Heimfahrt. Und zur Lesung im Burger. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 13. Mai 2010. Sowie ein geheimnisvoller Brief mit einer Gabe.

11.16 Uhr:
[ICE Mannheim-Berlin.]
Irrsinnig voll ist dieser Zug; ich habe erst in Frankfurtmain eben einen Sitzplatz mit der Möglichkeit erobern können, den Laptop aufzubauen. Aus der Schweiz ist eine irre laute, ja kreischende Urlaubergruppe unterwegs, durchgemischten Alters, aber dennoch alles mindestens acht Phonstärken über Zimmerniveau, die Leute brüllen sich an, lustig, auch wie schon betrunken, tatsächlich stehen auf einigen Tischen bereits die Bierflachen. „He, Klaus: Partnertausch!” beschreit einer den andern, ah und der ein roter Likör macht nun ebenfalls die Runde. Dagegen die Gespräche mit Kühlmann, das skeptische Wissen E.’s, die feine Intellektualität der Mannheimer Freunde. Hier hingegen scheint es zu einem, wenn ich das richtig vernahm, Endspiel zu gehen, womit ganz sicher nicht Becketts Stück gemeint ist. Die Gänge sind so zugestopft mit Gepäck, daß ich…. ah! d a r u m geht’s!!: „…auf den Vatertag!!!” wird geprostet. Du meine Güte, Volkes Glück… (Ich denke an den tiefen schweigenden Sternhimmel über der Serengeti zurück; tags machten allein die Paviane Krach, die, wie ich bemerke – und fahre unter dem einen und/oder anderen Schrei erschreckt zusammen -, zu unseren nahsten Verwandten gehören: an Tagen wie diesen schrumpft meine Solidarität mit den Menschen unaufhaltsam ein. Dennoch bin ich jetzt dankbar für diesen Platz.)

Ich habe, merkte ich gerade, meine Frank Fischers Südharzreise, deren Rezension ich jetzt auf der Heimfahrt schreiben wollte, entweder bei Kühlmanns in Mannheim oder gestern bei Böhmers liegenlassen… ärgerlich, da muß ich telefonieren: aber sicher nicht aus diesem Waggon. Einen Liter Milch hab ich gekauft und aus Nairobi noch von den Datteln dabei. Statt also zu rezensieren, werde ich versuchen, Ihnen die Zweite Reise in die Serengeti zu erzählen. Vielleicht lese ich dann >>>> heute abend auch daraus etwas vor. Mal sehen. Kaffee Burger, heute, Torstraße 58 in Mitte Berlin, 20.30. Oder, das geht ein wenig durcheinander, um 21 Uhr.

13 Uhr:
Es scheint ein Timelag auch nach Anderswelt-Reisen zu geben. Ich blinzle unter meinem Schal vor, den ich mir zum psychisch ungestörten Dösen über Schädel und Schultern gelegt hab. Hunderte Flaschen Bier stehen um mich im Waggon herum, sie werden mit Sägemessern geöffnet und aus Hand- und Jacken-, aus den Hosentaschen gezogen. „Zum Wohl!” „Ja Prost Mensch!” „Bratwurst hemme noch…”

14.41 Uhr:
[Wolfsburg vorüber.]
Die Korrekturen zu Azreds Buch auf dem Screen: erstmals korrigiere ich in einer pdf. Wenn man sich etwas eingefuchst hat, geht das sogar ganz gut. Die ersten drei Geschichten sind durchgesehen… Aber bald komm ich an: Spandau erst, dann ein RE nach Jungfernheide, von dort mit der S zur Prenzlauer Allee. Müde Beine hab ich; zu schlafen war in dem Trubel nicht recht möglich.

16.19 Uhr:
[Arbeitwohnung.]
Zurück an meinem Schreibtisch. Die Fahrt war, der Berlintouristen heiteren Lärmens halber, ausgesprochen anstrengend; als ich in Spandau umstieg und auf den Anschlußzug wartete, war mir, als hätte ich Marihuana geraucht. So ist mir n o c h. Schnell bei meiner Familie angerufen, dann bei den >>>> Kulturmaschinen http//www.kulturmaschinen.com wegen >>>> nachher angerufen: was ich an Büchern mitbringen solle/dürfe/müsse; die Verlegerin sagt: „Woran wir überhaupt nicht gedacht haben, ist, daß heute ein Feiertag ist. Hoffentlich kommen da Leute.” Nun ja, sänge Madonna, kämen sie auch, daran könnte auch ein Brückentag nichts ändern. Es ist eine reine Frage des Interesses. Allerdings merke ich auch in Der Dschungel rückgehende Zugriffszahlen, wie oft an Wochenenden. Das ist keinem, der wegfuhr, zu verdenken.
Ich muß unbedingt eine Stunde schlafen, dann unter die Dusche, mich umziehen, die „Lesungstasche” packen, darauf hinüber zur Familie radeln, und gegen acht werde ich dann schon >>>> im Burger sein.

