Innitaliens, umbrisch zu Anfang, Reise-, Arbeits- und Lotterjournal (1). Mercoledì, 27 giugno 2012. Mit Stefan Schützens Beelzebub (1) und einem Berliner Veranstaltungshinweis.

10.05 Uhr:
[Casa di Schulze, Sotto la Cattedrale.]

: Dies der Morgenblick; ich bin selbstverständlich der erste, der auf ist. Der Wagen war umzustellen, den wir nachts auf der kleinen Piazza parkten, wo tags bezahlt werden muß. Also schon früh, drei Stunden des Schlafes auf der Couch, den Kindern ist das große Bett überlassen, hinaus; nur in der Casa Schulze war noch Ruhe, die Amelianer hämmerten schon, an der Bar (sizilianisch Barre) wurde herumgemurmelt, während die Crema auf der Zunge süß im Mundraum explodiert, das mag sich keiner stören lassen, sondern will’s als allmorgendlichen, durchaus nicht sittlichen Kuß genießen – hm, was ‘n das fürn Autoschlüssel? rumprokeln, ganz wach bin ich noch nicht – ah, kapiere: s o geht das – Brummbrumm – nur aufpassen, Herbst, daßde nich anne nächste Wand schrammst. Die Gassen lassen juchhu-ein-Reim das Autochen grade so durch. Ecke, noch ‘ne Ecke, schon die nächste… guck an, da kannste dich reinquetschen. Bloß gut, daß so früh morgens noch kein Pustepoliziotto unterwegs ist; der hätt sonst sein Vergnügen gehabt.
Denn wir sprachen dem Weine wohl zu, als wir nach knapp anderthalbstündiger Fahrt von Fiumicino aus, wo H. bereits wartete, als wir drei schwerbepackt und -schwitzend dem Aeroporto entkamen – ich war darauf gefaßt, vorher noch verhaftet zu werden, nicht meinet- aber -wegen, sondern der jungen Dame halber, die für die Reise sich als Vigilantin hatte gekleidet:

– zumal die beiden, erleichternderweise aber auf Deutsch, permanent von irgendwelchen Bomben sprachen, die sie gelegt – – deshalb „entkamen“, das verstehen Sie jetzt – – als wir, schrieb ich, schon schwitzend in die Freiheit traten. Wir mußten unter die Colavita, von wo, auch er indessen darunter, uns H. schon winkte. Berlin hatte uns kühl entlassen, hier war allein die Luftfeuchtigkeit, das Meer ist nahe, ReimReimReimReim s e h r, die Schwester einer Sauna; bei halb nach Mitternacht vierundzwanzig Celsiusgraden. Hinreißend, mein Kopf begann zu jetzt mal ein falscher Reimeimeim jagen. Als wir ankamen, also, nach der nicht kurzen Fahrt. „Aber einen Wein nehmen wir noch“, indes das Jugendpärchen ganz freiwillig die kriminellen Segel und in das gute Bett strich.
Der eine Wein meinte etwas mehr als anderthalb Flaschen, was dann bis vier Uhr früh ging. H. langte die Erstausgabe (!) des Giacomo Joyce herüber, die auf dem Tisch lag, weil ich ja die Idee habe, den Text ganz neu zu übersetzen – mit aller Achtung vor Klaus Reicherts Leistung; dennoch und aber, es fehlt diesen Notizen einfach ein bißchen deutsches Testosteron, schon weil der Text – Lehrer verliebt sich in Schülerin – überhaupt nicht politisch korrekt ist. So auch gehört sich das für Dichtung, für eine jede, wohlgemerkt, dann aber muß das auch zu spüren sein, wie es kocht in den Hoden, was in die Sprache eben nicht nicht sublimiert, sondern in ihr ausgetragen wird, und also kocht auch sie. – Aber wir arbeiteten noch nicht, die Erstausgabe (die englische, sehr wohl) legte sich zurück auf den Tisch und das Gespräch dem Ungaretti um den Nacken, bis es dem Quasimodo, den ich liebe, aufsprang. Nicht einen Bruchteil werden wir schaffen von dem, was uns in den Köpfen und dem gemeinsamen Herzen, das der Sprachen ist, so umgeht.
Hätt ich nicht gegen, wie schon erzählt, vier Uhr gesagt: „Sò, eine Zigarette noch, dann ist für heute Schluß“, dann säßen wir immer noch hier, es wäre bei den anderthalb Flaschen Weines nicht geblieben, und ich hätte den Wagen allenfalls wankend umparken können – so daß die Vigili doch noch aufmerksam geworden wären, und ich gewesen um mein patente beraubt –

War sehr wach dann um sieben. Den ersten Latte macchiato bereitet, den Stefan Schütz geschnappt, der schon auf dem Fünfzigerjahre-Coctailsessel, ja, dem am großen Kamin, bereitlag und meinen Morgenplatz eingenommen, der in der Casa Schulze meine Tradition ist:

