Abriß eines Herzstücks (Rückbau): PP87, darinnen aber auch noch Wien. Dem das gebührt, das es fordern darf, nicht nur erwarten: mit einer Verneigung geehrt zu sein. Am Montag, dem 20. – noch einmal, am Vormittag: – J ä n n e r 2014. (Erster Teil). – (Zweiter Teil.) 20. J a n u a r 2014, nachmittags.

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(8.55 Uhr.
Bach, Goldberg und >>>> Vladar.)

Diese Musik wurde, um Schmerz zu lindern und Krankheit, geschrieben; sie lindert auch die Traurigkeit. Nun verläßt er mich, Kachel für Kachel, mein Ofen:


Und ich bin bei ihm, sehe zu und werde weiter zusehen, wie ein Herzstück der Arbeitswohnung verloren geht. Changer la vie, schreibt Aragon. La vie change. Immer, wir merken es nur nicht, nie gleich, oft erst, wenn es geschehen ist. Ich kam aus Wien zurück und grollte, wurde ein bißchen depressiv, was ein falscher Ausdruck für einen Gefühlszustand ist, dessen Grund wir kennen; aber es war die gesamte CD-Wand abzubauen und noch einiges mehr zu räumen, was in einem Segelboot wie dem, in dem ich lebe, nicht ohne weiteres zu bewerkstelligen ist, zumal, wenn man‘s doch gar nicht möchte. Bis zum Abend wird der neue Ofen stehen, ein einfacher Allesbrenner, für den ich mir sage, daß ich sie doch mag, die einfachen Dinge, einfaches Brot, einfaches Holz; wenn es ginge, hätte ich eine Lagerfeuerstelle mitten im Zimmer und hätte auch die Gerüche. Es bleibt ja auch immerhin dabei, daß ich weiter heizen werde, was eben n i c h t bedeutet, einfach nur an etwas zu drehen, und schon ist die Wärme da. Sondern daß ich mich dafür ein bißchen austauschen, also etwas tun muß, das sich in den Muskeln spüren läßt und wovon einem, nimmt man mehrere Schütten auf einmal, auch der Schweiß läuft. Was ich liebe. Daß Leben, für das Leben etwas zu t u n, keine pure Handbewegung für automatisierte Vorgänge ist. Es gehört, wie segensreich!, zu meinem Beruf, daß jegliches Geschehen Grund für Überlegungen, auch und gerade für symbolische, ist. Alles wird uns zu Zeichen, so nahe sind wir dem, danke!, Vogelflug geblieben, Deutung aus dem Kaffeesatz. Magie. Auch eine, eben, des Vergehens:

Also ich begehe diesen Abschied. Abends werde ich meinem Ofen einen Ardbeg nachtrinken und mich vielleicht sogar einmal verbeugen. Dann werde ich den anderen Ofen begrüßen, von dem ich jetzt noch nicht weiß, wie er stehen und welch weiteres Umräumen er also verlangen wird – wie gesagt: auf einem Segelboot, in dem jede unterhohle Planke als Stauraum genutzt wird.
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Wien.
Ich war nicht zum ersten Mal dort. Aber nie zuvor hat mich diese Stadt so sehr ans Herz genommen. Einen Deutschen. Das muß dazugesagt sein. Wer wird so privilegiert, am selben Tag mit einer schönen hochbeinigen Frau Dessous, bei Palmer, einzukaufen, dabei die >>>> Legio Mariae in der Hand, das heißt: ein Kompendium katholischer Aushebung; wiewohl pikant schon genug, in solch einem kleinen Ladengeschäft so sehr viele alte Damen, die auf sich halten, zu sehen und dabei halb in der Tür der Umkleidekabine zu stehen, mit dem Blick halb hinaus, halb hinein, und die Fragen zu liebkosen, wie welcher Bügel unter den Brüsten eventuell kneifen könnte und welcherart Körbchen am besten ganz die Büste hebt, „tragen Sie manchmal Dirndl?“ fragt die Verkäuferin, der meine Anwesenheit sehr offenbar ein vielleicht nicht ganz so großes wie der probiernden Dame selbst, ein großes Vergnügen aber doch bereitet; nein, mehr geschah nicht und sollte es auch nicht, aber, sagte sie, also jene, „Dessous darf man nicht allein kaufen, da muß ein Mann dabei sein, der es auch ist“. Ah, dieser feine Verrat weiblicher Geheimnisse! sie dezent zu offenbaren! Und gewählt zu sein, dem offenbart wird. Und mit einer anderen Dame dann >>>> im Hawelka zu sitzen, das irre gefüllt war; es gab nur noch einen freien, aber reservierten Tisch. „Oh, der ist reserviert“, bemerke ich zum Ober („Herr Ober!“ sei tatsächlich der für ihn angemessene Ruf; mit Stolz erklärt er das; ein „Hallo“ oder gar „Bedienung!“ würden überhört); er lächelt verschmitzt und entgegnet: „Ja, für Sie.“ Dann brachte ich der Dame, einer Nichtraucherin, den eCigarillo nahe:

