanzen, um die es dem Stück tatsächlich geht: leidenschaftsloser als hier konnte Leidenschaft nicht auf die Bühne gebracht werden, indes wiederum da, wo Frau Horn n i c h t inszeniert, sondern das getan hat, was wirklich und bewundernswert das Ihre ist, sich dieses Stück Musiktheater mit Leben f ü l l t. Man hätte d e m vertrauen sollen, nicht einer menschlich netten, aber ideenarmen Inszenierungsabsicht. Nämlich weil das Herz nicht angerührt wird und weil, über Liebe und Obsession allein analytisch zu sprechen, von Liebe und Obsession gar nichts weiß. Liebe und Obsession sind nicht ihre analytisch symboliewrte Behauptung. Mit einem einfachen Wort: sie sind nicht verkopft. Nie. So aber darf man hinterher gesllschaftlich beieinander- und im Bewußtsein stehen, dabeigewesen zu sein. Das ist alles. Ich halte das für dürftig.
Rebecca Horn Die Träumenden müssen diesen wunderbaren Inszenierungsprozess im Augenblick seines größten Scheiterns deuten. Zu diesem Erwachen sind sie verurteilt. Gefülltes Leben ist ihre Sache nicht, gefühlte Obsession schon. Zu dieser waren Sie nicht bereit. D a s halte ich für dürftig.
Welchen Zugriff Frau Horn h a t oder nicht h a t, das können Sie als Laie doch garnicht einschätzen, sie dürfen eine Meinung dazu haben, wie ihnen etwas gefällt, das dürfen Sie,
sonst aber getrost unterstellen, dass Frau Horn (weil lange schon professionell) weiß, was Sie tut, wenn Sie es tut und auch weiß, was sie unterlässt, wenn sie es unterlässt….
@Reibert. Getrost unterstellen werde ich n i e etwas, auch mir selbst nicht. Das “getrost Unterstellen” ist nämlich das Problem. Inwieweit nun ich ein Laie bin, laß ich mal dahingestellt, einfach, weil ein Stück, das nur für Experten gemacht ist, eh stirbt. Frau Horn hat – als Regisseurin – s c h l e c h t gearbeitet, halt als die Laiin, die sie als Regisseurin ist. In der bildnerischen Gestaltung hingegen ist sie auch hier sehr stark. Das habe ich so geschrieben, das meine ich so, und das werde ich auch weiterhin so vertreten.
Wiebke Hoogklimmer auf Facebook zur Inszenierung. [Hier hinkopiert von >>>> dort.]
>>>> Wiebke Hoogklimmer
dramaturgische Schwächen…. Um meinen Kommentar zur sshr, sehr, sehr eintönigen Komposition weiter zu spezifizieren, hier ein kleiner Nachtrag:
Der Komponist hat sich bei dieser sehr dramatischen Geschichte ausschließlich für die inneren Vorgänge der Protagonisten interessiert, dafür aber die Form des Dramas, der Oper gewählt. Das ist an sich schon ein Widerspruch, in dem auch die dramaturgischen Schwächen des Stückes lagen.
@Wiebke Hoogklimmer. Das Problem der “reinen” Innensprache zum inszenierten Drama ist mir bewußt, es ist auch bekannt, wenn Sie etwa an die lange Gurnemanz-Erzählung denken, die freilich die musikalische Dramatik auffängt. Mir scheint h i e r das Problem aber darin zu liegen, daß – was Grüber dachte, weiß ich nicht – die Inszenierung sich vor allem, und das ja auch zu recht, auf Horns Bildkraft verläßt; das reduziert die Figuren automatisch zu szenischen Handlangern. Weshalb ich eben meinte, es wäre klug gewesen, die Sänger a l s Sänger singen zu lassen und nicht als Darsteller. Denn insgesamt, wenn eigentlich das Bild die Inszenierung ist, i s t das die Inszenierung und alles andere störendes Beiwerk. Möglicherweise fing die Misere bereits hiermit an. Wie Sie, habe auch ich das permanente GeVideo’e auf den Bühnen satt, aber hier etwa hätte sich das empfohlen: weil die Bühne die großen Landkarten der Gesichter nicht nutzen kann, wie es etwa im Spielfilm getan wird: d a wäre das Libretto als Gefühlsausdruck direkt umsetzbar gewesen und es hätte keinerlei “Aktion” bedurft. Bühne aber, vor allem die eines großen Hauses, unterliegt anderen Gesetzen.
