Wem seine Füße etwas wert sind. Das Karfreitagsjournal des 6. April 2012. Literarische Pause für das Tonstudio mit einer Bemerkung zu Günter Grass.

11.30 Uhr:
[Arbeitsjournal.]

Es ging bis halb fünf nachts, entsprechend war mit der Früharbeit nichts; als der eine Wecker fiepte, verließ mich M. gerade. Es war nicht zuende gebracht, was wir vorhatten, woran auch >>>> Sellars’ Matthäus schuld trug. „Aber wir sind doch weit gekommen“, sagte M. lächelnd, „so weit waren wir noch nie.“ Er nahm das Handbuch der großen Soundcard mit. „Zu lesen, bildet.“
Jetzt versuche ich, das Tonstudio eigenständig weiter aufzubauen, was übrigens auch eine Platzfrage ist. Der alte Eichenschreibtisch donnert sich mit Armaturen zu wie ein Cockpit.
Günter Grass hat es mit einem sauschlechten Gedicht mal wieder in die Weltpresse geschafft. „Würdest du“, fragte er, „einem Menschen eine Pistole verkaufen, der dauernd rumbrüllt, daß er galoppierend verrückt ist und seinen Nachbarn erschießen will?“ „Aber vielleicht“, sagte eine Freundin, „hat Grass ein neues Buch, das jetzt bald herauskommen soll.“
Wie kann man etwas als Gedicht veröffentlichen, das nicht mal als Prosa auch nur akzeptabel ist? „Rhythmisierte Prosa“, nennt er selbst es in einem Interview. Mit diesem Mann tanzt besser nicht, wem seine Füße etwas wert sind.

28 thoughts on “Wem seine Füße etwas wert sind. Das Karfreitagsjournal des 6. April 2012. Literarische Pause für das Tonstudio mit einer Bemerkung zu Günter Grass.

  1. Gedicht? Ach, als ginge es nur um die Form? Ist es nicht egal, ob das ein Gedicht oder ein “Gedicht” ist?

  2. Die Grasssache Das von Grass behandelte Thema verlangt nicht kurze und knappe Feststellungen, sondern ein sachliches Abwägen von Argumenten, denen jeweils eine so gut wie möglich abgesicherte Faktenlage zugrunde liegen sollte. Sicher hätte ein Nobelpreisträger auch einen längeren Text, ein Essay oder einen Artikel unterbringen können, in dem notwendige Fragen gestellt werden, statt, wie hier, Behauptungen im Brustton der Überzeugung in die Welt zu posaunen und Israel zum alleinigen Schuldigen einer verfahrenen und komplizierten Situation im Nahen Osten zu machen. Es scheint fast so, als wünsche es sich Grass geradezu, als männliche Kassandra in die Weltgeschichte einzugehen. Es sind die Unter- und Zwischentöne des “Gedichts”, die bedenklich stimmen, es ist eines für die Stammtische, über denen der Geist der Martin Walsers, der Grass’ und der Sarrazins ohnehin schon länger seine Runden dreht. Wollte nicht schon die “Gruppe 47” alle Deutungshoheit?

    Wenn Herr Grass etwas Wichtiges und Vielschichtiges zu sagen hätte, was nur er uns sagen kann (zum Beispiel über seine SS-Mitgliedschaft, aber auch über seine wirkliche Rolle in der Gruppe 47, die so brav ja nicht war und manchem Mißliebigen das Leben als Literat unmöglich machte), dann hätte er Klartext reden können, ohne die Form des Gedichts zu bemühen. Das Recht, sich in Dinge einzumischen, von denen er keine Ahnung hat, hat immerhin jeder Intellektuelle, spätestens seit Sartre, doch dann bitte auch mit Gedankenschärfe formuliert und ohne diese bulldoggig vorgebrachte Attitüde des Wissenden und darob “natürlich” von allen Gleichgeschalteten unverstandenen Mahners. Herr Grass hätte besser daran getan, in verbliebener Würde seine Klappe zu halten, statt sich zum Weltenretter aufzublasen, denn wieder einmal hat er nicht etwa eine einem gebildeten Menschen würdige und differenzierte Meinung kundgetan, sondern einfach mal wieder seine “Künstler”-Fahne gehißt, und die ist keinesfalls weiß.

