InniTalien 7 mit einem leisen Regen. Das Ameliajournal des Sonnabends, dem 23. Juli 2011.

9.55 Uhr:
[Wohnküche des Kardinals.]
Als ich, spät, kurz vor sieben, die Augen aufschlug, war schon mein Junge grinsend über mich gebeugt.
„Geht’s dir wieder gut?”
„Klar geht’s mir gut. Weshalb fragst du?”
Und dann erzählte er, daß sie gestern abend ge… nein, das wolle er dann doch nicht erzählen.
„Na komm schon, was..?”
Hm, okay, sie hätten gekokelt. Usw. Und, „aber nur etwas!”, schwarze Schokolade gegessen. – Später schaute unsere Nachbarin herein und berichtete, es sei auch Eugenio nicht so wahnsinnig gutgegangen gestern nacht. Habe sie gehört.
So ist die Sache denn aus der Welt, wie ich’s mir gedacht hatte. Der Bub nahm sogar seinen Latte macchiato heute früh, den er in Italien morgens trinken darf; allerdings fertigte ich ihn ihm dünn. Dazu ein paar Biscotti. „Ich habe richtig Hunger, Papa.” – Klar hatte er das. Jetzt liest er sich nebenan durch den Haufen von ErwachsenenComics, die er entdeckt hat.
Es regnete nachts. Ein Mysterium, denn die Wäsche, die ich gestern gewaschen und aufgehängt, war trockengeblieben; dabei stand auf der Metallplatte das Wasser, die den Brunnen abdeckt. Und auch mein Arbeitstisch draußen war ganz naß. Dann pieselte es erneut. Aber jetzt kommt schon die Sonne wieder heraus. Ich will, wenn dies hier eingestellt ist, durch die mittelalterlichen Gassen hinab zum Wochenmarkt, und mein Bub, der will mit.
Es wurde noch spät, also früh heute nacht. >>>> Parallalie, der bereits in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch sitzt, um weiteren Herbst nachzudichten, kam erst gegen eins von der Lesung zurück, und wir plauderten dann bis halb drei. Er habe ja nur anreizen wollen mit wenigem Text, man habe ihn aber nicht aufhören lassen. So daß sein Pulver verschossen sei und er weiteres übersetzen müsse. Denn in der Tat, man habe noch eine Lesung hier in den Cortile auf nächsten Mittwoch gelegt; die Freundin mache da ein Fest, das würden wir kombinieren. „Gut angekommen”, sage er, „die Gedichte.” So daß auch mein Junge kein schlechtes Gewissen haben muß, seinem Vater einen Auftritt versaut zu haben. Ich sagte es ihm sofort heute morgen, hatte ihn aber schon gestern beruhigt, bevor er in dieses tiefe Hineinschlafen gesunken war; und ich erinnerte mich, wie ich selbst, als ich in seinem Alter gewesen, immer wieder in den Ferien krank geworden, bei mir dann immer gleich mit Fieber nie unter 40. In Büsum, wenn die anderen am Strand waren. Meine Großmutter blieb dann auch stets bei mir, ging höchstens mal einkaufen und kam jedesmal mit Spielfiguren wieder, die man ausschneiden mußte; auch die Kleidung mußte man ausschneiden und konnte sie an geknickten Falzen wechseln. Meist waren es Ritter. Ich liebte Ritterfiguren, Ivanhoe war eine Art Archetyp für mich, ich glaube: Robert Taylor in der Verfilmung, die strahlend silberne Rüstung, der federweiße Busch auf dem Helm. An was man sich plötzlich erinnert.
So auch dachte ich, als ich nachts noch alleinsaß und bis ich mit der Löwin skypte, wozu immer weiter der Johann Sebastian Bach lief: was wir Eltern hören, prägt sich dem Kind tief ein; es wird auch den Erwachsenen dann immer begleiten und ihm, selbst wenn er andere Musik scheinbar bevorzugt, immer eine Heimat sein. Ich finde den Pop bei meinem Jungen völlig okay, denn die Seele, immer, wirkt unten. Entscheidend ist, was zuhause gehört wird, indem es die Tage begleitet. Ich meine, ich gebe das wirklich nur sehr ungern zu: aber ich hatte tatsächlich, sowas mit vierzehn, eine Phase…. oh je…. Karel Gott. „Weiiiiiiiiiiißt du, wohiiiiiiiin?” Kaum zu fassen. (Auch eine Phase Daliah Lavi, ungefähr zur selben Zeit, gab es; das ist immerhin körperlich nachvollziehbar: was für ein Weib! „Du-huhu, wann kommst duuuuuu?” Ich war einfach noch zu jung für sie, das erklärt ihre u’ende Seeeehnsucht.) – Aber allsonntags perlte – stets vornehm bei Backhaus und Serkin – Beethoven. Es war in unserer zerstrittenen Familie ein Klang nach unverbrüchlichem Frieden –

Im übrigen: Lesetag. Überhaupt keine „action”. Nur daß ich die Weiterreise ein bißchen planen will; doch sicherlich bis zum kommenden Donnerstag bleiben wir hier.
Guten Morgen, Leser.12.31 Uhr:
Hab ich was von leisem Regen geschrieben? S t ü r z e! Klatschnaß kamen wir zwei Männer hier oben wieder an, obwohl uns Eugenios Mutter auf halbem Weg vorm Ertrinken rettete und im Auto mitnahm. Doch dann, die letzten dreißig Meter, schwammen wir.
Aber schon… tja, abermals Sonne.

