Weinschläuche nicht, sondern wirkliche Geister. Das Arbeits- und Argojournal des Freitags, dem 26. Oktober 2012. Darinnen auch Vom Lichtlein.

5.34 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Krach gab‘s, liebes Tagebuch – einen, den ich überhaupt nicht brauchen kann zur Zeit dieser intensiven vorletzten Argo-Arbeiten, für die ich einen ganzen Berg schieben und mich zugleich in ihn hineinbohren muß, wie ich seine gesamte Oberfläche bearbeite und, hoffe ich, schön mache mit nicht sehr viel Zeit, aber meiner Verpflichtung zu äußerster mir möglichen Genauigkeit – und nicht nur einer m i r, sondern überhaupt d e r Genauigkeit, die sich für irgend ein Werk objektiv erreichen läßt – und noch, möglichst darüber hinaus -, die es mir, wiewohl ich abermals nicht zu spät im Bett lag, einer angemessenen Traumschwere halber unmöglich machte, pünktlich um halb fünf aufzustehen, weil ich mich zugleich in eben Argo verfing, seinen fließenden, springenden Zeitstrukturen – so, wie ich vorgestern früh, was ich der Argo-Kontinuität wegen nicht aufschrieb, am Schreibtisch saß und träumte, ich läge noch im Bett, in dem ich aber träumte, daß ich am Schreibtisch säße, und gar nicht entscheiden konnte, was nun wahr, was wirklich war, bis ich mich, sozusagen das Schwert hebend, mit dem ich den Knoten dann zerschlug, entschied und es, instinkthalber, für das Richtige tat – und tatsächlich aufstand, wenn auch zu spät -, so träumte mir heute von zwei verschiedenen Zeiten, in denen ich mich befände, aber beide Male lag ich noch im Bett; da mußte ich mich nur entscheiden, ob es halb fünf schon durch oder überhaupt erst halb vier war, und wieder war eine Entscheidung zu fällen, rein aus Instinkt oder aus, kann man sagen, Mutwille, dem unbedingten Willen zur Selbstermächtigung, – jedenfalls macht mich das, weil vier Bücher daran kaputtgehen könnten, vielleicht kaputt auch schon sind, einfach nur kirre und diesen eigentlich als pures Argo-Journal vorgehabten Text dann doch zu einem Arbeits-Journal, weil psychische Belastungen, die solche eine Angst bedeuten, Arbeit eben sind –
und nicht mal Musik darf ich hören, was mich doch immer klärt und ruhigstimmt, weil sie mich aus dem kontinuierlichen Klangfluß Argos, das in meinem Inneren vorherrscht, herausnehmen, mich zwar wirklich beruhigen, aber diese Überarbeitungs- und Sichtungsphase aus dem Gleis meiner inneren Melodie nehmen könnte , gegen die und über die wieder mal solche Brecher schlagen.
Vorausgegangen war nachmittags das Telefonat mit einem Dichterkollegen, den ich verehre und der ebenfalls Bücher für tot zu erklären dabei ist und den Impuls hat, sie zu verlassen, damit er wieder inneren Raum für das nächste bekommt, damit nicht auch dieses, das schon weit begonnen, unter allem leidet, der von daher in einer der meinen nicht unähnlichen Situation steckt, aber anders reagiert als ich, mentalitätshalber, und den Schmerz nach innen nimmt, ihn zudecken möchte, vergessen möchte, während ich den meinen noch aufreiße, im Wortsinn: entäußere, damit aus der Wunde Kraft kommt, wie im asiatischen Kampfsport: je größer die Kraft des Gegners, um so höher die eigene Energie, die den Angreifer dann auf den Boden wirft, auch wenn man selbst nur schmal und ein Männchen – aber die Geschicklichkeit läßt es in solchem Zweikampf siegen,
die nun mir, andererseits, nicht sonderlich eigen; geschickt, weiß Göttin, war ich nie, weder diplomatisch noch zu vermeintlichem Einlenken bereit; Vermeintlichkeiten haben mich immer gestört und stören mich n o c h, vielleicht, weil ich befürchte, die Vermeintlichkeit würde zur Haut oder sickerte durch sie in das Werk hinein, um das, wie sich >>>> am Stand der Thetis-Gespräche gut ablesen läßt, immer noch gekämpft werden, für das geworben werden und das wieder und wieder erklärt werden muß, soweit das überhaupt geht; zumindest aber muß es da sein und nicht, wie ich in meinen Jahren es mehrfach erlebte, da zu sein nur zu s c h e i n e n. Es gibt nur sehr wenige Menschen, die sich, außer mir selbst, für meine Literatur einsetzen, den meisten ist sie egal, viele aber wollen sie mit Absicht und Zweck nicht und blocken sie weg. Da kann ich mir tote Bücher nicht leisten, schon gar nicht Schein-Bücher. Und werde es aber wohl müssen, es knirschend hinnehmen müssen und versuchen, ihnen eine Arche zu bauen, in der sie zumindest überleben können für eine spätere Zeit, auch wenn ich selbst die nicht mehr erleben werde. Was ebenfalls ein bißchen wehtut, aber halt nur ein bißchen; ich stünd da in keiner, die Vorstreiter betrachtend, schlechten Tradition.
Jedenfalls gab es Krach. Das war vorzusehen gewesen. Ich hätte einfach nicht hinfahren sollen. Abgesehen von dem, sah ich erneute Erbärmlichlichkeit vor mir: drei Zuhörer, die man so auch nennen kann; die schreiend wenigen andren waren Freunde, Vertraute. Ich sagte gleich, da lese ich nicht, das ist sinnlos, da setzen wir uns alle besser an einen Tisch, und jeder erzählt oder liest seine Döntjes. Das muß am Regen liegen, hieß es. Wenn Madonna auftritt, ist aber ein Regen egal. Wo ich hinwill, gehe ich hin, und wenn es draußen orkant.
Dabei ist mir das Problem der anderen Seite klar, ich kann es auch nachfühlen, verstehe den dort verzweifelt ringenden Kampf; Absicht, gar böser Wille ist nirgends im Spiel. Nur eine Dynamik, die sich festfrißt, weil sie zu Überlastungen führte, denn die Objektivität ist zu total, schließt aus, läßt an die Wand fahren. Dann reicht ein falscher, ein einziger unpräziser Schritt, ja eine einzige Ungeschichkeit, die eben kein Werk als Grundlage hat oder kein, was so etwas durchstehen ließe, Kapital, das Niederlagen durchfinanzieren könnte, zwischenfinanzieren. Mir ist dies alles wirklich klar. Aber Bücher sind wie Kinder: man läßt sie erst alleine, wenn sie für sich selbst sorgen können.
Ich muß dringend die Fingernägel schneiden, spürte ich gerade, als ich mich kratzte.
Argo.