    1. “Die Kirschen der Freiheit” Weiß muss sie auch nicht sein, Herr Schlinkert, aber wie Sie glauben über einen anderen Schriftsteller herziehen zu dürfen, mit Stammtisch- und Sarrazinvergleichen disqualifiziert Sie als angeblich intellektuellen Poeten. Das Gedicht mag den nachpostmodernen, im wesentlichen unpolitischen Zeitgeist nicht bedienen, stet aber dennoch in einer ebenfalls eher rot gestrichenen Tradition wie beispielsweise ein Alfred Andersch. Wenn die Farbe Ihnen nicht passt, ist das doch allein Ihre Sache. Farbenblind wurde ich erst kürzlich und da haben Sie noch das Lied des unbedingt zu schützenden Künstlers hoch gehalten.

    2. Ich ziehe über niemanden her, Herr Buecherblogger, ich stelle fest. Dabei beklage ich die formale und sprachliche Qualität der grassschen Äußerungen, vor allem aber seine unausgewogene und verquast-subjektive Darstellung einer überaus komplizierten Problemstellung im Nahen Osten. Die betroffenen und wohl überwiegend friedliebenden Menschen auf allen Seiten brauchen keine “Gedichte” von Herrn Grass, der sich selbstgefällig und weitgehend unwissend einmischt, noch dazu in einem grauenhaften und, rein objektiv betrachtet, schlechten Stil. Grass mißbraucht die Kunst, um verantwortungslos Polemik zu betreiben, so sieht es nämlich aus, so wie Herr Sarrazin seine Möglichkeiten nutzte, um rassistisch motivierte Behauptungen unters Volk zu bringen. Der Text des Grass jedenfalls hat mit tiefsinniger Kunst, die sich eines politischen Themas annimmt (so wie dies selbst von den politischen Wirren Betroffene wie Manés Sperber, Seghers und Andersch taten) nichts zu tun. Wie schon gesagt, Herr Grass hat alle Möglichkeiten, einen differenzierten, klaren Text zu veröffentlichen, doch ihm geht es womöglich nur um den Skandal, will er doch keinesfalls vergessen werden, der eitle Pfau.

  3. Grass ging es darum, sich durch Etikettenschwindel unangreifbar zu machen, hätte er seine Thesen einfach so in die Welt rausposaunt, hätte man jede einzelne nach Kenntnisstand überprüfen können, soll man aber nicht, man soll den großen Schriftsteller als Augur, als Seher anerkennen.Ich sag nur, die Blechtrommel, ein großartiges Buch, aber seherische Fähigkeiten besitzen 9,9 Schriftsteller von zehn nicht, auch wenn es 9,9 von zehn am liebsten so hätten.

  4. grass das gedicht ist nicht der rede wert. aber warum reagiert man sich an der person grass ab? was wäre denn “vielschichtiges” über seine ss-mitgliedschaft zu sagen und wen interessiert das ernsthaft? und warum denkt man nicht doch mal über sinn oder unsinn deutscher u-boot lieferungen an Israel nach?

  5. grass Wieder einmal das weise Wort von des Kaisers neuen Kleidern.
    Vielleicht merken doch jetzt einige mehr, daß hinter dem Glorienschein des Nobelpreises – gar nichts steht. Er war und ist ein aufgeblasener eitler Mann, der selbst der überzeugung ist, er sei weiser als andere und müßte diesen die Welt erklären.

    Vielleicht entlarvt sich hier wieder einer mehr: wie Guttenberg oder Wulff.

    1. Was er macht, ist durchaus legitim, er weiß, wenn er was sagt, wird hingehört, und er hielt es für nötig im Falle Israels etwas zu sagen. Andere hätten es für nötig gefunden über Oligarchien zu reden oder übers Artensterben, halt, nein, Schriftsteller reden selten übers Artensterben, sie sind zu gerne Mensch, als dass sie dem Mitgewese hier auf Erden noch ihre Stimme liehen, das machten eher mal Philosophen wie Derrida. (Sie selber beanspruchen aber selbstverständlich Artenschutz für sich.)

  6. Selbst, wenn Grass recht hätte. Rechtfertigte das keinen solchen schlechten Text. Dabei stört mich Grassens wie auch immer zu bewertende Priester-Haltung sehr viel weniger als die hinter dem Text stehende, qua Bedeutung hingeschluderte Ästhetik.