Die erste Morgenpfeife noch, so las ich mich fest; was im Flugzeug gestern nacht vor meinen Augen verschwommen war, wurde sehr deutlich konturierte, moderne Gestalt: es ließe sich von postmodernem DDR-Barock sprechen, mächtig, witzig, bisweilen vielleicht um eine Spur überzogen, etwa in der Namensgebung der Protagonisten (Hans von Wurst, usw.), da wär das Stiftchen eines Lektors, meine ich, schon nicht von Übel gewesen… sowas verliert sich aber schnell, man nimmt die Namen irgendwann „normal“; und dann wird das, soweit ich bisher las, ein wirklich großer Text. Den ich jetzt weiterlesen werde, bevor ich mir ein Tischchen in den Cortile stelle und einen Stuhl davor, um meine täglich eine Seite Argo zu bearbeiten. Danach will ich, oder später in dem Tageslauf, der jetzt schon sonnenprall heiß ist, ein bißchen Schütz zitieren, auf der Hauptsite dann. Daß solch ein praller Text im Eigenverlag erscheinen muß, ist für die deutsche Verlagsszene, und zwar insgesamt und nicht nur imgrunde, ein Zeugnis elendster Armut.

P.S.: Ich kann, leider, keinen Link finden, über den Schützens Beelzebub sich bestellen ließe; das ist dumm. Doch für die Berliner sei empfohlen, ihm heute abend zuzuhören. Um 20 Uhr wird er, tatsächlich heute, seinen Roman >>>> im Brechthaus vorstellen, mit Hermann Beyer, der draus liest. Es lohnt sich hinzugehen. Ich selbst tät es gewiß, doch bin ich nunmal hier.

12.20 Uhr:
Argo: Mein Arbeitsplatz steht:

(Nur eben schnell noch um die Ecke, um die Zigaretten zu kaufen, die ich in Italien seit meinem ersten Leben hier, 1986, so gerne rauche: nazionale senza filtro, „Esportazione“, grün die weiche Packung mit einem Schiff unter Segeln darauf. Man bekommt sie nicht mehr überall, ja nur noch selten; doch gleich hinter der Casa Schulze, ausgerechnet, gibt es sie beim Tabaccaio.)

15.50 Uhr:
[Noch eine Stunde, bis die Siesta vorüber.]
Hab mir den alten Liegestuhl, den ich >>>> im letzten Jahr geschrottet habe (um 15.29 Uhr hinter dem Link), vermittels eines kleinen Findlings wieder nutzbar gemacht und einiges in der Sonne geschmort, teils dösend, teils den Schützen weiterlesend; jetzt mußte ich freilich zurück in den Schatten, damit sich die Haut erst mal wieder gewöhnt. Suhrkamp mailte, daß es noch keinen Link zur Bestellung dieses Buches gebe; deshalb zitiere ich nur kurz und hier, nicht schon auf der Hauptsite; das dann erst, wenn solch ein Link existiert. Für die finster Entschloßnen unter Ihnen gibt‘s aber immerhin die ISBN. Legen Sie die dem Buchhändler vor, dann muß er bestellen können. Kann er‘s nicht, dann wechseln Sie die Buchhandlung, und zwar für immer. – Nun also das Zitat:

der Verstand steckt griffbereit wie ein Messer in der Scheide des Gefühls

Stefan Schütz, Beelzebub, 67.
ISBN 978-3-00-034243-1

20.30 Uhr_

6 thoughts on “Innitaliens, umbrisch zu Anfang, Reise-, Arbeits- und Lotterjournal (1). Mercoledì, 27 giugno 2012. Mit Stefan Schützens Beelzebub (1) und einem Berliner Veranstaltungshinweis.

  1. Sie Mistkerl. Wollen uns alle neidisch machen. Aber ich trumpfe da bald mit meinem Pariser Arbeitsplatz gegen an.

    Frohes Schaffen, und grüßen Sie die Eidechsen!

  2. mag amère klingen (nicht am meer), doch sind’s amerini, und vielleicht sind’s auch nur die amereigner, denen ammaliare einfällt, wenn sie in amelia sind.

    1. @tut nichts zur Sache. Klar. Nicht jeder Text eines guten Autors ist gut. Was stört Sie dran, daß ich jetzt den neuen Roman hervorragend finde? Sie präferieren das Mitläufertum – einem sogar mit sich selbst? Sie haben eine seltsam unrealistische Vorstellung vom Individuum.

      Kurz: Was ich >>>> d a monierte, war verknorkst. In dem jetzigen Buch habe ich sowas bisher nicht gefunden. Und sollte ich es jetzt noch finden, wäe es gegen die übrigen Qualitäten zweitrangig.

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