Zeitwege: Ayana, Löwinnen, Wölfinnen, Phalli. Das Arbeitsjournal des 19. Julis 2010, eines Montags zehn Tage vor Rom.

10.23 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Ich sehe bereits die Hitze, wenn ich aus dem Fenster schaue; es wird mit Preßlufthämmern gearbeitet: das höre ich. Und will gleich auf read An verlinken, die >>>> eine spannende Diskussion initiiert hat, in der bereits vielerlei Stimmen zu vernehmen sind. Indes ich selbst bin aus aller Arbeit gefallen, lebe fließend seit >>>> Paris, nicht einmal an die Überarbeitung bin ich bislang gekommen. Meine Strukturen sind aufgeweicht, ich gehe zu spät ins Bett und wache zu spät auf, heute erst um Viertel nach neun; ich müßte mich disziplinieren, m u ß mich disziplinieren – allein, was brächte es so kurz vor der Italienreise? Vierfünf Tage brauchte ich, um den inneren Mechanismus wieder ins alte Recht einzuschienen; wäre das so weit, unterbräche er sich abermals wegen der Reise und im Beieinandersein, drei Wochen lang, mit meinem Sohn. So will ich versuchen, dieses Fließes durch die Arbeit selbst hindurchgehen zu lassen, vielleicht trägt sie sich auf ihm, w i r d sie auf ihm getragen, mitgetragen… Zu wünschen wär’s, denn es ist n i c h t nicht viel zu tun: nicht nur die Überarbeitung der Fenster von Sainte Chapelle, sondern auch der Niebelschütz-Aufsatz für >>>> Volltext steht an, sowie meine Rezension der Hörstücke Bernd Leukerts für die Frankfurter Sonntagszeitung. Ayana, gestern, kaufte mir einen Ring. Ayana ist auch mit >>>> in Gartow gewesen, alles auf dem geplatzten Zeitweg; die Mulattin, wie ich sie für mich nun nenne, fiel sehr auf; allein ihre kaffeefarbene Haut, allein das bis unter die Hüften reichende Haar, wenn sie es aufbindet, flüssiger Obsidian, scheint’s. Es legt sich dem, der es berührt, wie ein Haftstoff um die Gelenke, um die Oberarme, über die Schultern, ja um den Leib, wie um ihn einzuspinnen. So fiel sie an meiner Seite ins Wendische ein, und die bürgerlichen Rechte, die sich dort… ja: institutionalisierten, gerieten nicht ins Wanken, nein, aber man sah die Fundamente unterspült… Dabei tat Ayana gar nichts anderes, als einfach nur dortzusein. Gut, sie lachte. Gut, sie flirtete. Wäre ich boshafter, als mir gegeben, ich hätte süffisant bemerkt, daß sie ihrem Geschäftsinteresse neuen Boden gewinnt. Doch tat sie’s völlig arglos. Es ist wirklich ein Geben und Nehmen, ist völlig ausgeglichen. Wer geben nicht kann, dem gibt sie dennoch, vorausgesetzt freilich, daß sie ihn mag. Solche Freiheit ist nur denen möglich, die keine Not haben.

Nun ist Ayana wieder fort, und der Zeitweg hat sich geschlossen. Mich irrtiert das mehr, als ich zugeben möchte; banal formuliert: es warf mich aus der Bahn. Auch dies hängt, glaube ich, mit Le Duchesse zusammen. Ich dachte: meine Güte, ich habe bereits solch ein Werk hinter mir (wir hörten mein Jerusalem-Hörstück, wie hörten >>>> Das Wunder von San Michele, und ihr, wie mir, liefen Tränen), daß ich es mir doch leisten können dürfe, auch einmal n i c h t produktiv zu sein, egal, was eigentlich noch ansteht, egal, wie eng die Termine sind… daß auch ich vielleicht, einmal doch, „einfach” nur leben könne. Da können Sie nicht ganz zu unrecht sagen: mein innerer Katholizismus wirke, der mediterrane, wohlgemerkt, heidnisch schöne. Wie die Löwin – als ich in Nairobi bemerkte, ich gäbe Bettlern gerne, aber nur dann, wenn sie etwas täten: musizierten, tanzten, malten, und nicht, wenn sie einfach nur dasäßen und die Hand aufhielten – : wie also die Löwin bemerkte, das sei ihr zu protestantisch, an alles knüpfte ich Leistung. Das hat mir zu denken gegeben… – nein!: zu fühlen gab es mir. So fließe ich jetzt durch die Tage.
Zweiter Latte macchiato, Pfeife.