18.27 Uhr:
[Monteverdi, Combattimento. Matthias Énard, Zone, S. 409 von 577.]
Nur gelesen, quasi. Na gut, noch paar Bohnen geschnibbelt. Und jetzt mußte der Wein umgefüllt werden, damit die übernächste Flasche auch in den Kühlschrank paßt.Derweil bereitet Parallalie das Ragout vor.

An meinen alten Lektor, Email, ich war einfach z u überrascht, nein: benommen:

”Wir alle werden auf Leuke, der Weißen Insel in der Donaumündung, unsere Ruhestätte finden…”
Schon seltsam. Als hätte er Thetis gelesen. „Ich gehe nach Levkas”, Borkenbrods stehende Rede im Osten, einer anderen, aber doch auch eben d e r Zone; Levkas ist Leuke, nur der alte, nichtdeutsche Name für die Pappelinsel, unter deren Land Thetis selbst die Hand legt, um sie zu heben…

Es wird Zeit, daß ich wieder an Argo gehe, das ja quasi fertig daliegt und nur auf die Überarbeitung wartet, seit fast fünf Jahren, weil’s halt niemand machen wollte. Doch jetzt, nach dem Énard, sollte mir das völlig egal sein.


5 thoughts on “InniTalien 7 mit einem leisen Regen. Das Ameliajournal des Sonnabends, dem 23. Juli 2011.

  1. Daliah Lavi, Karel Gott Sind Sie nicht doch manchmal ein bißchen überheblich, lieber ANH? Man muß sich doch fragen, warum diese Musiker so große Erfolge hatten und zahllose Menschn mit ihrer Musik erfreuten. Die können doch nicht alle blöd sein. Was Daliah Lavi betrifft, so möchte ich so manches ihrer Lieder nicht missen. Sie ist nicht nur schön (das auch geblieben), sondern hat eine äußerst reizvolle Stimme, die sie sehr sensibel einzusetzen versteht. Ich denke nur an “Am Tag als der Regen kam” (1959- youtube), ” Er war gerade 18 Jahr”(1973) oder “Wer hat mein Lied so zerstört” (1991). Was Karel Gott betrifft, na ja, auch er hat jede Menge Anhänger. Was im Menschen wird nur angesprochen durch diese einfachen, einen oft im tiefsten Innern berührenden Melodien und Texte?. Ganz nett ist doch das : http://www.youtube.com/watch?v=kxRRRkXNRcY
    Bestimmt habe ich mich jetzt ganz furchtbar blamiert. Aber als Veranstalter wirklich anspruchsvoller Kammerkonzerte kann ich zugeben, hin und wieder auch an der sogenannten Popularmusik Freude zu haben.

    1. @Cellofreund. Nein, blöd sicher nicht, jedenfalls nicht alle; aber einfältig. Wobei ästhetische Einfalt einem Kind mehr als nur nachzusehen ist, Erwachsenen allerdings nicht. Mag sein, daß das eine überhebliche Einstellung ist. Da sie aber aus der Arbeit stammt, läßt sie sich vertreten. Schon weil Disney das Dschungelbuch vergewaltigt hat und für alle späteren Generationen ihm danach noch die Kehle durchschnitten. Wie man’s mit Melvilles Moby Dick auch schon getan.

  2. Popularmusik Oder diese Filmszene + Song aus 1977. Damals ein großer Erfolg.
    http://www.youtube.com/watch?v=pWsy9DKhsws
    Warum kam das Lied nur so an? Und geht einem auch heute noch nicht aus dem Sinn, wenn man es öfters gehört hat.
    Gruß nach Umbrien, wo in Assisi der großartige Jazzpianist Ramberto Ciammarughi zu Hause ist.

  3. Köder worauf man verfiel Meinetwegen Rosen

    Wie es so geht
    ein unausrottbares Elend immer
    noch Rosen Lied das
    im Mund zergeht Schnee
    die Augen geschlossen

    wo sich anbot
    heiter zu leben belanglos
    einige Worte hingesagt im Dunkeln
    über ein anderes
    Gesicht fremdes
    Gesicht auf das man
    zufällig stieß

    das heitere Trugbild in dem
    die Schatten unsichtbar
    stehn Blick der gefällt
    wird Luft
    ein luftiges Haus hell
    die Kleider

    meinetwegen Rosen
    was uns entging mit der Zeit
    Unglück der ausgeworfene
    Köder worauf
    man verfiel

    Rolf Dieter Brinkmann (1962)

    Junge, komm bald wieder!

    Freddy Quinn (1963)

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