Aber dieses. Ich öffne meinen Briefkasten. Eine Rechnung; immer, wenn etwas mit pin kommt, ist’s eine, und zwar behördliche Rechnung. Ein Prospekt von >>>> Edel Kultur. Sowie ein kleiner Briefumschlag, adressiert von Mädchenhand, jedenfalls ist es die Schrift eines Mädchens oder einer sehr jungen Frau; oder es ist eine verstellte Schrift. In dem Umschlag eine aufklappbare Grußkarte: außen ein betautes Herbstblatt in vorwiegend Rot, innen 100 Euro. Kein Wort dazu. Aber dieses.Für so etwas revanchiere ich mich so gern, ich habe AufnahmenBücherHörstücke, die sonst niemand oder kaum jemand hat. Eingeworfen wurde der Brief in Leipzig. Ich habe nachgedacht, aber sollte das vielleicht nicht tun. Denn man mochte, frau mochte im Verborgenen bleiben. Deshalb hier: Danke.

17 thoughts on “Heimfahrt. Und zur Lesung im Burger. Arbeitsjournal. Donnerstag, der 13. Mai 2010. Sowie ein geheimnisvoller Brief mit einer Gabe.

    1. Liebe Aléa Torik, Du hast völlig recht. Ich habe gar nicht daran gedacht. Aber meine Notate im Buch sind dennoch jetzt nicht hier bei mir. Egal. Ich döse momentan eh so vor mich hin.

  1. der eidgenossen fragen schwör ‘n eid/
    lobten sie nicht/
    des messers sch’neid/
    das sie heute/
    säge schmähen/
    und trägt ihr knabe/
    nicht diese forke

  2. Burkina Faso Bitte!
    Die eine Hälfte für Datteln, Feigen und Geschmeide, die andere Hälfte für das Opernprojekt von Schlingensief, über das Sie so liebevoll schreiben.
    Und unverstellte Grüße aus Leipzig.

  3. Vatertagsfreuden gehören zum Gröbsten, was sich mit Alkohol pinseln lässt. Mir als Künstler ist bereits der Federstrich normalen Nachtlebens Herausforderung genug. Schönste Körper, die ich gerne mit meinem Wesen abfüllen möchte. Wort für Wort jenes Brecheisen schmieden, das mir Eintritt verschafft in vom Alkohol enthemmte Seelen.
    Aus Partymäusen, aus “Chicks” eines Nachts Nonnen machen zu können, allein durch mein Wort, solch Vergnügen kann mir kein wie auch immer gearteter Suff spendieren.
    Vom Liebesleben Ausgespiene, vor lauter Prügeln feinsinnig geworden, sind nicht Prüfstein genug für die Wirksamkeit eines Kunstwerkes. Herrenmenschen will ich damit zerschlagen. “Bringt ihn zu seiner Mutter. Ihr Sohn ist ihr neu geboren worden.”

    1. @chSchlesinger. Nur darf ich nicht vergessen – sollten vielleicht wir, die diese Perspektive haben, nicht vergessen -, wie privilegiert wir sind: mit Talenten behangen, die sich ausbilden durften. Das Aufbegehren, ja unsere luxuriöse Art Ekel sind eines; ein anderes ist, in diesem Fall, Demut. Denn alledie trauern, auch.

    2. Spinner Egomanischer Ejakulator & selbstverliebter Hirsch, ist leider alles, was mir dazu als passendes Adjektiv einfällt; und vergessen sie nicht, sie sind nicht ANH, sondern allenfalls ein Gnom!

    3. Demut, was für ein schwachsinniges katholisches Adjektiv (Der Papst & die Bischöfe sind demütig vor Gott, weil ihnen einen falsches Gen eingepflanzt wurde, und sie von Haus aus militätisch erzogen wurden, damit ihnen nicht genug Zeit für Bildung blieb!) Sein sie wenigstens einmal ehrlich und machen sie sich nicht zum Vollidioten!