Also langsam die Post erledigen, die bestellten Bücher wegbringen, die Rechnungen dabeigelegt. Telefonieren möchte ich. Wie der Abend aussehen wird, weiß ich noch nicht. Was jetzt „ist”, ist selbstverständlich auch wegen meiner veränderten Lebenssituation. Allabendlich telefoniere ich mit meinem Jungen, der mit seinen Geschwisterchen, seiner Mutter und dem Anderen an der Ostsee weilt, für noch weitere fünf Tage, und da wollte, vorgestern, das Zwillingsmädchen mich sprechen und fragte mit seinem Dreieinhalbjahresstimmchen: „Papa, wann kommst du?” Das sind dann Momente von Schmerz. Denn du weißt: so gerne du das Kind wieder an dich drücktest, du darfst es nicht, um seinetwillen nicht; wir drei, die Zwillingskindlein und ich, müssen zu fühlen lernen, daß ich für sie nicht dasein mehr d a r f. Es war da eine, wie liebevoll und ernsthaft auch immer gemeint, Lüge, auf die es gebaut war – nicht unsere Lüge, nein, sondern eine objektive; denn es gibt einen Zeitpunkt, von dem an ich es wußte, von dem an ich wußte: du zementierst Illusionen. Das darf ich, gerade der Zwillingskindlein wegen, nie wieder tun.

Wir stehen neben dem wiederverschlossenen Zeitweg und schauen den Zeitweg zurück; schauen wir ihn voran, ist nichts zu sehen, nicht sein Verlauf, nicht seine Form einmal; sondern direkt vor unseren Füßen hat er sich unter die Erde gebohrt. Keine Marke zeigt seinen weitren Verlauf an. Nur das Werk, das noch zu schreiben ist: da sieht man die lockere Baumspur, aber nicht alle Bäume tragen auch Laub. Ungewiß ist, ob denn nur noch nicht.

15.30 Uhr:
Den meisten Postkram erledigt, auch gepflegt usw. Dann kam noch eine Anfrage wegen >>>> MEERE, die mir Daniello aus dem öffentlichen Email-Account weiterleitete und zu der ich eingehend antworten sollte, eingehend distanzierend; ich werde den Text später, anonymisiert, einstellen. Würde aber auch gern eine Stunde schlafen. Dann weiter mit dem Kleinkram.
Skype spinnt, ich stürze dauernd ab, wenn ich Cam- und Mikrofunktionen einschalten will. Das nervt, hält auf. Dennoch säh ich die Löwin ganz gern, zumal >>>> der fliegenden Teppiche wegen.
Ablage ist zu erledigen, auch das noch. Aber erst mal rauch ich den Cigarillo auf.18.12 Uhr:
So, >>>> MEERE also wieder einmal. Es scheint mir nötig zu sein, der vielen internen Anfragen wegen >>>> hier öffentlich Stellung zu beziehen, auch wenn sie nach meiner seinerzeitigen Presseerklärung an sich überflüssig ist. Interessant allerdings, daß der Roman nun offensichtlich, und zwar im Ausland, den Weg in eine >>>> Enzyklopädie zur Erotischen Literatur der Gegenwart gefunden hat. Manchmal lohnt es sich, den Wegen der Rezeption zu folgen, und zwar jenen, die nicht schon ausgetrampelt sind.

19.46 Uhr:
Wie schön, daß >>>> dieses Gespräch /?p=4559#comments sich immer noch fortsetzt, vor allem, weil >>>> der Wolpertinger jetzt sichtbar an die >>>> Meeres-Seite rückt und parallel ja auch ANDERSWELT so päsent bleibt, wie die BAMBERGER ELEGIEN es gerade wieder werden. Wenn es mir jetzt doch nur gelänge, auch die Hörstücke im Bewußtsein meiner Leser zu halten – es wäre solch ein Glück. Doch das habe ich nicht in der Hand, bevor sich nicht ein CD-Verlag findet, der die Dinger greifbar macht.

Telefonieren mit dem Profi, die Löwin sprach soeben mit mir; und ab in die Bar.

3 thoughts on “Zeitwege: Ayana, Löwinnen, Wölfinnen, Phalli. Das Arbeitsjournal des 19. Julis 2010, eines Montags zehn Tage vor Rom.

  1. Aufgehoben sein. Im Sommer, im vollbracht zukünftigen Werk, auf den fliegenden Teppichen der Frauen. Gleich da vorne ist die wiedergefundene Zeit, dahin führt kein Fußweg, Geliebter.

    (Den Ring wird Sie dennoch zerbeißen. Aber sachte.)

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