Die Erzählung strukturieren. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 28. Januar 2011. Darüber, nicht zur Geburtstagssau zu werden, bedauerlicherweise.

7.48 Uhr:
[Arbeitswohnung. Stille.]
„Stille” bedeutet, es spricht in sich mit sich; Musik würde stören. Der zweite Latte macchiato. Seit fünf Uhr bin ich auf, nachdem ich nachts mit dem Freund im Soupanova gewesen, wo auch >>>> Brossmann war. Über >>>> das Schiff gesprochen. Das werde, sagte der Freund, dem Profi aber sicher nicht gefallen, daß möglicherweise Le Duchesse mit an Bord sei, „wenn, dann aber in einer der drei Luxussuiten, wie sich’s für Gott halt gehört”. Der Freund war sehr informiert, wußte über die Astor längst mehr als ich. Brossmann gratulierte, „schöne Tour”; Petra Morsbach, der ich die Lesung vor der Bayerischen Akademie absagen mußte, hatte per Email ebenfalls gratuliert. Gegen ein Uhr nachts lag ich im Bett. Also meine „klassischen” vier Stunden Schlaf. Geht in Ordnung.
Seit fünf, schrieb ich, war ich auf, seit zehn vor halb sechs saß ich am Text. Nun, gegen acht Uhr, ist es nötig geworden, eine Tabelle der chronologischen Abläufe aufzustellen, damit die Geschehnisse um die Sainte Chapelle zwar nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge erzählt werden, aber diese Reihenfolge doch in sich stimmt. Das habe ich eben in Angriff genommen. Wie ich es schon ahnte, sind Verschiebungen der einzelnen Kapitel, bzw. einiger Segmente in ihnen nötig. Es muß den Lesern genau klar sein, wann der Erzähler zum Beispiel Ayana trifft, wann er zum ersten Mal in die Sainte Chapelle kommt und wann ihn die Orgie der Hölle von Pantin umbraust, indes die Gipfelszene in der Sainte Chapelle von jenseits meines Kalküls festgelegt ist.
Damit habe ich zu tun, von sprachlichen Korrekturen und Verfeinerungen und plastischer Ausfüllung einzelner Szenen ganz zu schweigen. >>>> Das Buch wird nach alledem von der Netzfassung sehr verschieden sein, auch wenn die Geschehnisse-selbst identisch bleiben. Es wird weniger „durcheinander” sein, und die als Figuren eingebauten Kommentatoren der Netzerzählung werden als Figuren kenntlicher sein und vor allem, für ein Buch, literarisch eingeführt werden. Das ist sehr viel Arbeit; ich kann mir jetzt keine Ablenkung leisten. Dennoch werde ich „zwischendurch” die Fahnen der Bamberger Elegien durchsehen müssen, deren vierte nun auch auf Italienisch vorliegt. >>>> Parallale schickte sie mir gestern und will sie heute auf seiner Netzpräsenz einstellen; sowie er das getan haben wird, veröffentliche ich in Der Dschungel einen „Teaser”, wie ich das bereits für >>>> Pruniers französische Übertragung getan habe, um die immer noch diskutiert wird und an deren Revision er derzeit sitzt. Auch >>>> Zazie schrieb mir, daß ihre französische Version nun bald fertig sei.

Sie sehen, es ist einiges in Gang und in sonstige Bewegung gekommen. Da mich so etwas fast immer aufputscht, war das Telefonat mit der Löwin heute morgen kaum jugendfrei; wir werden uns in knapp zwei Wochen wieder in der Serengeti treffen. Meinen Geburtstagsausflug nach Neapel mußte ich mir streichen; ich bekomme ihn arbeitstechnisch nicht hin. Dabei hätte ich so gern an dem mir so bestimmten Tag vom Castello dell’Ovo nach der Wildschweininsel hinübergeschaut und mich einer Circe auf die Gefahr hingegeben, in eine Sau verwandelt zu werden, die ich als Eber aber sowieso bin. Und Anzüge wollte ich dort kaufen. Das ist tatsächlich dringend.

Erste Leser nehmen >>>> dieses Angebot wahr. Ich muß also nachher zur Post.

15 Uhr:
[Nach dem Mittagsschlaf:]
Bereits bis TS 51 gekommen, die chronologische Liste ist mehr als als nur hilfreich. Gegen halb eins kam mein Bub, wirklich Bub wieder, so blaß war er: Zeugnisse. Glücklich bin ich nicht. Das durfte er auch merken; wichtig ist aber, ihm das Vertrauen zu geben, daß wir das Schulpferd schon schaukeln werden. Nein, eine Katastrophe sind seine Reit„erfolge” auch nicht, vor allem wenn man sich sagt: „Ein gutes Pferd springt knapp.” Dennoch. Jetzt lernt er. Ich möchte, daß er, wenn die nun s c h o n wieder begonnenen Ferien zuende sind, sämtliche Vokabeln auswendig kann, die in den bisherigen Lektionen durchgenommen wurden. Danach geht’s an die Formen. Ums Lernen kommt keiner von uns herum. Desgleichen auch Mathe. Na gut.

Die Romanfabrik hat meine Frankfurter Lesung nun doch umterminieren können, so daß sie nicht ausfallen muß: gut für mich, gut für die >>>> Kulturmaschinen. Die Elegienlesung im Frankfurter Literaturforum, also >>>> Elfenbein, war sowieso nicht betroffen.

Gleich weiter an die Chapelle. Ich habe wenig Zeit für Die Dschungel mal wieder, obwohl hier ein bißchen was im Entwurf herumlegt, daß sich für neue Beiträge eignet. – Vielleicht schaffe ich ja zwanzig Typoskriptseiten heute… Das brächte mich ein riesiges Stück voran. (Jede Ablenkung außer bisweilen einer pornografischen Site ist verboten; das aber m u ß sein, weil sich die Energien immer sofort nach oben leiten lassen. Was für andere Autoren Rauschgifte waren, bzw. sind, ob nun Alkohol, Opium oder Haschisch, ist für mich ganz offenbar ausgereizt harte Erotik.


[Produktivitätstheorie.] )

18.25 Uhr:
Gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet, und ich werde weitermachen. Von zwanzig Seiten kann allerdings keine Rede mehr sein: im Text war eine solche Zeitkonfusion, daß ich eine neue Überleitung schreiben mußte. Auch dafür galt: Klarheit, Klarheit, Klarheit. Zusätzlich: Spuren legen – das ist für den Aufbau eines Textes, der nicht nur oder sogar am wenigsten von seinem dennoch mitziehenden Plot lebe soll, beinah das Allerwichtigste.
Zwischendurch kurz zur Post losgeradelt und neue Cigarillos, aber auch einen Tabak besorgt, wie ich ihn seit langem nicht mehr hatte: völlig ungesoßte (also nicht künstlich aromatisierte) englische Orientmischung mit hohem Latakia-Anteil. Wenn ich nur tippe, sind auch die Cigarillos lästig, weil dauernd Asche runterfällt. Die Pfeife hingegen hält gut im Mund; ich kaue zudem gern auf was, wie man an meinen immer ziemlich schnell mit einem knackend zerbissenen Mundstücken sieht.
Vor Jahren roch alles um mich her nach Latakia: das riecht genau so, wie man geliebter Talisker schmeckt.

Und: Weiter.

4 thoughts on “Die Erzählung strukturieren. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 28. Januar 2011. Darüber, nicht zur Geburtstagssau zu werden, bedauerlicherweise.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .