Noch einmal zu „Amerika“. Im Reise- und Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 8. November 2012.

4.36 Uhr:
[Arbeitswohnung. Debussy, Pelleas & Mélisande.]
Die Musik schon einmal zur Vorbereitung auf >>>> den heutigen Abend, auf den ich gespannt bin; die Premiere ist allerdings schon vor vier Tagen gewesen. Da ich aber ohnedies gern auch Repertoire rezensiere, ist das für eine Kritik schon in Ordnung, und ja sowieso.
Latte macchiato, Morgenpfeife. Nach der gleich unter die Dusche und packen, da ich eigentlich gern noch den frühen Wurm erwischte, Pardon: Zug, aber… – so als Vogel? auch wenn man mich „lose“, fürchte ich, nicht eigentlich nennen kann. Jedenfalls haben die Bürger der USA das Pech, nur immer zwischen zwei Übeln wählen zu können, wir hingegen haben ein paar mehr; ich bin mir sicher, daß auch ich das kleinere gewählt hätte. Das haben „die Amerikaner“ schon richtig gemacht aus meiner Sicht – nicht so aber, eben, alle, insofern deren meiste, nimmt man die Häkchen weg, nicht einmal eines der beiden wählen können; wir eigentlich auch nicht, obwohl wir sprachlich so tun. Was ich meine, ist, daß wir zwar „correct“ sind, wenn es um den sprachlichen Ausdruck von Weibchen und Männchen geht, da interessiert uns auch „Tradition“ nicht, die eine bis tief in die Grammatik reichende Sprachgepflogenheit wohl darstellt, daß wir aber gar nicht empfindlich sind, wenn eine solche Nation gleich für den gesamten Kontinent genommen wird; will sagen, daß wir tatsächlich nach Machtverhältnis entscheiden, einem inneren, in uns, nicht oder nicht überwiegend, denke ich, einem bewußten „draußen“.
So wenigviel noch einmal >>>> dazu. Die fetischisierte Correctheit ist eine Erscheinung der puren Opportunität. Ein von den Priestern des Öffentlichen Meinendürfens gepflegter Fetisch.

Mein Junge kam gestern mit einer Zeichnung heim. „Schau Papa, das habe ich dir mitgebracht“:

Man sieht den Zeichenunterricht, den er gestern probehalber genommen, und vielleicht täusche ich mich ja, aber von Talent wird man wohl sprechen können. Jedenfalls. Stolz auf meinen Zwölfjährigen. Ich werd die Zeichnung rahmen, hab hier aber überhaupt keinen Platz mehr, um sie zu hängen. Also wird sie, wie so vieles, gelehnt werden müssen. Es ist eines der wenigen Umstände, die ich an der Kleinheit dieser Arbeitswohnung bedaure, daß wirklich kein Platz für Kunst ist.

Mit Thetis nicht so weit vorangekommen, wie ich gewollt hatte, mir vorgenommen hatte. Es war zu viel anderes parallel, und dann lenkte mich mal wieder so ein Schub ab; es wird Zeit, daß die Löwin einmal wieder herkommt. Aber jetzt erst einmal Oper und Seminar. Während der Fahrt Debussy und Thetis. In fünf Stunden sollten einige Seiten zu schaffen sein.

6.56 Uhr:
[Noch Pelleas et Mélisande.]
Aufbruch.

17.27 Uhr:
Mit zweimaliger Verspätung, erst bekamen wir in Leipzig nicht den Anschluß-ICE, so daß ich ab dort einen Intercity nehmen mußte, allein vielleicht, um mich an den Wolpertinger zu erinnern, dann gab es eine Signalstörung in Oberhessen. Da ich ohnedies las und immer weiterlas, störte es mich nicht. Bei Thetis auf S. 414 angekommen, knapp der Hälfte des Romans, und mir notiert, eine Stelle von der 319 in Der Dschungel einzustellen. Was ich >>>> soeben getan habe. In einer halben Stunde bereits geht es zur Oper weiter.
Mit der Löwin noch telefoniert, lange und gut. „Frankfurtmain bei Nacht“, sagte ich. „Ich werde einmal wieder die alten Wege gehen, aus Studienzeiten, nicht wahr? als es unsere Adornogruppe noch gab, Iris Radischs, Axel Ruckers, einer weiteren Freundin, auf deren Namen ich gerade leider nicht komme, Rollos und meine, und zwar in einer Parterrewohnung der Wurmbachstraße 4, die seit Thetis ein Ort der Anderswelt-Geschehen ist. Wissen Sie, Dorata Spinnen hat da gelebt, die wir Freunde Dolly genannt haben – und nach ihrem Tod Dolly II.“ Den vergessenen Namen trage ich nach. Menschen sollen erinnert sein. – Und in dem Moment fällt er mir ein: Manuela Müller. Was mag aus ihr geworden sein? Manuela, weißt Du es, daß Axel Rucker gestorben ist, schon vor ein paar Jahren? In Berlin. Ich wußte nicht, daß er da lebte, quasi gleich bei mir nebenan. Er hat sich nie gemeldet. Man fand ihn zwei Wochen nach seinem Tod in seiner Wohnung liegen. Wir haben in den Seminaren immer dicke Cigarillos geraucht, in Art-Deco-Spitzen mit Elfenbeinmundstück. Die meine habe ich noch, aber das Mundstück ist gebrochen.

2 thoughts on “Noch einmal zu „Amerika“. Im Reise- und Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 8. November 2012.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .