Kein Ferragosto, aber Pop. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 15. August 2012.

7.20 Uhr:
[Arbeitsjournal. Garbarek, Torn, Weber, DiPasqua: It’s okay to listen to the gray voice.]
Kein >>>> Ferragosto, feriae Augusti, nein, kein heißester Tag des Jahres, sondern Väterchen Frost winkt schon aus dem übernächsten Osten und stampft, um sich den neuen Tanzplatz zu ebnen, die Sommernächte auf 8 Grad Celsius runter. Es gehört zu den Bizarrerien meines Lebens, daß ich eine so kalte Stadt liebe, also Berlin, und auch nicht mehr aus ihr fortwill, es sei denn, ich könnte mir eine Zweitwohnung in Neapel leisten (ach, daß mir eine Mäzenin oder ein Mäzen sie zur Verfügung stellte! ich würd auch ganz bescheiden sein) – oder noch weiter weg, in den Tropen (wo mir dann meine Kultur fehlen würde, allem voran die Musik, Oper und Konzerte). Ein Sehnsuchtsblick nach Neapel: nachts 23, tags 32 Grad; wiederum Rom: nachts 21, tags 31; und >>>> Amelia: 18 zu 31 Grad. Morgens muß ich jetzt schon immer einen dicken Pullover übers TShirt ziehen, und auf dem Kopf trag ich eine meiner islamischen Kappen, weil das wirklich wärmt und aus dem Kopf eine Art von abgeschlossener Höhle macht, einem Zuhause in den eigenen Gedanken, derweil es zu der Musik, die ich derzeit höre, Erinnerungen an vor über dreißig Jahren, ausgesprochen paßt, daß ich in einem der von mir frequentierten Aufreiß-Foren eine heute Frau wieder„traf“, die ich zuletzt mit Siebenundzwanzig gesehen, also ich war siebenundzwanzig, sie, nennen wir sie S., viel jünger; meine erste Frankfurtmainer WG, die mir viele edle Hemden und die erste erotische Voll-Obsession meines Lebens bescherte, eine, die so kurz war wie ich unfähig, ihr zu entsprechen. Um es kurz und so banal zu machen, wie ich war: Ich wollte die Große Liebe, sie – B., meine Obsession – alleine ihrem Körper Bestes tun. Jahre später habe ich darüber geschrieben, den Text finden Sie >>>> dort; auch schon in ihm spielt Deters eine Rolle. „Geschichten von fremder Moral“, ja, das trifft es wohl; den Untertitel dieser kleinen Sammlung unterschreibe ich weiter. Heute ist sie teils die meine, diese Moral. Man wird das unmoralisch finden und findet es auch unmoralisch.
Wie auch immer, nachdem ich mich, gestern, von dem >>>> Schlag in die Magengrube wieder erholt hatte, telefonierte ich mit der Löwin. Diesmal duzte sie mich, was wir sonst zu vermeiden trachten, aber auch ich, erschöpft, duzte mit. „Man wird deine Arbeit vielleicht erst öffentlich loben, wenn du alt geworden bist.“ „Du meinst: krank?“ „Wenn man sich nicht mehr vor dir vorsehen muß. Wenn in deinem Leben Frauen keine Rolle mehr spielen, jedenfalls keine, die Konkurrenten fürchten läßt. Wenn du – weise geworden bist.“ Ich mußte lachen. „Weise? Ich? Du meinst w i r k l i c h: krank.“ „Nein, nur schwach. Und nicht mehr wirklich an der Anerkennung interessiert, weil sie zu spät kommt – wie ein Geschenk, das man sich jahrelang gewünscht hat, dann aber hat man sich längst auf den Verzicht eingestellt, und nun wird es einem gebracht, aber man weiß gar nichts mehr damit anzufangen. So leer ist es geworden. Hübsch eingewickelt, aber leer.“ „Ich werde nicht schwach werden. Ich werde einfach umkippen eines Tages, wahrscheinlich, Herzschlag, Gehirnschlag, sowas.“ „Dann wird dein Erfolg in der Tat auf deinen Tod warten müssen.“ So grausam sind manchmal unsere Gespräche. Aber diese Grausamkeit erhöht enorm den erotischen Reiz; sie ist das Gegenteil von Kuhstallwärme. Und mit der damals jungen Frau, S. also – ihrerzeit noch fast mädchenhaft, indes von einem Reiz, der unruhige Träume bescherte, denen ich aber, wie eben geschrieben, da noch gar nicht gewachsen war – geh ich heute abend essen.
Zweiter Latte macchiato, zweite Morgenpfeife.
Jedenfalls habe ich auf den Schlag in den Magen >>>> mit einer Art Sottise reagiert, die immerhin zu einer >>>> lebhaften, vor allem auch klugen Diskussion geführt hat, auch wenn nicht klar wurde und wohl auch nicht klar werden konnte, daß sich mein Text eigentlich nur auf einen Vorgang im Literaturbetrieb bezog. Wobei sich mir die Frage nach dem Verhältnis von Demokratie und Kunst tatsächlich immer wieder stellt; nicht von ungefähr nennt >>>> diese Hausarbeit mich „elitär“, lustigerweise in Bezug auf die Vergana-Erzählung, die doch dem Phantastischen zuzuordnen ist, einem Genre also, das hierzulande als Unterhaltungsliteratur gilt, was mich schon für sich gesehen aus den bürgerlichen Feuilletons wirft. Wenn ich wenigstens deren, also der Unterhaltung, Kriterien erfüllte! Dennoch hat mich, abermals die Löwin, die Löwin neulich, ausgerechnet mich, einen Pop-Autor genannt: „Das hören“ – da siezte sie mich noch – „Sie nicht gerne, ich weiß, aber eigentlich sind Sie mit Der Dschungel das Paradebeispiel eines Pop-Autors: – indem Sie sich als Person mit in das Zentrum ihres Werkes stellen; – und über Ihre Person wird permanent gesprochen, viel mehr als über Ihre Bücher, mit vorgehaltener Hand, mag sein, abfällig, mag ebenfalls sein, aber sie, diese Person, ist immer irgendwie zugegen. Was Sie tun, wie Sie sich benehmen oder danebenbenehmen, woher Sie stammen, wie Sie mal wieder überreagieren usw. Sie sind sozusagen Ihr eigener Pop. Die Dschungel macht Sie dazu, und Sie, das können Sie nicht bestreiten, machen Die Dschungel.“ „Aber die Ablehnung war doch schon vorher da!“ „Kann sein. Aber da konnte man Sie einfach wegsein lassen, was Sie schrieben, spielte überhaupt keine Rolle. Mit Ihrer harten Netzpräsenz ist das anders geworden. Sie stellen sich selbst vor Ihr Werk – die Person, von der Sie als Ich erzählen, tut es, so daß das Werk gar nicht gesehen werden kann, es sei denn, man will es sehen.“ „Ja-aber führte ich Die Dschungel n i c h t, gäb es meine Arbeit in der öffentlichen Wahrnehmung erst recht nicht mehr.“ „Da liegt das Problem. Sie müssen Pop sein, auch wenn sie gegen ihn anrennen, ja sogar: indem Sie das tun.“
In dem Moment wurde mir klar, weshalb es einen Pop gibt, der mit „populär“ gar nichts zu tun hat. Und weiß nun gar nicht, ob ich verärgert oder belustigt sein soll.

