Lektorate/Überarbeitungen: Argo und der Essayband. Dazu Vorbemerkungen über ein Stück von Johannes Brahms anäßlich eines Antrittskonzerts. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, dem 18. August 2012.

9.35 Uhr:
[Arbeitswohnung.]


Konzerthaus Berlin, Freiteppe mit Sohn,
nämlich:
Pause nach der Sommerpause.
Keine Zeit gestern fürs Arbeitsjournal gehabt, nachdem es vorgestern abend ein wenig spät geworden ist und ich mich dann am nächsten Morgen ein bißchen sputen mußte, vor allem, weil mich die Lektorin gebeten hatte, für die Arbeit zu ihr zu kommen, statt daß sie, wie vereinbart war, zu mir kam – so daß ich dann mit dem Rad durch halb Berlin in und wieder zurück mußte. Knapp, denn das Abendkonzert ging bereits um 19 Uhr los, und ich mußte erst meinen Jungen von der Arbeitswohnung abholen. Immer hin haben wir, Evans-v.Krbek und ich, ein 300-Seiten-Buch komplett durchlektoriert. An nur wenigen Stellen gab es Differenzen; sie mag manche meiner Manierismen nicht, an anderen Stellen schläft, erfahrungshalber, unser fast dreißig Jahre betragende Altersunterschied durch, der, auch, mit unterschiedlichen Lektüreprägungen einhergeht und auch bestimmte Wörter je anders wahrnimmt. Das hat freilich den Vorteil, daß sich bemerken läßt, inwieweit solche Texte für neusozialisierte Folgegenerationen noch relevant sind, bzw. besonderer Erklärungen, Zusätze usw. bedürfen.
Nun habe ich also zweifach Korrekturen in jeweils die neue Hauptfassung zu übertragen, des Argo-Klotzes und des Essaybands, der vordränglich ist, weil er bereits zur Buchmesse Frankfurt, im Oktober also, vorliegen soll. Immerhin kann man bei sowas Musik hören, was während der eigentlichen Überarbeitungsphasen meist ausgeschlossen ist.

Zuerst aber ist heute die Kritik >>>> zu gestern abend zu schreiben. Ich bin, besonders für den Brahms, mit mir noch etwas uneins. Es schwingt da etwas, im Klang wie in der Melodik, Unmodernes, behäbig Abgestandenes mit, das mir nicht angenehm ist, und ich weiß noch nicht, ob das an der gestrigen Interpretation oder am Stück selbst liegt. Ich werde mir heute vormittag Vergleiche anhören. Noch scheint mir Brahms‘ Stück etwas deutlich Historisches zu haben, viel stärker als besonders, sofern er „streng“ ist, der Barock; ich spüre die beiden Weltkriege zwischen der Musik und mir, spüre ein überkommenes, durchaus abgestandenes Menschenbild. Andererseits ist dieser Eindruck vor allem stark im Konzertsaal, viel weniger beim Hören über die Anlage. Doch so etwas, ich will es „allzu Gemütliches“ nennen, bleibt bei diesem Konzert im Ohr kleben. Ich frage mich, weshalb ein junger Mensch sich da hineinwerfen soll. Was hat er damit noch zu tun? Das, in der Tat, ist bei Bach etwa völlig anders, anders bei Händel und anderen Barockmeistern, anders aber auch bei Beethoven, besonders in seiner späten Kammermusik, anders bei Wagner, anders selbst bei Puccini. Zunehmend stört mich allerdings auch die Abendgarderobe der Musiker; es wäre mir angenehmer, herrschte für ihre Kleidung ein ungeschnörkeltes Schwarz vor, das den Menschen hinter die Musik tut, ohne daß sich der doch überdies etwas lächerliche Unfug von Frack & Fliege konfirmandig oder gesetzt-eitel vorspreizt. Tatsächlich betrifft das aber nur die Männer. Seltsam. Überhaupt denke ich über den auffälligen Unterschied einer sozusagen „rein“ als Klang wahrgenommenen Musikaufführung, vermittels bester Musikanlage freilich, und einer solchen nach, die sich mehr oder minder ritualhaft im Konzertsaal zelebriert, in dem sich, als Publikum, die Bürgerlichkeiten spreizen. Überdies sprach gestern noch der unsägliche Wowereit die Begrüßung des neuen Musikchefs, der nun >>>> Zagroseks Nachfolger geworden ist. Der frenetische Beifall, mit dem der Mann begrüßt und nach jedem Stück gefeiert wurde, hatte etwas, fand ich, peinlich Unangemessenes, war jedenfalls nicht ohne Aggression gegenüber seinem Vorgänger. Das verstimmte mich, warf von Anfang an einen Schatten, der nach kuhiger Stallwärme roch, über den Abend. Dennoch , Leser:innen, die Musiksaison hat wieder begonnen. Ich darf sie, und will sie, auf keinen Fall aus den Augen verlieren.

Jetzt erst mal an die Kritik. Sonst erzähle ich hier bereits zuviel und nehm den Druck aus meinem Text.

Und nachmittags geht es aufs Sommerfest der neuen Schule meines Jungen.

15.25 Uhr:
So, >>>> die Kritik steht drin. Jetzt aber los zum Schulsommerfest!

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