    (Auch ich bin kein Freund der Lieferung von Atomwaffen, wie von Waffen überhaupt. Dennoch scheint mir, ganz wie dem Profi, eine Lieferung an Israel sehr viel weniger bedenklich zu sein als eine an Ahmadinedschad, der mehr als nur einmal angekündigt hat, Israel vom Erdboden verschwinden zu lassen. Das, wie immer man zur Politik Israels stehe, ist doch wenigstens mitzubedenken.
    Daß Grass auf ein Tabu zu sprechen kommt, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, was seit Jahrzehnten und auch nicht grundlos existiert, ist ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mehr als bizarr.)

  7. Wenn der Papst furzt, riechts auch nicht nach Weihrauch, weiß der Volksmund, und nicht jeder Wind ist ein Gedicht, weil ein Dichter ihn fahren lässt.

    1. Dichter zu sein ist etwas spezielles, gewiss. Aber man kann auch ein dummer Dichter sein, wie es etwas Henry Miller war.
      Wenn es wirklich dumme Dichter gibt, dann muß man sich in Acht nehmen!

  8. Aus ungehörter Verzweiflung heraus werden oft Meinungen verdichtet, die eigentlich qualitativ maximal unter die Leserbriefe gehören. M.E. hat Grass nicht unrecht, aber in dieser Form wird die eigentlich dringende Notwendigkeit zur Diskussion entstellt -das hätte er wissen müssen. Darin liegt der Vorwurf.

    1. @diadorim Die Partei, die Partei,
      Die hat immer recht!

      Die Poesie, die Poesie
      Die Poesie hat immer recht!

      (Zusammengestellt von Peter Hacks)

    2. Woher wissen Sie denn dass dieser Mensch Hart vier bekommt? Wie billig ist dass denn? Auch Schriftsteller sein entbindet nicht vom Geist.
      Mal abgesehen davon dass sich ein ordentlicher Schriftsteller richtig ausdrücken sollte, es heißt Arbeitslosengeld 2…Nicht so viel Bildzeitung lesen.

    3. Etiketten für die Ewigkeit Der Name Hartzkind bedeutet doch nicht, dass ich immer noch Sozialleistungen beziehe. An meiner Schreibweise dürften Sie bemerken, dass ich kein Kind mehr bin. Hauptsache Etiketten aufkleben, ob’s passt, interessiert kein Ferkel.

      Kleiner Tipp noch, lassen Sie mal Ihre Autorenseite bei den Kulturmaschinen von einem Rechtschreibkundigen ansehen, da ist von “seiner Anderswelt-Trologie” die Rede. Trollogie ist gut, freudsch oder legasthenisch?

    4. @Ufal. Der offensichtlich dumme oder böswillige Mensch nennt sich nach Hartz4. Was soll ich also denken? Allora. Im übrigen schrieb ich kein Wort von Arbeitslosengeld. Was soll im übrigen ein Arbeitslosengeld 1 sein? Wer die Sprache der Gegner übernimmt, gehört bald selbst zu ihnen.
      Ich habe zwar lange Zeiten meines Lebens unterhalb des Existenzminimums gelebt, aber sowas wie Arbeitlosengeld nie empfangen. Können Sie in Der Dschungel nachlesen. Woher soll ich also wissen, wie das Arbeitslosengeld unterdessen heißt. Ich habe mein Taglang immer viel Arbeit gehabt, vierzehn bis sechzehn Stunden sind normal. Glauben Sie im Ernst, da laß ich mir Arbeitslosengeld zahlen? Ist eine reine Frage des Stolzes. Die Gerichtsvollzieher dürfen hier gerne aus- und eingehen.
      Heißt es nicht übrigens Hartz 4? Oder sind Sie sehr sparsam und horten sogar Buchstaben?

    5. Oh ja, die mangelnden Korrekturen. Das ist da leider ein leidiges Thema, auf das ich wenig Einfluß habe. Der Berlin Verlag, übrigens, bekam es seinerzeit hin, auf dem Umschlag meinen Namen anders zu schreiben als auf der Titelseite. Es ist außerdem, und nicht einmal selten, daß Korrekturen, die man vorgenommen hat, nicht übertragen werden.