Nähe.
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So auch zwei Abende zuvor, als wir, eine wiederum nächste und ich, Fisch auf dem Naschmarkt essen. „Einen Aperitif?“ fragt der Kellner: was er uns bringen dürfe. „Sehen Sie uns an“, erwidere ich, „und dann entscheiden Sie.“ „Champagner“, sagt er. Und nach der Lesung fragten mich die Freunde, ob das denn immer so sei auf meinen Lesungen, daß da so viele schöne Frauen… Ja zu sagen, wäre gelogen gewesen, es gibt ja auch Lesungen, auf denen sitzen dreivier verbockte und eben nicht Böcke herum, noch die Zippen. Aber ein „bisweilen“ geht mir ehrlich von den Lippen. Zumal eine der Damen, mit ihrer Freundin gekommen, später an der Theke erzählt, sie hätten sich schon überlegt, wer denn nachher mit mir gehe; sie selbst allerdings, um sich zu schützen, habe nur einen Fuß lackiert. Das habe ich Ihnen schon geschrieben, oder? Sätze. Weibliche Sätze. Aber auch Männer waren da, selten genug, und solche eben auch, die’s sind. Nie sind sie, sagen wir, eifersüchtig, sondern genießen an anderen, daß gleichfalls die es sind.
Oder auch dies hier:

Wien.
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Wann bin ich je aus einer Stadt mit achtundzwanzig neuen Schnürsenkeln abgereist? feinen, gewachsten? wann habe ich so über Handwerk gesprochen? wann auf einen Schlag elf CDs mitgenommen, von Goldberg bis Skrjabin? wann erschienen mir Engel zuletzt, zumal in Polizei verkleidet? wann saß ich tiefnachts, fast schon morgens auf der Wache? wann zuletzt empfing mich in einer anderen Stadt eine Wohnung, in der es nach der Blendung roch? wo originale >>>> Fackelhefte standen und auch >>>> Der Engel Ordnungen stand da, in dieser Gesellschaft, mit dem Gesicht zu uns, und zur Rote-Beete-Suppe wurde ein selbstgebackenes Brot gereicht, das den Durchmesser eines schwarzeneggerschen Oberarms hatte und zugleich wie ein knorriger Waldast aussah: unbegradigt! Oh, und wann trank ich denn jemals so viel – unbegradigt auch die – Schnäpse? Der Tisch allein, spät, sehr spät, ward immer und immer mehr Poesie:

Gearbeitet, von >>>> der Lesung abgesehen, hab ich in diesen Tagen nichts. Nur geatmet.
Die Löwin, in dieser Zeit, hielt sich im verborgnen; sie mochte nicht erkannt sein. Auch das schrieb ich Ihnen, Leser:innen, schon. Sah zu, aus geborgenem Fernnah, wie ich tanzte. Und wußte von dem Rückbau, der mir nahte:

Ich baue das Glück auf dem Verscheiden und denke, daß wir das alle tun. Und bedanke mich bei der Alten Schmiede, wo ich zwischen Hämmern las:

Bedanke mich bei den Hörer:innen für die offenen Herzen & Hirne, bedanke mich bei den Freunden und bedanke mich bei >>>> Arco. Und bei den, sowieso und immer und seit je, Frauen. Für die Freiheit, die sie mir gestatten. Es sind Enthüllungen, und sie sind gut verwahrt in mir. Aber auf eine Weise, die sie nicht verschwinden lassen. Geheimnisse geb ich mit Offenheit zurück und löse die Verklemmung ab von ihnen. Nicht ich, nein, oder ich nur ein bißchen: aber die Dichtung:

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(Die Löwin, gestern, am Telefon, als ich innerlich bebte, ja tobte, weil ich hier alles umräumen mußte, die ganze Struktur zerstören, die geordneten CDs, Bücher, weil mich schon das einen ganzen Tag kosten würde, und ein weiterer wäre ohne Arbeit, weil ich alles wieder irgendwie herstellen muß und saubermachen muß und überhaupt keine Zeit für so etwas habe, so daß ich wütend ausrief: „Ich brauche keinen Ofen, ich komm auch mit der Kälte klar, und zwar sogar gut!“ – die Löwin also gestern, ganz ruhig, erwiderte, und durchaus nicht ohne Spott: „Sie vielleicht, aber nicht die Frauen. Keine, wenn es kalt ist, würde sich ausziehen dort. Schon gar nicht würde auch nur eine… Sie wissen schon. Also geht es doch gar nicht um Sie, sondern Sie tun das alles, und ehren uns damit, für sie.“ Da war ich beschämt und ging es an.)



(Chopin, Préludes.
10.48 Uhr.)
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(Cavalli, La Calisto, 1651/52, Jacobs.
15.52 Uhr.)

