PP81: Abschied von der Niemandsbucht. Sonnabend, der 11. Januar 2014: Use it or lose it. Sowie zum vorgeblichen Verlust der Sprache durch das Internet.

Den Satz, Use it or lose it, hatte mir schon einmal eine Geliebte gesagt und sich selbst, ihren Körper, gemeint. Madame S. hingegen, auf die sich immer wieder Joyce bezieht, faßt es allgemein, ja grundsätzlich: bezogen auf jeden Lebensbereich. Muskeln, die wir nicht trainieren, werden verkümmern; Geist, der nicht wachgehalten bleibt, wird austrocknen und dumm werden; die poetische Tätigkeit ebenso wie das sexuelle Vermögen; so auch die Mitleidsfähigkeit, so der Instinkt, dem wir nicht glauben.
Ich komm bereits vom Sport. Eine nicht nur schlaftrunkne, nein: schlafesverfallene Löwin grummte eben ins Telefon; ich gab ihr noch eine halbe Stunde, wissend, daß auch die Träume benutzt werden wollen, sonst schwindet ihre Kraft, uns zu heilen: auch das ein aktiver Prozeß. So auch muß man hinsehen wollen, spüren w o l l e n. Die in den Zügen sollten mich sehen: Ich war stolz, daß ich hier stand, gerade an diesem Ort, und offensichtlich da auch wohnte (Handke, >>>> Niemandsbucht, S. 1013):

Nun verabschiede ich mich von diesem Buch, mit einem letzten Zitat, nicht dem hier, sondern >>>> dort. Gestern nacht las ich es „aus“, was ein seltsames Idiom ist, so, als wäre ein durchgelesenes Buch geleert. In Wirklichkeit wird es nur nicht mehr das sein, das man zuerst las; es wird, beim Wiederlesen, ein anderes geworden sein. Und ich, aus der Pariser Vorort-Gegend, fahr nun >>>> in Jeet Thayils Mumbai/Bombay:

Ich will versuchen, es auf Englisch zu lesen, so, wie es hier liegt, erschienen 2012 bei Faber & Faber; bereits die Introduction ist berauschend. Die >>>> Übersetzung bei Fischer hole ich mir aber ebenfalls noch und leg sie der Lektüre bei.
Gestern bereits die Nummer VI der >>>> Chamber Music übersetzt; da aber der Freund noch nicht so weit ist, warte ich mit der Bekanntgabe der III noch bis morgen, auf deren deutsche Version ich ein bißchen stolz bin. Außerdem am dritten Neapelgedicht gearbeitet: hab die „freie“ Versform wieder verlassen, dachte, das könne es nicht sein; es sei zu einfach, zu ungeformt. Also aus dem ersten Langvers einen Rhythmus entwickelt, der sich nun streng durch den Text zieht, nur manchmal, an Kippstellen, könnte man sagen, verlassen: bewußte Contrapunkte, die idiomatisch wiederholen, bzw. leitmotivisch gesetzt sind. Ich denke, daß ich genau das auch mit dem >>>> Béart-Zyklus machen sollte. An nichtdefinierte Rhythmen glaube ich nicht; daher oft mein Unbehagen an neuer, sogenannt moderner Lyrik, es sei denn, der nichtdefinierte Rhythmus ist als Gegenbewegung zu definiertem gedacht; dann gehört der definierte aber, wie ungenannt auch immer, dazu.(Freilich guckt wahrscheinlich wieder kein Schwein… was heißt, niemand merkt, oder nur wenige merken, was ich da mache/getan hab. Aber das muß mir egal sein.)

(8.50 Uhr.)

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Die Österreichreise vorbereiten, die Lesungen annoncieren. Dann weiter mit Neapel; wär gut, wenn ich das dritte Gedicht heute abschließen und vielleicht auch schon einstellen könnte.
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An einen Veranstalter:Sehr geehrter Herr,
also Sie haben, hiermit, meine Zusage, auch wenn Sie sich darauf einstellen müssen, daß ich mich in meinem Vortrag entschieden g e g e n einige der in der Projektbeschreibung (…) übermittelten Thesen stellen werde. Es scheint mir eine der grundsätzlichen Fragen, bzw. Irrtümer zu sein, anzunehmen, daß Sprache an ein bestimmtes Medium, etwa das Buch, gebunden sei. Ein solcher Gedanke steht in, scheint mir, verdächtig unbewußtem Widerspruch zur monotheistischen Auffassung des Wortes als eben n i c h t-Materialem; das heißt, daß man mit einigem Recht die Antithese vertreten kann, erst indem das Buch wegfalle (und jedes andere Printmedium) komme das Wort zu sich, bzw. habe es eine Chance, zu sich zu kommen – nämlich n i c h t fetischisiert. (In diesem Sinn sind z.B. islamische Bekehrungsgschichten allesamt solche des H ö r e n s des Worts; Q’uran bedeutet ja auch „Rezitation“). Das Buch-als-Fetisch wird, glaube ich, vielmehr deshalb so hochgehalten, weil es sich zur Ware eignet. In diese Richtung würde ich argumentieren; ähnlich, daß das Wort im Internet wieder flüssig wird: auch das ist ein Entdinglichungsprozeß.
Es ist auch nicht wahr, daß die Dichtung im Netz kaputtgehe; man kann vielmehr das völlige Gegenteil beobachten, unabhängig von den vielen Schauderbarkeiten, die das Geschehen begleiten. Aber gerade auch die Buchwelt ist von Ähnlichem, und zumass, nicht frei.

(10.19 Uhr.)

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