      Na, irgend einen Grund müssen Sie ja haben, daß Sie sich Hartzkind nennen. Da Sie kein Kind mehr sind, jedenfalls jetzt vorgeben, keins mehr zu sein, kann ich nicht einmal annehmen, sie hätten Hartz4-Empfänger-Eltern.
      Ist aber doch auch wurscht. Mich interessierte nur, was ausgerechnet ich mit der Kanzlerin zu tun habe – vorausgesetzt, Sie meinen Frau Merkel. Womit Sie Ihren Unterhalt bestreiten, interessierte mich nur dann, wenn Sie eine Leidenschaft haben sollten, der Sie folgen. Mein Eindruck aber ist, daß, wenn man das so nennen kann, Ihre Leidenschaft im Herumnörgeln auf fremder Menschen Sites besteht.

    6. Manche Leute bekennen sich eben zu ihrem Herkommen und ja, meine Mutter hat viele Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und war dann nach einem Jahr Arbeitslosigkeit auf “Hartz 4”. Das Almosen zu nehmen, hat nichts mit Stolz zu tun, eher mit dem verzweifelten Versuch, so etwas wie Normalität herzustellen.

      Ach ja, und die Kanzlerin hat kürzlich die Sicherheit Israels zur “deutschen Staatsräson” erklärt …

    7. Kanzlerin. Und wo, bitte, hätte ich das getan? Meine Äußerung ist ja wohl deutlich genug: wie immer man zur Politik Israels stehe, heißt es oben. Daß ich sie durchaus kritisch sehe, habe ich sowohl hier in Der Dschungel als auch in meinem Jerusalem-Hörstück zum Ausdruck gebracht, sowie, daß ich sehr wohl zwischen mosaisch Gläubigen und Israelis trenne; sie können identisch sein, müssen es aber nicht – im übrigen auch deshalb, weil es islamische Israelis gibt, und zwar nicht wenige. Ist aber auch, oder sollte es sein, allgemein bekannt.
      Meine Grass-Kritik bezog sich vor allem darauf, daß er einen auch als Prosa schlechten Text als Gedicht vermarkten läßt. Alles andere hat mich anfangs gar nicht interessiert. Daß sich allerdings Ahmadinedschad heftig mit Auslöschungs-Drohungen bemerkbar gemacht hat, wollen sicher wohl auch Sie nicht bestreiten. Auslöschung heißt Holocaust; insofern stehen wir Deutschen hier schon in einer Verantwortung. Geschichte verpflichtet.

      Sie haben einen seltsam kurzen Begriff von Herkunft. Vier Jahre Hartz4 reichen für Herkunft wirklich nicht aus; das reichte nicht einmal dann, wären es zehn Jahre gewesen. “Woher ich komme” – das bedeutet Herkunft. Sie reicht oft weiter zurück als das eigene Leben.

    8. Mag sein, aber diese vier Jahre verzeihe ich den “Gerds” und “Joschkas” nicht. Da nützen mir auch keine bemoosten Germanen oder braune Schreibtischtäter. Sozialraub und Angriffskriege müssen aufhören!

    9. @Hartzkind zu den “bemoosten” Germanen. Was meinen Sie mit denen?

      Was Schröder angeht, sind wir wahrscheinlich einig. Dem ist sehr viel mehr nicht zu verzeihen. Für Grass indessen, auf dessen Seite Sie sich >>>> damit offenbar schlagen wollten, gilt politisch: >>>> die Partei hat immer recht. Er hat auch literarbetrieblich gern ihre Wahlhelfer… protegiert ist, angesichts der Betriebsstrukturen, ein Euphemismus; etwa >>>> Michael Kumpfmüller. Wie Sie lesen können, macht das auch vor Döblin nicht halt. – Seien Sie einfach etwas vorsichtig damit, wem Sie zu schnell beispringen und wen Sie zu schnell attackieren, weil Sie auf den Augenschein vertrauen.
      Seine genossige Strippenzieherei macht aber keinen schlechten Dichter aus Grass, nicht nur Blechtrommel und Butt sind große Bücher. Doch dieses diskutierte “Gedicht” ist dürftiges, geschludertes Zeug (auch Goethe, aber, hat sowas sich durchgehen lassen und dennoch manche Texte geschrieben, vor denen ich auf die Knie gehen möchte – lesen Sie mal die >>>> Harzreise im Winter).

      Joschka Fischer und die Grünen stehen auf einem durchaus anderen Blatt. Wer in die Machtpolitik geht, bleibt nicht ohne Flecken. Nie. Man muß dann Tote zählen.

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