Arbeitsjournal. Mittwoch, der 26. Mai 2010. Mit Martin Halters Prognostik an der Autobahn entlang.

7.58 Uhr:
[Arbeitswohnung. Sorabji, Opus clavicembalisticum.]
Es ist schon dumm, wenn ich ein Buch, das ich rezensieren soll, dreiviertels gelesen irgendwo liegenlasse, sei’s in einem ICE., sei’s bei Freunden, sei’s, daß es derart begehrt ist, daß man es mir stahl… – jedenfalls sind meine hineingeschriebenen Kommentare dann ebenfalls weg, und ich kann das Buch noch einmal von vorne lesen. Das werde ich heute tun; am Montag muß die Rezension abgegeben sein.
Bis zwei Uhr nachts >>>> in der Bar gewesen, und es ist schon dumm, wenn ich dort gefragt werde, ob ich fürs Geburtstagsfest die Musiker moderieren wolle, und ich sage freundlich zu, um noch im selben Moment zu merken, was ich da tue: ich m a g diese Musik(en) doch gar nicht, nicht nur, daß sie mir fremd sind, nein, wirklich, ich mag sie nicht… wobei ich jetzt wieder denke: wolltest du in der Bar andere Musik? Eigentlich wohl nicht, nur daß es ständig so laut ist, daß ich Gesprächen immer nur viertels folgen kann und lästig oft fragen muß: „Bitte?” immerhin bleiben einem die eigenen Gedanken nahezu erhalten, wobei ich selbstverständlich nicht sagen kann, ob sie ohne diese Musik(en) vielleicht eine andere Richtung genommen. Doch das gilt für alle Musik, die zum Gedanken einherläuft.
Jedenfalls. Plötzlich wurde ich unwirsch, M. vermerkte es sofort, der Profi war fast etwas sauer: „Na hör mal! Du bist doch nur gebeten, die Musiker anzusagen, und du sollst das nicht wegen der Musik tun, sondern für diesen Geburtstag”, der ein Jubiläum ist, „aus Freundschaftlichkeit, nicht aus musikalischer Neigung, die spielt da gar keine Rolle. Da kannst du nicht zurückziehen jetzt.” Dennoch wurde ich immer düsterer. „Ich steh grad bis zu den Waden in der Korruption.” Usw. Es ist doch so, daß ich so oft in diese Bar gehe, nicht weil sie mir als angemessen oder gar heimatlich erschiene, da bin ich lieber im Soupanova, wobei ich eigentlich überhaupt kein Kneipengänger bin, sondern lieber am Schreibtisch sitze oder bei Freunden daheim oder an des Profis See; sondern ich bin dort so oft, weil ich diese Naturalhonorare dort vertrinke; sehr geschickt haben die Betreiber es auf diese Weise angestellt, dort bekannte Künstler zu versammeln, aber nur als Person, nicht mit ihrer Kunst selbst – es gibt keine Lesungen, keine Performances, keine Ausstellungen, was, wenn, etwas anderes wäre und dann wirklich ein Grund für Bindung. Da wiederum das Fest eine Party werden soll, ist ja auch diese Musik völlig angemessen, ich käme mir ja selber dämlich vor, zu, sagen wir, >>>> Lachenmann zu tanzen. Wenn man denn tanzen w i l l. Will man aber auf Parties, ich meine, ich hab ja nix dagegen. Aber darf ich da den Conferencier geben? „Da werd ich aber spotten!” drohte شجرة حبة, die ich nachts anrief, und strich dann wie ein Tiger draußen vor der Bar auf und ab. „Die soll mich mal anrufen”, sagte der Profi. M. will sich die Conference mit mir teilen. Ich wiederum, w e n n ich das mache, müßte von allen fünfzehn Djs, die da auftreten, wissen, was sie eigentlich tun, wie sie es tun usw., ich wäre sonst ja völlig unvorbereitet, was ebenfalls nicht meiner Haltung entspricht.
Was tu ich nur? Was tu ich nur? Noch steht mein Ja im Raum.
Obendrein wird das eine sowieso irre Woche werden: Am Sonntag abend Uraufführung der Undine, vorher essen mit Literaturverein und andren Träger-Personen, am Montag Signierstunde in einer Gütersloher Buchhandlung, wieder Träger-Essen, Fernsehn dazu, dann abends Lesung, danach gleich in einem Rutsch nach Berlin zurück, oder in allster Herrgöttsfruhe, ab 9 Uhr dienstags wieder >>>> Gurre-Proben und so durch bis zum Freitag, quasi vom Konzerthaus dann, quasi direkt von Schönberg zu DJ, in die Bar, Moderation bis spät nachts, sehr früh aufstehen aber am Sonnabend und zur Generalprobe wieder ins Konzerthaus, und abends die Premiere… dann zwei Tage Außen-Ruhe und schon nach Heidelberg, von dort nach Frankfurt und Paris… –
Die Steuererklärung „liegt” immer noch, ich schiebe heute die Rezension vor. Aber fertigwerden m u ß sie vor den Reisen; ich bekam bereits den Termin für die nächste, immerhin: November. Und wann wird hier mal geputzt? Außerdem sind für >>>> etk-books sämtliche Texte der >>>> „Kleinen Theorie des Literarischen Bloggens” durchzusehen, sonst wird das nichts mehr mit dem Termin zur Buchmesse.

Also ran. Erstmal wieder das Buch lesen, das da… jaja. Auch mein Arbeitsrhythmus, das frühe Aufstehen, ist mir quasi restlos entglitten: ich werde geschwommen.

9.58 Uhr:Lesen und rezensieren am Screen. Zum ersten Mal. Das funktioniert – auch wenn mich ein erster Impuls die gesamte pdf erst einmal ausdrucken lassen wollte. Ein Mehrfach-Impuls. Immer wieder feuerten Synapsen in die Richtung Buch: wenigstens doch, feuerten sie, ein ausgedrucktes Papier! Doch meine Sparsamkeit siegte. Ohne die hundert Euro, die ich mir gestern nacht mal wieder vom Profi lieh, ich faltete den Schein fitzligst zusammen und schob ihn in die engste Jeans, die ich habe und da anhatte, – ohne diesen Hunni wäre die Zeit bis zum Ersten kaum zu überbrücken. Dennoch, was typisch für mich ist, für meine ganze desolate Verantwortungslosigkeit, habe ich mir für heute nachmittag mal wieder einen Termin bei meiner schönen Fußpflegerin geholt. Ich weiß, daß Sie das brennend interessiert, aber wenn, so erzählt es mein Buch, Friedrich Nietzsches Taschenlampe (:allein schon d a s! schon d i e!!) zu schwach ist, um Martin Luther aus dem Dunkel zu holen, dann könnten wenigstens solche Erzählungen, nämlich der gröbsten, weil banalsten autobiografischen Art… nein: Natur Licht auf die hinter meinem Werk stehende Poetologie werfen: einen ganzen FlutLICHTStrom – ganz so, >>>> wie das der Herr Martin Halter seinerzeit schon formuliert hat. Ich schreib das hier aber nur hin, damit sein Name nicht nach all den Jahren doch noch in der Google-Dschungel verlorengeht. Es handelt sich also nicht um Masochismus.
Weiter. S. 31/97.

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