Sie wartete nicht, bis sich die Tochter besann, sondern ging durch den Gang voraus, nahm nicht einmal das ihr folgende, seltsam zögerliche Klacken der Pumps-Absätze Michaelas wahr, so in Gedanken war sie: in k ü h l e n Gedanken, eine ihr noch eine Stunde zuvor ganz fremde Temperatur. Weshalb sie das Gespräch mit ihrer Tochter, als die, weil in erneuerter Fasson bereits wieder in Widerstandshaltung, an die Bank herantrat, auf der die Mutter saß, folgendermaßen begann: „Was war das für ein Auftritt, Kind?“ Nicht aber nur das war erstaunlich, sondern der Vater, um 22.16 Uhr, Michaela war auf die bestimmte Minute erschienen, leitete mit ganz den­selben Wortes s e i n e Unterredung mit der Tochter ein.
Argo 412.

7.50 Uhr:
Und dann beginnt das Hirn zu rasen. Ich mußte, Argo hin oder her, >>>> das da eben notieren.

Ein schöner Brief von >>>> Heinz Winbeck lag im elektronischen Postfach. Ich wußte, daß ein solcher Musiker meine Hörstücke fühlen können würde. „Über Ihre Hörstücke finde ich Zugang zu Ihren Büchern“, schreibt er, „zu Ihrer Prosa: ich höre sie ganz einfach wie ich Musik höre“, und das jetzt ist so enorm wichtig, „und habe das Empfinden des ‚Verstehens‘.“ – Hübsch, was er davor schreibt: „… kam mir http://C.Fr.v.Weizsäckers Dreisatz in den Sinn: Heidegger >> das ist Philosophie! Ich verstehe kein Wort. Aber d a s i s t Philosophie! – Alban NH u.s.w. >> das ist Literatur! Ich verstehe… etc. etc.!“ – Denn wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her.

Von Heinz Winbeck ist derzeit nur diese von mir verlinkte CD am Markt erhältlich. Das ist schlimm. Zugleich bin aber ich privilegiert, weil er mir Aufnahmen schickt, für die ich quasi der einzige bin, der eine solche Musik hören darf. Abgesehen davon, liegt hierin eine Hoffnung: daß sich Kunstwerke auch dann weitergeben, von Hand zu Hand, Mund zu Mund, Herz zu Herz, wenn das ökonomische Kalkül sie ausschließt und Millionen anderer Menschen weder von ihr wissen noch von ihr wissen wollen. Einzelne, immer, sind es, die wissen. Und dieses Wissen – weitergeben. Von einem Jahrhundert ins nächste.

11.35 Uhr:
Die Arbeit schreitet heute langsam, schwierig, voran. Nicht wegen der Erzählung selbst. Die läuft gut. Sondern weil ich die Störung verarbeiten muß, die unterschwellig weiterwirkt, grummelt, nervös macht. Noch sind auch die objektiven Folgen nicht klar. Die wollen gelöst sein. Zu was ich aber keine Zeit habe. Also denke ich von Argo ständig weg und ständig wieder hin. Immerhin gab das Gelegenheit, auf >>>> Dr. Nos nächstes Thetis-Gespräch eine Antwort zu formulieren, die auch einen kleinen Lese/Verständnishinweis enthält. Es geht dabei eben nicht um irgend eine Form von „würdiger“ Althergebrachtheit, sondern um die Modernität des Mythos, ja sein zunehmend (wieder)erstarkendes modern-Werden. Die Leute machen sich das nur nicht klar, sitzen den – gemachten, meinungsindustriell hergestellten – Profanierungen auf.

21.35 Uhr:
So, bis eben gearbeitet, Argo TS 510. Das hatte ich gewollt, über die 500 kommen. Manches läuft exzellent, anderes braucht noch hier und da mal einen Dämpfer oder im Gegenteil ein bißchen sprachliches Feuer. Sehr weniges muß offenbleiben, bis ich Thetis und Buenos Aires wieder gegenwärtigst habe.
Ich gähne. Ruhe jetzt.

Zwei lange Telefonate unterbrachen die Nachmittagsarbeit, gute Gespräche, auch wichtige, weil sie einem Mut machen oder des Unmutes Gründe foppen. Man fühlt sich besser, wenn man ihnen wenigstens die Zunge zeigt.

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