Zur Ernsthaftigkeit, unter anderem. Das Arbeits-, nämlich wieder Krausser- und nunmehr MELODIENjournal. Dienstag, der 8. November 2011.

4.44 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Das eigene Arbeitsgewissen! So, ja, funktioniert das ÜberIch. Ich wollte Ihnen nämlich eben schreiben:Keine Zeit fürs Arbeitsjournal. Habe eine ganze Stunde verschlafen: erst um halb sechs, statt um halb fünf aus dem Bett. (Aber auch erst ein Viertel nach eins ins Bett gekommen.)Mit diesen Sätzen im Kopf was übergeworfen, auf die Toilette, in die Küche, um die Pavoni aufzuheizen usw., dabei zunehmend die Schnelligkeit der Aktionen erhöhend, bis ich im Arbeitsmodus bin. Setz mich an den Schreibtisch, fahr meine Programme hoch, will, nachdem ich die Titelzeile dieses Journales geschrieben habe, die richtige Uhrzeit eintippen, sehe auf die, tja, digitale Analoguhr, die ich für den großen Bildschirm installiert hab, und stell da erst fest: alles ein Schein, hab mich selbst reingelegt. Denn ich bin pünktlich. Nämlich ist’s erst Viertel vor fünf.
Habe zudem schreiben wollen (alles im Kopf schon zurechtgelegt):Will >>>> Kraussers Melodien anfangen, das Tagebuch leg ich erstmal beiseite, weil die Zeit so drängt –Das werd ich auch tun, denn am Freitag unterbrech ich ja schon wieder für das nächste Seminar, und am Montag direkt drauf bin ich in Paderborn; ab Dienstag muß das Typoskript geschrieben werden, damit ich in der Woche darauf zu produzieren beginnen kann –
Jetzt kann ich immerhin erzählen, wie angenehm mein Treffen mit Werner Hintze war, dem Chefdramaturgen der Komischen Oper, und wie gut es immer wieder ist, mit jemandem sich auszutauschen, der in der DDR sozialisiert worden ist und einen völlig anderen Blick auf die alltäglichen Kunstdinge, sicher auch auf andere, hat; wie lehrreich das für mich ist, wie gerne ich da zuhöre, weil es bei solchen Menschen ganz oft kein egal gibt, nicht diese finanzpfiffige Beliebigkeit, sondern etwas, als Seelenbeweger, das sich durchhält, weil es zum unkorrumpierbaren Wesen gehört. Da ist es nicht von Bedeutung, wenn man in Ästhetik und Einschätzung verschiedener Ansichten ist, sondern diese Ansichten, jetzt erst, können sich austauschen, ohne daß man tauschen müßte oder sollte. Es ist da eine ganz bestimmte Art moralischer Ernsthaftigkeit, die ich, je älter ich werde, desto mehr schätze. Vielleicht idealisiere ich jetzt, aber selbst das wäre dann dieser Ernsthaftigkeit verpflichtet, die ich für notwendig, für menschlich notwendig halte, und stützte sie. Etwas, das wir nicht aufgeben dürfen, das wir wiedergewinnen müssen.
Langes nächtliches Telefonat mit der Löwin, die über eine Konstellation im >>>> Museumsquartier fast verzweifelt, an der sie, namentlich mit aber fünf anderen, beteiligt ist. Ich versuchte zu (be)raten, was nur halb gelang; das Problem steckt tief in ihr selbst, „wie eine Schizophrenie“ sagte sie; und das lähmt sie. Sowas braucht niemand, wir suchen‘s uns aber nicht aus. Jedenfalls haben die anderen vier Kuratoren deshalb einen Überhang an Meinungskraft. Da läuft etwas, ist mein wie der Eindruck der Löwin, in eine ganz falsche, ungute Richtung. Doch ich bin zu weit weg, um wirklich täglich helfen zu können. Abgesehen davon, sollte auch dort mein Name nicht ins Spiel kommen; das wäre sonst kontraproduktiv, denn die ganze Wolke Vorurteilsquatsch legte sich zusätzlich auf die Prozesse, wie ich ja insgesamt auch jungen Autoren, denen ich helfe, immer wieder rate, mich besser nicht zu erwähnen. Ich bin eine Rampensau, und es nervt mich, im Hintergrund bleiben zu müssen; aber es geht nicht um mich bei solchen Belangen, sondern hier um die jungen Autoren und dort um die Geliebte. Da hat mein Eitles zurückzustehen. So auch jetzt, in diesen Kuratoriumsdingens.
So, ich zieh mich in meine Lektüre zurück. Ich habe gestern sehr (und in Anbetracht des näherrückenden Sendetermins zu) viel Zeit in >>>> diese Erzählung gesteckt. – Am Abend FAZ-Empfang: zu dem tauche ich wieder auf.
Zweiter Latte macchiato und die Morgenpfeife.

12.04 Uhr:
Bis Melodienseite 197 gekommen, etwas weniger als ein Viertel dieses wirklich großen Romans. Mittagsschlaf jetzt. (Wär aber gut, „schaffte“ ich heut knapp die Hälfte des Buches; es liest sich wie Sahne.)

14.29 Uhr:
Sehr sehr tief geschlafen, für eine Stunde und fast fünfzehn Minuten. Dann das Bad. Nun wieder Krausser:
Der Professor quartierte sich im Hotel Eden-Wolff ein, nahm ein Bad und machte gymnastische Übungen, sah dabei auf den Bahnhofsvorplatz hinaus und dachte: Wie konnte es bloß zu alldem kommen?
Soviel Menschen.
Soviel Abfall.
>>>> Melodien 202

Das kann ich schon jetzt sagen: Einer der besten Romane, die ich in diesem Jahr vor die Augen, in den Kopf und das Herz bekam. Wieso las ich ihn nicht schon früher? Was hielt mich ab? Ich wußte doch von ihm und wußte auch, daß mir das Thema nah ist: Musik & Mythos.

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