8.21 Uhr:
[Garbarek, Garnås: Rosenfole (1989).]
Seit Viertel vor sechs auf. Heute werde ich die erste Bearbeitung des Neapel-Hörstücktyposkripts fertigbekommen; wir haben gestern, der beteiligte Redakteur und ich, den Produktionstermin für die mittlere Oktoberwoche festgeklopft, für hier in der Arbeitswohnung, 14. bis 29.10., was wegen der vielen Argo-Lesungen die einzigen durchgehend freien Tage der kommenden Monate sind. Aber ich habe, wiederum von der beteiligten Redakteurin, das Okay dafür bekommen, im September schon mal ein wenig vorzuproduzieren: die Sprecher:innen-Aufnahmen sowieso, aber auch bereits einige Montagen. Wiederum kam abermals Post zu dem >>>> Nibelungentext und zwar zwiefach und abermals sehr angetan. Ich hatte nach Ralf Schnells brüsker Kritik schon das Gefühl gehabt, meine künstlerische Kompetenz verloren zu haben; vielleicht hätte ich mich, dachte ich zwischendurch immer wieder, mit Argo wirklich „ausgeschrieben“. Es gibt diese Momente nicht nur schleichender Zweifel; ich muß meine immer mal wieder losgaloppierende literarische Hybris durchaus bezahlen, und auch die Hochgefühle, wenn mir etwas gelungen vorkommt, sind nicht unentgeltlich zu haben, auch nicht die in den letzten Zeiten aber spärlich gewordenen Momente des Schreibrauschs, der besonders meine früheren Jahre mitbegleitet und mir immer wieder Kraft gegeben, mich aber vielleicht auch ausgesogen hat, wie Drogen das tun: die einen aber zugleich weitermachen lassen. Das ist eine Art Raubbau; auch in diesem Zusammenhang ist als Gegenbewegung der leistungsorientierte Sport wichtig, den ich, von Zwischenphasen abgesehen, seit meinem dreißigsten Lebensjahr immer wieder in ein Zentrum gestellt habe und der meinen Tagesablauf gerade jetzt wieder deutlich mitbestimmt. Und schon – lesen Sie’s? lesen Sie’s? – fröne ich abermals – oh Löwin! oh über Ihre Wahrheit! – dem Pop. Anstelle mich um das Hörstück zu kümmern. Sò! Das nämlich werde ich jetzt tun. Und vielleicht, nun endlich heute, >>>> Amelia das – oh Melancholie – fünfte >>>> Mauergedicht schreiben.

