Arbeitsjournal mit Philip K. Dick. Dienstag, der 24. August 2010. Bemerkung zu „elektronischem Lesen”.

11.34 Uhr:
[Arbeitswohnung. Keine Musik. Vor dem Duschen.]
Seit acht Uhr am Schreibtisch, soeben >>>> Dicks „Stimmen der Straße” ausgelesen. Das Thema der Sendung, für die ich mich mit der Redakteurin über den Roman unterhalten soll, heißt „Trugwelten”. Das ist jetzt ein bißchen kompliziert, weil Dicks früher, erst posthum veröffentlichter Roman an sich mit Trugwelten wenig zu tun hat, wenn man von den sektischen Grundgedanken absieht, die bis heute die US-Gesellschaft basal durchziehen und in denen rassistische, neofaschistische und ähnliche „Gemüts”Bewegungen ziemlich gut gedeihen können und tatsächlich auch gedeihen. Inwieweit Silja Ukena für den KulturSPIEGEL aber von „amerikanischer” – was sowieso schon mal falsch ist; richtig ist US-amerikanischer – Mittelschicht schreiben kann, ist mir dabei allerdings unklar; es handelt sich sehr viel deutlicher um eben dasjenige Kleinbürgertum, das auch in Deutschland der Nährboden für den Faschismus war, nur eben verzogen über ein protestantisches Sekten-Christentum; aber die Sehnsucht nach einem „Erlöser” ist hie wie da, strukturell, dieselbe. Na gut, darüber wird morgen unter anderem zu sprechen sein. Wir nehmen das Gespräch um 17 Uhr auf, Wallefeld im Studio Köln, ich im ARD-Hauptstadtstudio hier.
Zur weiteren Vorbereitung: noch einmal durch >>>> Sutins in der FVV erschienene Dick-Biographie schauen, die schon seinerzeit eine Grundlage für >>>> mein Hörstück über Dick gewesen ist, dann, zum Stilvergleich, in Dicks „Zeit aus den Fugen” und vor allem „Ubik” hineinsehen, sowie in Kafkas „Das Schloß”, weil Art Spiegelman s e h r hochtrabend Philip Dick mit Franz Kafka auf eine Stufe stellt – was s o ganz sicher falsch ist; von Kafkas glasklarer Prosa ist Dick etwa so weit entfernt wie >>>> H.G.Ewers von Aldred Döblin. Man kann da nur den Kopf schütteln. Philip Dick kommt sprachlich auch nicht an Sinclair Lewis heran. Daß er freilich, gerade in den späteren, im weiten Sinn der Science Fiction zugehörenden Romanen extrem visionär war und mit seinen Ideen noch ganze Mediatheken weiterfüllen wird, ist davon unbenommen.

Um 14 Uhr dann Treffen bei den >>>> Kulturmaschinen mit beiden Verlegern und Barbara Stang; da bringe ich dann die korrigierten Fahnen von „Azreds Buch” mit. Jedenfalls kann ich mittags meinem Jungen das Essen nicht kochen; er will dennoch hierher in die Arbeitswohnung kommen, um seine Hausaufgaben zu erledigen und Cello zu üben. Vielleicht werde ich rechtzeitig zurücksein, um ihn noch zu treffen.

Interessante Erfahrung: Ich habe den Dick-Roman jetzt, als pdf, ausschließlich am Laptop und, wenn ich unterwegs war, auf meinem Ifönchen gelesen. Das geht ganz wunderbar; am Ifönchen fehlt allerdings die Möglichkeit, sich Notizen zu machen, Sätze anzustreichen usw. Doch insgesamt ändert sich, jedenfalls bei mir, der Imaginationsreiz überhaupt nicht; vielleicht ist man sogar näher am Wort, weil das Sentimentale, nämlich der Fetischcharacter, eines VermittlungsMaterials zwischen Text (der im Idealfall seine Idee ist, nicht etwa eine Idee auf dem Papier) und Gehirn fehlt, das wir, wenn wir lesen, ja auch nicht als Vermittlungsinstanz wahrnehmen. Darüber wäre gesondert zu schreiben. Was ich jetzt auf jeden Fall brauche, ist ein Textleseprogramm für das Ifönchen, sowohl für word als auch für pfd. Ich bin aber windows-Nutzer und habe keinen Mac; da liegt ein, vielleicht sogar das, Problem.

Abends dann, das trifft sich gut, Freund M. auf ein Bier; vielleicht, daß er mir weiterhelfen kann.

Ich brauche eine Rasur und die Dusche. Im übrigen hab ich mich entschlossen, meine Lese-Sehprobleme vermittels einer Laser-Operation beheben zu lassen; Termin mit der Augenärztin ist gemacht. Auf Brille(n) hab ich absolut keine Lust.So, weiterarbeiten. Mein rechter Fuß ist immer noch unschön angeschwollen, aber der Muskelriß in der Wade scheint zu verheilen. Wenn ich’s schaffe, fahr ich morgen mal bei der Ärztin zur Kontrolle vorbei.

7 thoughts on “Arbeitsjournal mit Philip K. Dick. Dienstag, der 24. August 2010. Bemerkung zu „elektronischem Lesen”.

  1. Hans, da oben! Was ist das für eine Figur?
    Und was für Leserichtungen hat sie?
    Hält sie jemand oben an den Händen fest und lässt sie abhängen?
    Oder stand sie vorher auf jemandes Schultern und kommt jetzt nicht mehr runter?
    Ist es Hans Christian Anderson selbst? Ist es eine Figur für Fußanbeter?
    Lieber die Füße küssen oder doch eine Schleife drum binden?

    1. Liebe read An, ich weiß es nicht, wessen Fuß das ist. Auf alles Erdenkliche hatte ich in der Kathedrale geachtet, auch die Reliefs, selbstverständlich, der Fassade genau besehen. Dann sah ich diesen Fuß, der nur mir zuwippte. Das ist zugleich Schein und Wahrheit. In diesem Moment. Was ich noch weiß, das ist, daß die Figur, eine Frau, sitzt. Selbstverständlich wippte der Fuß für Hunderte, wohl Tausende andere: zahllose Hände, wie man am Glanz sieht, haben ihn berührt, haben ihn wahrscheinlich auch geküßt.
      Ich versuche seit zwei Tagen herauszubekommen, wonach Sie fragen. Bislang ist es mir nicht gelungen, nicht übers Netz. Es könnte, aber das fühle ich nur, ein Fuß Maria Magdalenens sein. Ich werde fast durchweg nur dort von christlicher Kunst berührt, wo sie – es sind sehr seltene, sehr kostbare Momente – einen Eros verstrahlt, der völlig gleichwertig n e b e n der Heilsbotschaft wirkt, gleichberechtigt mit ihr: eine bloße Schulter, eine Handbewegung, ein fordernder Blick. Da schauen dann nämlich die Demeters durch. (U n d berührt bin ich von Pietà, auch dies durchgängig).
      Dieser Fuß hatte, und hat sicherlich weiter, eine derart sinnliche Kraft, daß ich “auf seinen Zusammenhang” völlig vergaß.

    2. El Greco zu Parallalie. Fein, daß Du’s gefunden hast. Interessant, wie sich der in seinen Extremitäten s e h r weiblich gebaute Engel (es gibt keine weiblichen Engel im Patriarchat) in Richtung der Flügel, also zum Himmel hin auflöst, als wäre Männliches nicht wahr; wahr alleine die Beine, wahr alleine der Arm… der ganze Rest vergeht im Abstrakten.

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