  4. Himmelfahrtskommando. Das Leid der Vatertagsfreunde und Sozialkapitalisten wird mir rätselhaft bleiben. Als wenn ich Kleinkünstler zehn Jahre an einem Roman schreibe, tausend Seiten mühsamstes Tagewerk. Und dieser Roman nun verbrennt mir binnen Minuten. Dann habe ich ungefähr jene Vergangenheit, aus welcher das Leben von Sozialkapitalisten besteht. Gewesene Liebesbeziehungen, Freundschaften, Feiern… Sozialkapitalisten können den Tod getrost erwarten wie mancher Pleitier. Alles weg. Während ich Kleinkünstler schier zusammenbreche vor Zukunft. Allein durch Übung werde ich Tag für Tag besser, immer besser. Was ich auch beginne, alles hat das Potential, nach der achten Überarbeitung zum Weltbestseller zu werden.
    Angesichts solcher Perspektiven macht mir der Tod große Angst. Während Sozialkapitalisten morgens in der Bahn friedlich dösen, bereit, den Tod als ihren letzten großen Freund zu empfangen, hämmere ich manisch auf mein Notebook ein, den verhassten Tod durch Meisterwerke der Kunst zu überwinden.

    1. @chSchlesinger seien Sie ganz unbesorgt, abgesehen davon, dass man das eigene mittelmaß noch unterstreicht und befestigt, wenn man andere menschen abwechselnd als bahndöser oder sozialkapitalisten bezeichnet, passen sie damit aber ganz gut ins gesamtbild.

  5. Selbst halte ich mich auch für Mittelmaß. Wäre es anders, hätte ich längst versucht, mich irgendwie auf den Buchmarkt zu drängen.
    Was ich auf meinem Weblog poste, ist mehr für mich gedacht, den Zwang zu überwinden, einen Text noch in seiner Entstehung wieder und wieder zu überarbeiten. “Veröffentlicht” kann ich Absätze erstmal stehen lassen.
    Im Schach ist mir der Weg vom Anfänger zum Meisteranwärter gelungen. 23 Jahre, ehe mir ein Remis gegen einen Internationalen Meister glückte. “Stark!” radebrechte der Russe, als wir uns erhoben. Warum sollte ich es mit doppeltem Trainingseifer nicht auch als Schriftsteller zu herausragendem Können bringen?
    Leider habe ich viel zu lange Schach und Frauen studiert. Beides Liebhabereien, die kommende Generationen eher nicht dazu inspirieren, 700seitige Biographien über mich zu verfassen.
    Mit der Weltliteratur stelle ich mich einer Herausforderung, welche allein vom Tode abgepfiffen werden kann. Folglich habe ich mich fokussiert auf diesen übermächtigen Gegner, ein Regal voll Sterbebücher rauf und runter. Längst bin ich keiner von jenen Narren mehr, die leichthin in Jahrzehnten planen. Obwohl es pleitegehenden Sozialkapitalisten unbewusst egal sein mag, wann man sie zu Grabe trägt oder ob sie vielleicht nur verscharrt werden: “Live fast, love hard, die young.” Gerne lasse ich mich betrachten als einen Löwen, der als einziger unter allen Löwen weiß, dass von Ferne ein Jäger mit dem Zielfernrohr über die Körper streicht. So lebe ich, so schreibe ich.

    1. @chSchlesinger. Bescheidenheit kann, muß aber nicht, und ist es sogar in nur seltenen Fällen, Begleiterscheinung des Genies sein. Sie sprechen zugleich wie ein Nabokov, der sich zu früh distanziert hat. Denn Frauen zu studieren ist ein Unterfangen, das allein deshalb scheitert, weil sie sich nicht für ein Lehrfach eignen: Frauenkunde würde allzu schnell Frauenheilkunde werden und landete notgedrungenermaßen in der Gynäkologie; das Schachspiel wiederum mag’s lohnen. Ihm verdanken wir bedeutende Novellen.
      Der Tod, Herr Schlesinger, ist wiederum kein Gegner; er tritt zufällig herein, und der Jäger, den Sie als einziger auszumachen meinen, ist derart banal und überdies ein solcher Stümper, daß der Einzige zu unheroisch ist, um nicht in der Masse aller Klagen nichts als ein kaum noch wahrnehmbarer Ton zu sein. Der Jäger nutzt das Zielfernrohr nicht, das Sie erhoffen; vielmehr, er ballert drauflos, und daß er trifft liegt allein an den Geschossen, die er verwendet: nämlich Schrapnells. Da wir Weichziele sind, trifft der Jäger uns immer. Ich halte es für falsch, ihn überhaupt als einen Jäger anzusehen. Eher ist er dem Mob zu vergleichen, der meuchelt, was er vandalierend grad kriegt: er hat nicht mal Kriterien, die seinen Haß motivieren.

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