(Wer eigentlich liest diese Arbeitsjournale? Sind es Tagebücher für die Freunde, sind es Tagebücher für mich selbst? Sind es Bekenntnisse, die, doch um sie damit abzuwenden, ihre Schande formulieren, meine Schwäche?)

Venelite is out riding on her father’s farm. „Tiril liril lilill,
haugjen min“ she sings; can’t this be a „calling“? She meets
the supernatural Bergjekongen, the king of the mountain,
and follows him. Thrice they ride around the montain, and
then go in. Thrice he drinks from the offered glass of mead,
a potion of forgetfulness. And though twice she holds fast
to her human and Christian heritage, after the third draught
she has forgotten the land of Christian men:
                                                                     

12.05 Uhr:
Fertig geworden mit der Zweiten Fassung, auch bereits noch einmal ganz in der Datei gelesen, dann ausgedruckt. Am Nachmittag dann der nächste Korrekturgang auf dem Papier, so daß die revidierte Fassung bereits morgen an den Deutschlandfunk gehen kann.

Jetzt aber erst einmal in den Park zum Training.

17.35 Uhr:
[Garbarek, All Those Born with Wings (1987).]
Mit einem Mal r a s t e das! Und wirklich fertig ist das Stück, aus meiner Sicht, und bereits ausgedruckt und schon an den Sender verschickt. Jetzt die Reaktion abwarten; falls alles in Ordnung, sofort die Sprecher:inne:n zusammentelefonieren und ihnen das Typoskript schicken. Wenn alle mitmachen wollen, den Aufnahmetermin mit dem ARD Hauptstadtstudio ausmachen; allerdings muß ich von meinen Leuten vorher wissen, wann sie können. Fünf Menschen, zumal wenn sehr beschäftigt, sind nicht immer leicht unter einen Hut zu bringen.

Oh, ich habe wirklich Zeit nun, um das fünfte Mauergedicht zu skizzieren. Oder ich lese etwas im Fahlmann weiter. Hm.

8 thoughts on “Kein Ferragosto, aber Pop. Das Arbeitsjournal des Donnerstags, dem 15. August 2012.

  1. @Herbst. “Logisch” spiele ich in Ihrem Geliebten-Text eine Rolle, denn ohne mich hätten Sie gar nichts gehabt, das sich notieren ließ und B. wahrscheinlich sogar völlig vergessen. Daß sie jegliche Erinnerung wert war, fiel Ihnen da überhaupt erst auf. Ich entsinne mich noch gut Ihres wirklich verdutzten Gesichtsausdrucks, zumal Sie bis heute nicht wissen können, ob ihr Name tatsächlich auf dem Papierfetzen stand. Und ich werde es ganz sicher für mich behalten.

  2. Wer eigentlich liest diese Arbeitsjournale? Inzwischen nun wohl schon seit mindestens 3 Jahren lese ich die Arbeitsjournale regelmäßig mit großem Interesse. Ja warum eigentlich? Zuerst las ich Meere, und ich war neugierig auf den Menschen dahinter, auch natürlich wegen des biographischen Hintergrunds. Dann entdeckte ich so vieles, das zuvor nicht in meiner Welt vorkam, aber auch vieles, das meine Welt berührte. Ich fand Anregungen, Musik, die mir fremd gewesen war und die ich verstehen lernen wollte, Literatur, die ich nur vom Hörensagen kannte und in die ich mich einlas, Diskussionen, denen ich zuweilen nicht ohne Anstrengung folgen konnte. Ich erfuhr durch diese Journale eine Bereicherung meines Lebens , gäbe es sie nicht mehr, würde mir etwas fehlen. Wenn je für Blogs die Möglichkeit eines bezahlbaren Abonnements eingeführt würde, dann hätte es dieser verdient. Irgendwie fühle ich mich immer ein wenig in ANHs Schuld. Vielleicht geht es noch so manch anderem Leser ähnlich.

    1. @Cellofreund. Es gibt andere Wege, und Sie sind sie auch immer mal wieder gegangen. Prinzipiell aber gehört es zur Logik des Netzes, unentgeltlich zu sein. (Stark frequentierte Sites verdienen indirekt, etwa über Werbebanner und dergleichen; daß Die Dschungel puristisch auftritt, gehört zu meinem künstlerischen Risiko.)

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