Bericht von einer Preisverleihung nach einer beinah langen Nacht. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 7. Juni 2012. Vor der Ursendung der Vorhänge der Wirklichkeit.

10.44 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Lange, sehr lange ging es gestern noch; fröstelnd vor allem die Frauen, so standen wir auf der weiten Terrasse des Hauses der Kulturen der Welt, nicht locker verstreut, sondern der Schafskälte wegen gedrängt, was Rang auch ohne Namen hatte bei diesen, den Namen, und sprachen. Die Veranstaltung war lange gegangen, akustisch eingerahmt von einem Hörstück, das gar niemand hörte, wenn man darunter versteht, daß auch zugehört wird; vielmehr schwebten Fetzchen von Gesprächen durch den Raum, die den Eindruck machten, was folgen werde – Laudationes, Dank, Gespräch -, sei längst vorwegproduziert. Das hatte etwas imaginär Avatares, nicht ohne eine vorproduzierte Konservigkeit, so, wie in sogenannten Spaßshows die Lacher eingespielt werden; hier war es aber die Show selbst.
Wie auch immer, Frau Löffler machte ihre Sache besser als im letzten Jahr – das den Komparativ einen falschen sein läßt – die unerträgliche Fernsehtussi, um die sich alle hinterher bückten, ob sie vielleicht ein Speichelspritzchen erlugten, um’s sich zu er lecken -. Nein, dies hier, gestern, war seriös, auch wenn die hochbekannte Frau ihre Gäste bisweilen sitzen, bzw. etwas hilflos stehen ließ, war ein Programmpunkt abgehakt und zum nächsten, holterdiTOP, weiterzuschreiten. Sehr schön, sehr menschlich aber – mit Gerhardt Cseijka einer der beiden mitgepriesenen Übersetzer – Ferdinand Leopold, der auf der Bühne auf eine Weise stand, als wär ihm alles peinlich; wie gerne wäre er sofort wieder herunter und an das gegangen, worauf‘s ihm einzig ankam: seine Arbeit. Dazu gehört kein lässig lächelnd Reüssieren; nichts war ihm fremder als der Smalltalk. Wiederum das Gespräch, das Frau Löffler mit Ilma Rakusa und Egon Ammann, zweien der Juroren, führte, ist sowas nicht gewesen, sondern sie stellte, gezielt je einer/m von beiden, eine Frage und die und der parlierte. Direkt vor mir saß ein schon Urgestein von Suhrkamp und schüttelte über >>>> Die Töchter Allahs dauerrnd den Kopf, nicht dieses Buches wegen, nein, wegen der Zusammenfassung, die es von oben erfuhr. Er wußte deutlich nicht, ob er auflachen oder zornig werden sollte; das schnitt gleich fünffach Falten in seine Gesichtskanten ein, wie da, sogar dem Textfremden spürbar, verharmlost wurde. Wiederum Nádas, wie der grad von dem einen Preis in den irgend zuhandenen nächsten stürzt: daß Frau Rakusa eben das an ihm lobt, was andren Dichtern aber auch sofort Verhängnis würde: „Das ist großartig, wie er Geschichten erzählt, die hinterher nicht aufgelöst werden. Meisterhaft“, ich zitiere aus dem Gedächtnis, „wie viele Erzählenden bis ganz zum Schluß noch offen bleiben und auch da nicht vernäht werden.“ Ich habe das Buch noch nicht gelesen und zweifle nicht an seiner Qualität, doch geht dem achtsamen Erzähler, wenn er Romancier ist, bei solchen Befunden das Messer nicht nur in der Hose auf. Egal. Wir suchen uns unsre Juroren nicht aus. Das ist indes nicht ohne Jammer.
Danach, die Veranstaltung war lang – was mir an ihr prinzipiell gefällt, ist, daß nicht nur die Übersetzer, oft Nachdichter, mitgeehrt sind, sondern auch, daß die letzten Bücher des Rennens noch einmal eigens vorgestellt und, sozusagen, verteidigt werden; es wird so klar, daß eines letzten Endes Zünglein auf einer Waage ausschlägt, die eng verwandt dem Schicksal ist, weil es der Zufall hält, sei‘s der Zusammensetzung halber der Jury, sei‘s wegen ihres bewußten oder unbewußten Kalküls, sei es aufgrund derr Tagesverfassung – danach, so begann ich den Satz, die Terrasse. Bei mir die schöne Frau v. Samarkand, dazu die schönste Vermittlerin, die sich ein Autor wünschen kann, mit ihrem ebenfalls schönen Mann, die beide, vor allem, auch klug sind. Das lohnt dann schon. Selbstverständlich wurde >>>> Schöffling ebenso Gespräch wie die Irrationalismen, die sich wütend gegen das Netz treten und doch schon längst verloren haben, wenn auch nicht die, die davon profitieren. Sie halten die Stellung, kann man sagen, verbissen, bis sie in Rente gehen, worauf sie hoffen mögen, wahrscheinlich auch zurecht: sie sind halt alle schon älter. Ich zwar auch, mir war indes die Gelegenheit nicht, mich zu setzen. – Es wird mithin der Status quo noch ein paar Jahre halten können, ohne daß man einbricht. Wenn die Stollen, die sich darunter schon seit langem graben, den unaufhaltsamen Einsturz bewirken, dann ist man längst hinaus. So das Kalkül. Nehme ich an.
Es gräbt sich nicht nur drunter; vielmehr, es gräbt sich um.
Spannend ist es immer, wer einen grüßt: den, der da mitgräbt. Die Romantiker etwa, durch die Bank, sind Schürfer gewesen, Mineralogen. Die Klassik, als sie‘s geworden, hat das nicht erfreut. So muß man sich nicht wundern. Schön trug Nina Petri vor, aber ein bißchen unvorbereitet: wär ich ihr Regisseur gewesen, ich hätte diese sehr gute Stimme noch einmal heimgeschickt, um zu üben. Neues war auch über >>>> Aléa Torik zu hören, wovon ich nichts verraten darf, noch will. Wenn der Coup gelingt, würd mich das begeistern.
Ich wünsche Mircea Catarescu sehr sehr viele deutschsprachige Leser. Den „Proust des Plattenbaus“ hat ihn, ich finde: wenig hilfreich, der Tagesspiegel >>>> dort genannt. Solch Frohsinn ist im Feuilleton. Vielleicht hat der große Delf Schmidt auch deshalb, aber nicht seinetwegen, ziemlich da draußen gefroren, bis >>>> Esterházy, der sein Autor ist wie Nádas und in den Anfängen des Abends die Festbegrüßung gesprochen hatte, so wärmend zu uns herauskam, wie die Geschichte war, die er von seinem Jungen erzählte.
Ob ich nach Portgual wolle, fragte mich C., „um ungestört zu arbeiten“. Das Haus sei direkt an dem Meer.

Bitte vergessen Sie nicht, daß >>>> heute abend das Hörstück läuft. Seit sieben bin ich auf, von halb acht an saß ich an Argo. Nun ist es für mein Cello Zeit.

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