Das Nahe und das Fremde. Das Arbeitsjournal des Freitags, dem 5. Juli 2013. – Zurückgekehrt…

11.37 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
.. von >>>> wo mich die gute arabische Küche wieder zweieinhalb Kilo hat zunehmen lassen, die ich gestern gleich wieder weglaufen wollte. Aber hab’s wohl übertrieben mit meinen vierzehn Kilometern. Jedenfalls stach schon auf den letzten dreien das linke Knie, das danach – und leider bis in den heutigen Vormittag – weiterschmerzte, so daß ich nicht nur ein bißchen meschugge wäre, liefe ich heute ebenfalls wieder. Aber das ginge auch gar nicht. Doch den Oberkörper trainieren will ich am späten Nachmittag und gegen Abend eine Stunde schwimmen. Gegessen wird bis dahin nichts.
Am Zunehmen hatte sicher der ungewöhnlich gute Wein Dschinnistans mitschuld, das zwar vorwiegend islamisch bevölkert ist, aber von Menschen eines aufgeklärten und toleranten Islams, die dort in freundschaftlicher Nachbarschaft mit Kopten leben und mit nicht wenigen, ihrerseits aufgeklärten Menschen mosaischen Glaubens: ein (noch?) utopischer, nach dem >>>> Alten Europa vor allem deshalb orientierten Orient, weil er sich als dessen Ursprung versteht. Aber zu Dschinnistan später. Denn ich bin in Neapel und habe gestern noch und bis eben Gustaw Herlings großartige napoletanischen Erzählungen gelesen, aus denen ich soeben in Der Dschungel >>>> dort zitiert habe. Nun sitze ich wieder am Typoskript, das bis zum Dienstag, einen Tag vor meinem Abflug nach Rom, fertigsein soll – nur noch, falls ich die Produktion dann doch nicht bekommen sollte, die dezidiertesten Regieanweisungen werden nachzutragen sein, damit mir keine fremde Hand, vor allem kein fremdes Ohr durcheinanderbringt, was in der letzten Woche vor meinen akustischen Augen stand.
Übrigens hatte ich die sozusagen tollkühn begonnene Lektüre von Karl Mays Ardistan & Dschinnistan – frei auf den Kindle heruntergeladen – schnell wieder aufgegeben – zu prahlerisch kommt mir dieser Old Shatterhand daher, zu wenig von Zweifeln gekerbt und immer als nie-versagender Held. Das ist ja eben kein Abenteuer, wenn man immer durchdrungen von dem Bewußtsein ist, das faktisch Richtige und moralisch Rechte zu tun. Viel erregender ist es, sich auf etwas einzulassen, von dem man nicht weiß, worauf es hinauslaufen wird und ob man sich eben nicht fürchterlich irrt. So habe ich zum Beispiel einen französischen Prachtband (auch in Dschinnistan ist noch die Kolonialzeit spürbar) über Lawrence of Arabia, was ziemlich naheliegend war, ein Geschenk überdies meines ersten Wirtes, zu lesen begonnen, auf Französisch – ich hatte gar nicht gewußt, daß ich das kann.

Wobei ich das nur deshalb erzähle, weil gestern abend der Profi, den ich zur Rückkehr traf, süffisant bemerkte, es sei auch immer das Erstaunen groß, wenn man etwas falsch verstanden habe, einfach, weil man die Vokabeln „zu frei interpretierte“.
Des weiteren mitgebracht habe ich drei islamische Gebetsmützen, die ich von Zeit zu Zeit trage; ob ich meine Solidarität mit Ägypten bekunden wolle, fragte der Profi spöttisch. Aber sie werden mir in der italienischen Hitze gute Dienste leisten, vor allem, wenn ich mittags in der knallen Sonne meine tägliche Stunde schwimmen werde. Für Amelia kommt zum Anzug der napoletanische Strohhut mit. Doch insgesamt entspricht meine Neigung zu den Mützen, die etwas größere Kappen sind als Kipas, meinem europäischen Synkretismus und dem leisen Gefühl, man solle sich gerade aus scheinbar verfeindeten Kulturen etwas zum lustvoll Eigenen machen, das der Feindschaft eine Nähe entgegensetzt, nicht nur eine symbolische, sondern auch die Freude an der Ästhetik des/der Anderen.

Wenig Post bei meiner Rückkehr, aber eine Geldangelegenheit muß angegangen werden; die Dame beim Finanzamt war freundlich, als ich sie vorhin anrief, und hat mir auf die Zahlungsfrist drei Wochen draufgegeben. Das erhellte den Tag trotz des murrenden Knies.

Jedenfalls: Gut vorangekommen mit dem Stück in Dschinnistan; es war ein guter Impuls, Berlin zu verlassen dafür, auch wenn ich von Sitaraland viel weniger gesehen habe, als ich mir wünschte. Irgendwie war es sogar, wie weggefahren zu sein, um daheimzubleiben, bei sich zu bleiben. Was mir hier unmöglich gewesen wäre. Und ich habe über mich noch etwas Entscheidendes gelernt, habe begriffen, weshalb ich in der Fremde – in mancher, vor allem der südlichen Fremde – so notwendig gerne bin und daß ein Teil meines Herzens gerne dauerhaft dort wäre. Ich bin in der Fremde ein Fremder, aber das ist dort natürlich. Diese Natürlichkeit ist von großem Glück umgeben, während das Gefühl, das ich so oft in Deutschland habe, nämlich im eigenen Land ein Fremder zu sein, etwas zwar latent, aber doch dauerhaft Schmerzhaftes hat. Die Fremde in der Fremde bringt einem Achtung entgegen, die Fremde in der Heimat nur Ablehnung. Das habe ich endlich – unmittelbar, fast organisch – begriffen und verstand mit einem Mal Uwe Johnson und alle anderen Künstler, die bleibend weggegangen sind. Vorher ist’s mir ein Rätsel gewesen. Jetzt lag es offen da: organisch. Es wäre ein für mich idealer Zustand, könnte ich, vor allem des Musiktheaters wegen und für Lesungen und um zu inszenieren, ein Viertel-, vielleicht auch halbes Jahr in Deutschland weilen, die übrige Zeit aber im Süden sein.

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