Zum zweiten Argument, das imgrunde vom ersten impliziert ist: Sciarrino wollte sein Stück ganz offenbar als Oper sehen; mag sein, er hatte die Steinbrüche im Kopf, die Jelinek und vor allem Heiner Müller immer wieder vorgegeben haben und woraus sich der Regisseur/die Regisseurin dann brach und bricht, wessen sie bedürfen. Das ist bei Musik nicht in gleichem Maß möglich, weil andernfalls die Komposition gebeugt würde (einen anderen Ansatz hatten offenbar >>>> Ronchetti/zur von Mühlen). Vielmehr wäre es hier die AUFGABE des Regisseurs gewesen, den Operntext, womit ich die Partitur insgesamt meine, operngerecht zu präsentieren. Ich bin der festen Überzeugung, daß das geht; es geht aber nicht, wenn man einer, sagen wir mal, “Star-Idee” genügen will, damit das Salzburger Publikum auch meint, an einem bedeutenden Ereignis teilzuhaben, vor dem sich brav jetzt auch das Berliner Publikum verbeugt hat und in einigen der hiesigen Kommentare brav weiterhin verbeugt.
Antwort zu den dramaturgischen Schwächen…. In der Tat ist es nichts Neues, daß Opernkomponisten die Handlung ruhen und ihre Darsteller reflektieren lassen – nicht nur Wagner, Mozart z.B. mit der Gräfin-Arie etc. etc….
Aber bei Sciarrino findet die Handlung gänzlich HINTER der Bühne statt. Und ich sehe die dramaturgische Problematik in seiner Komposition, die sich nicht bemühte, die einzelnen Personen musikalisch zu charakterisieren. Alle Sänger und die Sängerin sangen im gleichen Duktus, immer auf einer gleichen Tonhöhe mit diesen Schwelltönen, Verzierungen und Trillern. Der Diener hatte die gleiche Gesangssprache wie der Ehemann, der Liebhaber und die Ehefrau. Zu Beginn der Oper war ich etwas verwirrt, da ich den Ehemann zuerst für den Liebhaber hielt und erst beim Blick ins Libretto meinen Fehler bemerkte. Das macht es einem Regisseur nicht leicht, die verschiedenen Gefühlswelten von Menschen, die sich kaum unterscheidbar äußern, dazustellen.
Und ich muß Rebecca Horn etwas in Schutz nehmen, da sie sich bemühte, die unsichtbare Handlung sichtbar zu machen: z. B. die auf Lanzen stehenden Stühle, die der Ehemann irgendwann drohend hochnimmt und so die bevorstehenden Morde andeutet. Oder der intrigante Diener, der sich bei seinen Auftritten immer diese schwarze Maske vorhielt, um sein unsichtbares Ausspähen zu charakterisieren. Auch fand ich die Idee sehr gut, die Morde durch die blutroten Sandwürfe im Video anzudeuten. Oder die Rosenblätter als Liebesnachtsymbol.
Andererseits dachte ich auch hinterher, daß ein anderer Regisseur dem Stück ganz sicher noch andere Dimensionen hätte abgewinnen können, da die Geschichte wirklich spannend und auch nicht unpolitisch ist. Aber – wie gesagt – die Komposition macht es nicht leicht!
Wohltemperierter Übergriff Größer als alle Gefühle retour war der Aspekt der Freiheit, der sich durch ihr Leben und Werk als Richtschnur und Fluchtpunkt zieht. Horn will niemandem unterworfen sein außer Blut und Rosen und ihrem Kunstempfinden. Der Freiheitsgedanke scheint auch der oberste Wert, der die Qualität ihrer Inszenierung bestimmte – die Freiheit, Musik für alle Richtungen und Emotionen zu öffnen und sie Zorn, Trauer und Liebe durchleben zu lassen. Ihre Inszenierungsmacht ist so unmißverständlich wie ihr Freiheitswille. Das ist es, was Sie stört, noch dazu, daß sie eine Frau ist. Nein, keine Devote, keine, die kriechend faucht, keine, die übers Coctailglas schmollt, keine, die nervös vom schlammigen Grund auftaucht, nein, eine, die die Freiheit l e b t. Deshalb Ihr übergriffiger chromatischer Verriß. Horn muß nicht “etwas in Schutz genommen werden”, Herbst sollte vielmehr den Schutz des Zuschauer(ohren)sessels suchen und vor der Furiosität des Stückes in Deckung gehen.
Ach, arme Betty B. Weshalb sollte ich Horn in Schutz zu nehmen versuchen? Sie kann sich selber wehren, wenn sie mag. – Und mein Verriß? Ganz sicher nicht, weil Frau Horn Freiheit lebt. Sondern einfach, weil diese Regiearbeit schlecht war. Nicht mehr, nicht weniger.
Übrigens gehe ich n i e in Deckung. Anders als Sie stehe ich nicht anonym, sondern mit meinem Namen ein. Wie auch Rebecca Horn, deren bildkünstlerische Arbeit auch ich verehre. Weshalb aber jemand, die eine ausgezeichnete Pilotin ist, auch eine ausgezeichnete Chirurgin sein soll. will mir nicht als notwendig einsichtig werden. In diesem Fall ist der Patient unter ihren Händen gestorben. Wenn Sie das anders sehen sollten – nun, ich nehme niemandem die Nekrophilie. Sie tut ja keinem weh.