Nun steht der neue Ofen bereits, Bilder später. Und die Lyrik steht wieder auf dem ebenfalls wieder aufgelegten Mittelregal. Und die CDs sind sämtlich eingeräumt. Aber die Feinheiten fehlen, die Erinnerungen, zu denen auch die Hülle eines Präservatives gehört, worüber ich mehr aber nicht verlauten lassen möchte, aus Liebe; die Stripschuppen-Handzettel von New York City über Mumbai bis Tokyo; die kleinen Liebesbillets, bisweilen sind Stecknadeln boshaft darangesteckt; all die Stücke von all den Vulkanen, auf denen ich gewesen, Basaltchen, Magma‘chen und Schwefelsteinchen, die noch heute, kommt ihnen Stoff nah, wirken; Datteln zudem, aus Palermos Parks; Pinienzäpfe aus Rom und jetzt das Wiener Würstchen auch, das zu den obszönsten Dingen gehört, die ich je angefaßt – all das braucht Zeit, braucht wohl den ganzen Abend. Da wird der Ofen, den ich sofort angeheizt habe, schon warm sein. Saubergemacht, richtig, hab ich noch nicht, nur einmal durchgewischt um die nun bereits historischen Rückbau herum; aber um richtig zu putzen, braucht es mehr Licht, als dieser Winter heute gibt. Blitzeis auf den Straßen, er f i e l, der Winter, pünktlich zum neuen Ofen über Berlin herein. Auch dieses ist ein Zeichen. Und dieses, dieser Eintrag, nur eine kleine Pause für einen Cigarillo. Und die Boxen stehen wieder und klingen.
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(Monteverdi, >>>> Combattimento di Vespro della Beata Vergine
da concerto composta sopra canti firmi, Jacobs
.
19.10 Uhr.)

Nun steht alles wieder:

Nur meine Schaufensterpuppe, eine – ganz deutlich! – >>>> Sìdhe des Art Deco, muß vorerst mit einem vorläufigen Sitzplatz, zumal am Fenster, Vorlieb nehmen, da ihr der Hochsitz nun genommen; im Sommer aber, denke ich, kommt sie auf den Ofen nicht zurück, sondern auf den, ecco, neuen, um mir dann ihr himmliches Profil zu zeigen. Bis dahin wird sie schräg links hinter mir sitzen, einer Adjutantin gleich, deren Geste das Publikum zurückweist, deren indes Brüste, und dieser Hals!, es locken:

Und natürlich, hier stimmt das Wort, ist es noch immer nicht wirklich sauber. Ich werd mich morgen darum kümmern, nach dem Morgenschwimmen, womit ich meinen Sport wieder einläuten möchte; vielleicht geh ich mittags sogar noch ins Krafttraining. Aber nur, wenn ich vormittags die Kritik zur >>>> gestrigen Premiere zumindest fertig skizziert haben werde. Und eben, mit einer kleinen Ungewißheit noch, kam als Auftrag ein weiteres neues Hörstück herein. Damit wär auch der Sommer sicher. „Laudate!“ läßt Monteverdi rufen; er hat den Funk gemeint und jubelt es ihm, nun, mit einem meiner Lieblingsstücke >>>> dieser Vesper entgegen: „Santa Mariaaaaaa!“

Ah, dammi il paradiso! (Ich liebe Die Dschungel, weil sie – folgen Sie dem Link – bewahrt.)

(19.42 Uhr.)

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4 thoughts on “Abriß eines Herzstücks (Rückbau): PP87, darinnen aber auch noch Wien. Dem das gebührt, das es fordern darf, nicht nur erwarten: mit einer Verneigung geehrt zu sein. Am Montag, dem 20. – noch einmal, am Vormittag: – J ä n n e r 2014. (Erster Teil). – (Zweiter Teil.) 20. J a n u a r 2014, nachmittags.

  1. Nota: Beigaben. Wenn wir in Deutschland von Gebäck sprechen, sind süße Stückchen gemeint, auch Kekse; in Wien hingegen fallen darunter Semmeln, Laugenstangen und dergleichen, etwas, das zum warmen Essen gereicht wird.
    Läßt sich aus solcher nahen Differenz etwas gewinnen, das übers bloße Faktum hinausgeht? Mich beschäftigt das seit vorgestern immer wieder.

    1. Ich habe immer wieder festgestellt, dass man insbesondere in Wien stolz auf die österreichischen Bezeichnungen der Lebensmittel ist, der sich so deutlich von denen der Deutschen unterscheidet. Eine bekannte Kritikerin bot sich gar generös an, dem etwas ratlos dreinblickenden Piefke die Speisekarte zu “übersetzen”.

    2. Wie@Keuschnig nahezu jeden Stolz kann ich auch den verstehen und, zumal auf Lebensmittel, nicht nur deren Name Bestandteil von Kultur ist, mitfühlen. Und bekomm ein Stückchen davon ab, jedes Mal. (Er ist mir freilich aus Italien bekannt, und aus Frankreich. Und auch in Indien, Agra, erlebte ich ihn.)

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