In der kenianischen Provence: Sprachmuren bei Amarcord. Das Arbeitsjournal des 1. Septembers 2010, eines Mittwochs. Herkünfte aus Madrigalen, bei Vivaldi gedacht.

7.41 Uhr:
[Nairobi, Waine’s House. Ensemble Amarcord: Book of Madrigals.]
Daß ich während des Fluges keinen Netzanschluß hatte, wird Ihnen einsichtig sein; daß ich ihn auch nach meiner Ankunft erst einmal nicht herstellen konnte, war ärgerlich. Da ich im Ausland mein mobile connect des Roamens wegen meide, konnte die Erklärung nicht der Umstand sein, daß ich den Anbieter gewechselt habe. Ich versuchte es über Wlan; das Haus stellt den Zugang selbstverständlich zur Verfügung. Immerhin, Leserin, schreib ich mich wieder ein, das wird Ihnen kaum entgehen. Bereits in Tegel, nicht erst an Jomo Kenyatta erreichte mich die Botschaft, wo ich untergebracht sei; sie habe, die Löwin, einen Wagen organisiert, dessen Fahrer mich abholen werde. Ich sag nur: Rapperschepper. Sie selbst komme erst drei Stunden nach mir an, abermals aus Wien; ich möge bitte nicht warten, sondern die Zeit zum Arbeiten nutzen: aber einen guten Whisky solle ich besorgen.
So sitze ich nun mit Niebelschütz in der Provence Afrikas, denn überall, wohin ich schaue, ist sein Text. Ich las ihn der Löwin nachts nach ihrer Ankunft noch vor, es sind ja nur zehn wenn auch sehr kleingedruckte Seiten: d a s Beispiel für eine seelenvolle, für eine von Bildung und Wahrnehmung des Landes gesättigte Beschreibung, die nur zu einem Teil Erzählung, zu sehr viel mehr Teilen Wiedergabe der Landschaft durch Sprache ist. Wann immer man, kommentierte die Löwin, in einem Seminar literarische Landschaften behandle – Landschaften, die in Literatur gefaßt werden -, müssen man >>>> diesen Text eigentlich zum Lehr- und Vortext machen. Jetzt habe ich den Impuls, wenn >>>> das virtuelle Seminar wieder losgehen wird, im Heidelberger Oktober, meinen Studenten die Aufgabe Landschaft zu stellen, schon, um sie von sich selber fortzubringen und den Blick-hinaus zu weiten. Selbstdistanz gehört zum literarischen Handwerk; die Näherung ans Selbst geht über die Materialisierung des Selbstes; wir müssen uns wie Figuren betrachten, dann erst öffnet sich die Tür ins autobiografische Arbeiten, o h n e das doch kein Roman je etwas würde. Es sind immer u n s e r e Empfindungen, unsere Gerüche, unsere Augenscheine, auf die wir uns einzig beziehen können. Schmerz ist nicht teilbar, so wenig wie Krankheit, die sich nur anstecken läßt, nicht aber mitempfinden. Monadologie: denn selbst das Glück ist nur, freilich erfüllend, als Illusion identisch. Es braucht den Mittler Kunst, es zu übertragen, und auch dann hoffen wir nur, daß wir dasselbe fühlen. Wie komm ich jetzt darauf?

Wir werden im Hotel bleiben heute. Arbeiten sind auch von der Löwin zu erledigen; gemeinsam arbeiten, ich vielleicht im Garten, sie vielleicht im Wintergarten auf den Korbsesseln; vielleicht setzen wir uns auch zusammen, die Laptops gegeneinander; sie soll, die Löwin, als neuerdingsliche Kuratorin, irgend ein Exposé entwerfen, ich meinerseits… Niebelschütz, Sie wissen schon. Ich denk mir, irgendwann werd ich das Gefühl bekommen, genug gelesen und wiedergelesen zu haben, und dann plötzlich, aus einem Stimmungsübermut, zu formulieren beginnen und den ganzen Text in einem Rutsch hinunterschreiben. >>>> Abendschein gab mir noch einen Kontakt; es sind mehrere Leute offenbar zur Zeit mit Niebelschütz beschäftigt. Ich will wenigstens noch ein paar der Gedichte kennen, bevor ich loslege; aber es gibt nix mehr im Handel, indes erhältlich ist schon was, aber teuer, über >>>> ZVAB. Schließlich will ich nicht, daß immer die Löwin alles zahlt: das Hotel ist nicht ganz billig.

[Vivaldi, Erstes Cellokonzert.]

Höchst reizvoll, die „eigene” Musik in anderen Ländern, auf anderen Kontinenten zu hören; hier spürt man die Heimat daran. Eben n i c h t Assimilation. Niebelschützens Nebensatz, überhaupt sei die Provence ein Urbeispiel der Kunstbefruchtung durch Völkermixtur, beschäftigte uns gestern nacht noch lange, gerade auch in Hinsicht auf Deutschland und Europa; Migranten müssen ihr Eigenes bewahren, dringend, müssen ihre Herkunft bewahren: nur dann kann es zu gegenseitiger Befruchtung kommen. Das schließt das Kopftuch mit ein, so wie uns das Kreuz, ob wir gläubig oder nicht sind, umschließt. Wenn wir das nicht verstehen, werden wir eines Tages nicht nur alleine sein, sondern in der Leere treiben, und niemand hört uns.(Es gibt hier einen ziemlich frechen, vorlauten Vogel, eine Mischung aus Amsel und Star, scheint mir, nur daß er die Größe einer Elster hat. Ich muß mal nachfragen, wie er heißt… oder nein, nein! „Frühstücksvogel” haben wir ihn genannt: dabei soll es bleiben. Ich möchte ihm eigentlich einen kleinen Text widmen.)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .